dbb Ideenfabrik „Geh, hör!“

Zukunftsaufgabe: Verwaltungen und Infrastruktur auch digital krisenfest aufstellen

Verwaltungen und Infrastruktur müssen auch digital krisenfest aufgestellt werden, fordert dbb Chef Silberbach: „IT-Resilienz ist Voraussetzung für verlässliches Staatshandeln.“

Politik & Positionen

Gerade in Krisenzeiten sei es erforderlich, dass die Bürgerinnen und Bürger auf die Leistungsfähigkeit ihres Staates vertrauen können – „und dazu zählt im 21. Jahrhundert selbstredend auch die digitale Verlässlichkeit. IT-Resilienz ist Voraussetzung für verlässliches Staatshandeln“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach im Vorfeld des neuen dbb Formats „Geh, hör!“ am 14. September 2022 in Berlin. In der als Ideenfabrik angelegten Veranstaltung, die wahlweise analog, hybrid oder digital stattfindet, werden aktuelle Themen des öffentlichen Dienstes aufgegriffen und in verschiedenen Themensessions von Beschäftigten und Expertinnen und Experten aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft diskutiert. In der ersten Ausgabe stehen unter der Überschrift „#digital“ Cybersicherheit, Fachkräftegewinnung und Katastrophenschutz auf der Agenda.

„Pandemie, Klimawandel, die Auswirkungen des furchtbaren Angriffskrieges in der Ukraine, die Energiekrise und nicht zuletzt die Inflationsentwicklung sind Faktoren, die jede und jeden einzelnen von uns betreffen und auch verunsichern. Gerade in solchen Krisenzeiten ist es wichtig, dass sich der Staat auf allen Ebenen handlungsfähig und krisenfest präsentiert“, erläuterte Silberbach. Dies sei jedoch aktuell nicht der Fall, stellte er mit Blick auf die aktuelle dbb Bürgerbefragung fest: „Rund zwei Drittel der Bundesbürger stufen derzeit staatliche Akteure und Institutionen nicht als handlungsunfähig ein. Das ist mehr als alarmierend. Wenn die Menschen dem Staat keine praktikablen, ökonomisch verantwortungsvollen und sozial gerechten Lösungsstrategien mehr zutrauen, ist das ein tiefgehender Vertrauensverlust, der das demokratische Fundament unseres Gemeinwesens erschüttern kann, wenn wir nicht gegensteuern“, warnte der dbb Chef. „Insbesondere das seit Jahrzehnten andauernde Digitalisierungsdebakel in Verwaltungen und Behörden sowie die augenscheinliche Unfähigkeit, staatliche Institutionen und systemrelevante Infrastrukturen nachhaltig gegen digitale Attacken zu schützen, tragen zu einer großen Verunsicherung bei. Auch die Staatsbediensteten selbst fühlen sich in Sachen Digitalisierung und IT-Sicherheit alleine gelassen, es gibt hier viel zu wenige personelle und technische Ressourcen“, zeigte Silberbach auf und forderte entsprechende Investitionen, um Verwaltungen und öffentliche Infrastruktur „auch digital krisenfest aufzustellen“.

Gemeinsam mit Expertinnen und Experten ging es bei „Geh, hör! #digital“ am 14. September 2022 darum, Lösungsansätze und Best Practice-Beispiele zu diskutieren – mit Inputs von Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamts für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), zum Thema „Cybersicherheit“, von Johann Saathoff, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), zum Thema „Fachkräftemangel“ und von Dr. Vanessa Just, Gründerin und CEO der juS.TECH AG, zum Thema „Digitale Tools im Katastrophenschutz“.

Cyberabwehr muss Schritt halten

„Wir leben noch gar nicht in einer digitalen Welt“, begann der Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, sein Impulsreferat und verwies darauf, dass eine komplette Digitalisierung der Welt noch längst nicht Realität sei. „Trotzdem bereiten wir uns intensiv auf die Zukunftsthemen vor, denn obwohl unsere Lebenswelt noch nicht digital ist, nehmen die Angriffe auf IT-Infrastrukturen permanent zu.“ So werde mit Cybercrime mittlerweile mehr Geld verdient als mit Drogen. Es herrsche bereits heute „Alarmstufe Rot“ angesichts von 121.144 Millionen erkannten neuen Malware-Programmen im Jahr 2021. „Das sind bis zu 55.000 pro Tag“, konkretisierte Schönbohm. „Sie werden programmiert, um private, wirtschaftliche und öffentliche IT-Strukturen anzugreifen. Rund 40.000 Systeme werden täglich infiziert.“ Seien dann die Daten eines Krankenhauses zum Beispiel einmal von Erpressern verschlüsselt, sei das ein digitaler Katastrophenfall, bei dem Cyberattacken letztlich reale Konsequenzen für den Einzelnen haben können, wenn aufgrund dessen etwa der Krankenwagen zu spät eintreffe. Weiter berichtete Schönbohm von möglichen Kollateralschäden durch so genannten „Hacktivismus“: Konkret habe das internationale Hackerkollektiv „Anonymous“ als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine Rosneft Deutschland angegriffen, einen zentralen Öl-Lieferanten für die neuen Bundesländer.

Im selben Maße, wie sich die Innovationsgeschwindigkeit erhöhe sei es nötig, dass das BSI als Sicherheitsbehörde des Bundes schritthalte, zumal das BSI mittlerweile auch Sicherheitsdienstleistungen für die Bundesländer und große infrastrukturrelevante Konzerne anbieten könne. Notwendig dafür seien vor allem gut geschulte und motivierte Nachwuchskräfte. „Mittlerweile ist das BSI einer der beliebtesten Arbeitgeber der Bundesverwaltung. Das rührt auch daher, dass wir versuchen, junge Fachkräfte zu binden und ihnen berufliche Perspektiven im Form von Fortbildung und Möglichkeiten für Stellenwechsel zu bieten.“

In der Themensession zur Cybersicherheit diskutierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Sicherheitsinstitutionen interaktiv über aktuelle Erfahrungen mit und Fragen zur Cybersicherheit. Dabei kristallisierte sich heraus, dass es bei der Bekämpfung von Cyberangriffen einerseits an Zentralisierung und andererseits massiv an Fachkräften fehlt. Weiter forderten die Diskutierenden mehr Kooperation und Vernetzung der Akteure und Institutionen sowie eine klare Verteilung der Zuständigkeiten in Bund, Ländern und Kommunen. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der öffentliche Dienst den Wettbewerb mit der Wirtschaft um Fachkräfte kaum aufnehmen könne, weil die Vergütung im IT-Bereich der öffentlichen Hand zu schlecht und die Strukturen zu starr seien.

Fachkräftegewinnung: Attraktivität des öffentlichen Dienstes herausstellen

Den zweiten Input zur Veranstaltung mit dem Schwerpunkt „Fachkräftegewinnung“ lieferte Johann Saathoff, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern und für Heimat. Aus seiner Sicht ist Deutschland mit seinem öffentlichen Dienst grundsätzlich für Krisen gewappnet, wenn es auch weiteres Potenzial für Verbesserungen gebe. Dies gelte auch für den Bereich der Fachkräftegewinnung. Hier habe gerade der Bund als Arbeit- beziehungsweise Dienstgebender bereits Einiges zu bieten: Neben den 130 verschiedenen Ausbildungs- und Studienangeboten zählt Saathoff zu den Vorteilen auch Bezahlung, Arbeitszeit sowie „weiche“ Faktoren wie Fortbildungsmöglichkeiten. Im Bereich der Vergütung sei man durchaus konkurrenzfähig auf dem Markt, könnten doch etwa IT-Fachkräfte unter anderem durch Zulagen auf einen Jahresbruttoverdienst von circa 88.500 Euro kommen. Besonders hob der Staatssekretär jedoch hervor, dass für viele jungen Menschen bei der Berufswahl die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit entscheidend sei – was im Staatsdienst an vielen Stellen in besonderem Maße gegeben ist. Diesen Punkt wolle man auch besonders herausstellen, wenn demnächst insbesondere über Social-Media-Kanäle verstärkt für die Plattform www.wir-sind-bund.de geworben werde, auf der die Bundesregierung in vielen Sprachen für die Arbeit in der Bundesverwaltung wirbt. „Wir wollen Menschen zwischen 15 und 25 ansprechen, gerade auch mit Migrationshintergrund“, erklärte Saathoff. „Denn ich bin überzeugt: Diversität führt zu besseren Lösungen.“ Diese sei aber aktuell in den Bundeseinrichtungen tatsächlich noch ausbaufähig. Auch wolle man beispielsweise im Bereich des Gesundheitsschutzes noch besser werden. „Als Bundesregierung werden wir gemeinsam die Arbeit im öffentlichen Dienst weiter attraktiver machen“, versprach Saathoff.

In der Themensession Fachkräftegewinnung diskutierten die Teilnehmenden Auswirkungen des Fachkräftemangels auf die eigene Arbeitsqualität. Der Personalmangel verursache etwa bei der Justizverwaltung erhebliche Wartezeiten: „Wer zum Beispiel Mitte September beim Amtsgericht in Berlin die Beurkundung eines Erbschaftsantrages beantragt, muss damit rechnen, erst im Februar kommenden Jahres einen Termin zu bekommen“, zeigte eine Teilnehmerin die Problematik auf. Als probate Mittel, die Personaldecke zu verstärken, nannten die Diskutierenden attraktivere und flexiblere Arbeitszeiten und -orte sowie verbesserte und modernere Vergütungsstrukturen. „Ohne die Möglichkeiten eines agilen und teamorienteierten Arbeitens hätten wir die Herausforderungen während der heftigsten Coronazeit nicht so gut in den Griff bekommen“, fasste der Mitarbeiter eines Gesundheitsamtes die Chancen modernen Arbeitens zusammen. Auch aktuell werde Homeoffice „als wunderbare Ergänzung empfunden: Man sollte aber Wert darauf legen, dass bestimmte Mindestzeiten im Büro stattfinden.“ Wenn Personen „nicht für den öffentlichen Dienst brennen“, sei es indes eher schwierig, Überzeugungsarbeit zu leisten: Da müssen auch die Beschäftigten mehr tun, so der Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitsdienstes: Die Mitarbeitenden müssen von sich aus darauf hinweisen, wie toll die Bedingungen sind, das ist ebenso wertvoll wie eine Imagekampagne.“ Eine Teilnehmerin bekräftigte, dass bei der Werbung um junge Beschäftigte deutlich mehr Wert auf die Themen Lebenszeit-und Qualitätsorientierung gelegt werden müsse. „Die jungen Menschen sind sehr darauf bedacht, dass die Vereinbarkeit zwischen ihrem Leben und dem Beruf funktioniert.“ Bei der Etablierung moderner Arbeitsformen sei es sehr wichtig, die Skepsis insbesondere der älteren Führungskräfte durch Schulungen zu überwinden, zeigten sich die Teilnehmenden überzeugt. „Es gilt, Feedbackkultur einzuführen und Führungskräfte generell für die moderne Arbeitswelt zu sensibilisieren und fit zu machen: Dazu zählen Tools wie das Führen im Team und auch auf Distanz,“ listete eine Hauptpersonalrätin aus dem Bundesumweltministerium (BMU) die Instrumente auf, die in ihrem Haus gezielt gegen den Fachkräftemangel eingesetzt werden.

Katastrophenschutz digital - Fachpersonal und Digitalkompenz vorausgesetzt

Dr. Vanessa Just, Gründerin und CEO des Start-Up Unternehmens juS.TECH AG, erläuterte in ihrem Impuls zu Katastrophenschutz durch digitale Tools digitale Werkzeuge und deren Anwendungsbereiche. Die Expertin erklärte, dass besonders künstliche Intelligenz in allen Phasen der Katastrophenbekämpfung eingesetzt werden könne, also zur Bewältigung, Nachbereitung, Prävention und Vorbereitung. Technologien, die einzeln oder zusammen zum Krisenmanagement eingesetzt werden können, sind beispielsweise Big Data und künstliche Intelligenz, Datenbanken, Datenquellen und eine zuverlässige Infrastruktur zur Kommunikation. So können zum Beispiel Bildanalysen ermittelnden Hinweise liefern oder KI-Software dabei helfen, die Schwere einer möglichen Bedrohung einzuschätzen. Just ging auch auf die Schattenseiten des Gebrauchs von KI ein, insbesondere sprach sie Fragen der Ethik und der Datensicherheit an und wies auf die Notwendigkeit von gesetzlichen und regulatorischen Maßnahmen hin.

Im Diskussionsforum zum Thema trugen die Teilnehmenden zusammen, woran es beim Einsatz von KI im Katastrophenfall mangele. Ergebnis: vor allem am Zugriff auf verwertbare Daten. Ohne Daten kann keine KI eingesetzt werden, Datenschnittstellen sind die Voraussetzung für funktionsfähige KI-Warnsysteme. Zudem muss auch klar sein, welche Daten überhaupt notwendig sind, damit KI auch zielsichere Ergebnisse liefern kann, hielten die Teilnehmenden fest. Auch ausreichend Fachpersonal und dessen Digitalkompetenz sind aus Sicht der Verwaltungsexpertinnen und -experten wichtige Parameter, um im Katastrophenfall handlungsfähig zu sein. Angesprochen wurde auch die verlässliche Funktionsfähigkeit von digitalen Warnsystemen. Gerade im Krisenfall müssten diese zuverlässig und autark funktionieren, war man sich einig. Bei der Entwicklung solcher Tools müsse insbesondere darauf geachtet werden, dass kein Flickenteppich aus unterschiedlichen Produkten entstehe, die nicht miteinander kompatibel funktionieren und keine Zuverlässigkeit bieten. Aufgrund der föderalen Zuständigkeiten sei dies jedoch bereits der Fall, beispielsweise bei der Einsatzsoftware für die örtlichen Feuerwehren. Eine Lösung könnten in solchen Dingen zentralisierte Entwicklungsprozesse sein.

dbb Chef Ulrich Silberbach hielt in seinem Resümee der Ideenfabrik fest, dass sich wieder einmal gezeigt habe: „Egal, auf welches Problemfeld wir derzeit schauen – wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Alle diskutierten Probleme und Fallstricke kennen wir und insbesondere die Beschäftigten im öffentlichen Dienst seit Langem.“ Gleichwohl werde man nicht müde und die Forderungen, die sich in den Diskussionsforen herauskristallisiert hätten, „gezielt in den politischen Prozess und den Dialog mit Dienst- und Arbeitgebenden einbringen. Fest steht, dass es uns endlich gelingen muss, bei der Digitalisierungskompetenz und der Fachkräftegewinnung spür- und messbare Ergebnisse zu erzielen. Wir brauchen keine Workshops mehr, sondern müssen jetzt ins Tun kommen. Die Beschäftigten warten darauf, ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger“, machte Silberbach deutlich.

 

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