dbb magazin 5/2022

Europäische Außen- und Sicherheitspolitik Die Mitgliedstaaten und Institutionen der EU sollten mit einer Stimme sprechen Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine bietet Anlass genug, einen Blick auf den Zustand der Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zu werfen. Dr. Jana Puglierin, die Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations (ECFR), erläutert, warum der EU – insbesondere in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik – bisher oft die notwendigen Mittel und Instrumente fehlen und was es mit einem „Europa der Verteidigung” auf sich hat. Wie ist es um die GASP, die Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik, bestellt? Der Rückblick auf die letzte Dekade zeigt, wie schwierig es nach wie vor ist, den notwendigen Konsens und die Unterstützung für ein gemeinsames außenpolitisches Handeln im Rahmen der GASP zu finden. Der Vertrag von Lissabon, der im Dezember 2009 in Kraft trat, sollte die Kohärenz der GASP nachhaltig verbessern und die Fähigkeit der EU stärken, international mit einer Stimme zu sprechen. Mit der Schaffung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) und der Stärkung der Position des Hohen Vertreters der EU sollten formale Führungsaufgaben – wie die Festlegung der Agenda, die Koordinierung und die Vertretung europäischer Außen- und Sicherheitspolitik – an Brüssel delegiert werden. Man erhoffte sich dadurch eine neue Dynamik zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-­ Institutionen, mit dem übergeordneten Ziel einer größeren Kohärenz und eines stärkeren Zusammenhalts. Trotz einzelner Fortschritte ist es in der Gesamtschau nicht gelungen, diesen Anspruch wirklich umzusetzen. Die Gründe dafür hängen mit demWesen der Außenpolitik als Kernelement der nationalen Identität und Souveränität zusammen. Sie sind auch in der strukturellen Unvereinbarkeit von supranationalen und zwischenstaatlichen Elementen in der GASP-Governance begründet. Als Resultat hatte die EU oft keine adäquaten Antworten auf außenpolitische Krisen und ihr Einfluss auf das internationale System als Ganzes ist zurückgegangen. Im Syrien-Konflikt blieb die EU hauptsächlich Zuschauer, in Libyen war die EU nicht in der Lage, das Land auch nur annähernd zu stabilisieren. Die Bemühungen der EU, ihr eigenes Modell erfolgreich nach außen zu projizieren, waren nicht erfolgreich; ihre unmittelbare Nachbarschaft hat sich von einem Kreis potenzieller Freunde und Partner in einen Ring der Instabilität verwandelt. Der EU fehlten oft die notwendigen Mittel und Instrumente, insbesondere in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik – auch wenn sich das „Europa der Verteidigung“ im Aufbau befindet. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die Ukraine hat nun gezeigt, dass die nach 1990 etablierte europäische Friedensordnung zusammengebrochen ist und in Europa wieder Grenzen durch militärische Mittel und in revisionistischer Absicht verschoben werDr. Jana Puglierin leitet das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations (ECFR). Der ECFR versteht sich als Denkfabrik, die Analysen zu Themen europäischer Außenpolitik bereitstellt. Neben Berlin unterhält der ECFR Büros in London, Madrid, Paris, Rom, Sofia und Warschau. EUROPA © Jens Oellermann 26 FOKUS dbb magazin | Mai 2022

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