dbb magazin 4/2019 - page 5

tionären Reha haben wir er­
leichtert. Organisiert ein Pfle­
gebedürftiger seine Pflege
selbst – zum Beispiel durch
einen Angehörigen – kann er
außerdem Pflegegeld beziehen
und dieses Geld als Anerken­
nung an den Pflegenden wei­
tergeben.
Ich weiß, es geht immer noch
mehr. Aber wenn wir über
weitere Leistungen sprechen
wollen, müssen wir immer die
Frage nach der Finanzierung
beantworten. Eine dem Eltern­
geld ähnliche Leistung wäre
jedenfalls keine Aufgabe der
Pflegeversicherung. Sie müsste
von der gesamten Gesellschaft
getragen werden.
Die mit den Pflegestärkungs­
gesetzen beschlossenen Leis­
tungsausweitungen werden –
im Zusammenspiel mit demo-
grafischemWandel und techni­
schem Fortschritt – über kurz
oder lang zu steigenden Beiträ­
gen in der Pflegeversicherung
führen. Mögliche künftige
Versorgungslücken können
individuell mit geförderten
Pflegezusatzversicherungen
geschlossen werden. Solche
„Riester-Rente“-ähnliche Mo­
delle haben in der Vergangen­
heit aber überwiegend Gutver­
diener genutzt. Wie stellen Sie
sicher, dass künftig alle Bürge­
rinnen und Bürger entspre­
chend vorsorgen können?
Für die Anhebung des Pflege­
beitrags zum Jahresbeginn gab
es eine breite Akzeptanz in der
Gesellschaft. Die Menschen
wissen: Gute Pflege kostet
Geld. Und immer mehr Men­
schen werden perspektivisch
auf Hilfe angewiesen sein. Dar­
um brauchen wir eine Debatte
darüber, wie wir das als Gesell­
schaft in Zukunft stemmen
wollen. Es sind verschiedene
Finanzierungsmodelle denkbar.
Im Kern geht es darum, wie viel
die Familien selbst leisten kön­
nen und wo sie Unterstützung
brauchen. Eine Zusatzversiche­
rung, die sich auch Menschen
mit kleineren Einkommen leis­
ten können, gibt es übrigens
schon. Der Staat unterstützt
sie dabei mit einer Zulage von
60 Euro im Jahr.
Mit dem „Pflegepersonal-Stär­
kungsgesetz“ haben Sie die
langjährige dbb Forderung er­
füllt, Tarifsteigerungen voll­
ständig durch die Krankenkas­
sen zu refinanzieren. Allerdings
besteht im Bereich der nicht
tarifgebundenen Beschäftig-
ten noch eine große Regelungs­
lücke – also bei einem großen
Teil der stationären Altenpflege
und der ambulanten Pflege.
Was sind Ihre Pläne, um Ab­
wanderungen aus diesen
Bereichen zu verhindern?
Das Pflegepersonal-Stärkungs­
gesetz ist ein erster wichtiger
Schritt, um die Arbeitsbedin­
gungen in der Pflege zu verbes­
sern. Ich höre oft, dass das nicht
reicht. Aber irgendwo müssen
wir anfangen. Als nächstes
kümmern wir uns darum, dass
noch mehr Pflegekräfte ausge­
bildet werden, dass der Beruf
attraktiver wird, dass die Pflege
endlich ein besseres Image be­
kommt. Wenn sich ein junger
Mensch für eine Ausbildung in
der Pflege entscheidet, muss
das den Eltern sofort einleuch­
ten. Ich habe mich darum 2018
mit Familienministerin Franzis­
ka Giffey und Arbeitsminister
Hubertus Heil zusammenge­
setzt und die Konzertierte Ak­
tion Pflege ins Leben gerufen.
Ziel ist es, mit vereinten Kräften
mehr Menschen für die Pflege
zu begeistern. 111 konkrete
Maßnahmen haben wir schon
beschlossen, unter anderem
eine groß angelegte Ausbil­
dungsoffensive. Ich setze mich
dort auch für einen flächen­
deckenden Tarifvertrag in der
Altenpflege ein. Das fertige
Konzept legen wir im Sommer
vor. Für mich ist die Konzertier­
te Aktion Pflege ein gutes Bei­
spiel dafür, wie die Große Koali­
tion funktionieren kann.
Mitte Februar hat der Deutsche
Bundestag abschließend über
neue Strukturen in der Organ­
spende beraten. Ein zentraler
Punkt ist die bessere Vergütung
der Krankenhäuser für die Organ­
entnahme. Waren die Probleme
bisher also eher finanzieller Na­
tur und nicht etwa mangelnde
Spendenbereitschaft? Und wenn
ja, warum kommen diese Ver­
besserungen erst jetzt?
Die Zahl der Organspender ist
2018 deutlich gestiegen. Das
ist gut. Aber es ist nicht gut ge­
nug. Noch immer warten Tau­
sende Menschen in Deutsch­
land auf ein Spenderorgan. Mit
dem gerade beschlossenen Ge­
setz sorgen wir dafür, dass die
Krankenhäuser mehr Zeit und
mehr Geld für die Organspen­
de bekommen. Kliniken dürfen
nicht finanziell auch noch da­
für bestraft werden, dass sie
sich um Organspende küm­
mern. Wir stärken die Rolle der
Transplantationsbeauftragten.
Sie sollen helfen, mehr Organ­
spender zu identifizieren. Und
was mir persönlich ein Anlie­
gen ist: Wir haben mit dem Ge­
setz die Möglichkeit geschaf­
fen, dass sich der Empfänger
eines Organs anonym bei der
Familie des Spenders bedanken
kann.
Unabhängig von diesem Ge­
setz brauchen wir eine gesell­
schaftliche Debatte darüber,
wie wir in Zukunft mit dem
Thema Organspende umgehen
wollen. Wir diskutieren diese
Frage gerade im Bundestag.
Ich setze mich dort für eine
doppelte Widerspruchslösung
ein. Das heißt: Jeder gilt als Or­
ganspender, solange er nicht
ausdrücklich widersprochen
hat. Hat er das nicht getan,
müssen die Angehörigen ge­
fragt werden. Auf diese Weise
muss sich jeder mit der Frage
auseinandersetzen, ob er be­
reit ist, Organe zu spenden
oder nicht. Mehr als 9400 Men­
schen warten auf ein Spender­
organ. Vor diesem Hintergrund
halte ich die Pflicht, sich mit
dem Thema auseinander­
zusetzen, für zumutbar.
interview
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