dbb dialog: Studie „Verwaltung in Krisenzeiten #2“

Webtalk: Digitalisierung, Flexibilisierung und mobiles Arbeiten – Pandemie als Innovationstreiber in der Verwaltung?

Mehr Personal, mehr Digitalisierung und mehr Agilität fordert der dbb, um den öffentlichen Dienst zügig krisenfest zu machen.

Digitalisierung

Eine Beschäftigtenbefragung – die Neuauflage der vom dbb unterstützten Studie „Verwaltung in Krisenzeiten“ – zeigt die Baustellen auf und wurde beim digitalen dbb dialog „Digitalisierung, Flexibilisierung und mobiles Arbeiten – Pandemie als Innovationstreiber in der Verwaltung?“ am 9. Dezember 2021 vorgestellt. „Nach fast zwei Jahren Covid19-Pandemie gibt es aus Sicht der Beschäftigten zwei große Learnings: 1. Verwaltung kann Krise. Dies ist vor allem der großen Motivation und Einsatzbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die sich in den vergangenen Monaten ad hoc auf vollkommen neue Arbeitsbedingungen und Herausforderungen umgestellt haben und dauerhaft an der Belastungsspitze und darüber hinaus arbeiten. Damit muss nun aber Schluss sein, und deswegen: 2. Der öffentliche Dienst muss jetzt zügig krisenfest gemacht werden“, stellte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach bei der Vorstellung der Studie „Verwaltung in Krisenzeiten #2“, die der dbb als Partner der Agentur Next:Public und der Hertie School of Governance nach 2020 in diesem Jahr zum zweiten Mal begleitet hat.

Weitere Details und Ergebnisse der Studie, die am 17. Dezember 2021 vollständig veröffentlicht werden soll, stellte der Gründer und Geschäftsführer von Next:Public Carsten Köppl beim dbb dialog exklusiv vor, um sie mit dbb Chef Silberbach,, Ramona Schumann (Bürgermeisterin Stadt Pattensen), Patrick Burghardt (Staatssekretär für Digitale Strategie und Entwicklung und CIO des Landes Hessen) und Jörg Bentmann (Abteilungsleiter Zentrale Dienste im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat) zu diskutieren.

Nur 8 Prozent wollen kein Homeoffice

Die Befragung, erklärte Köppl, wurde unter über 2.500 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund, Ländern und Kommunen im Herbst 2021 durchgeführt, bezog sich aber inhaltlich auf den sogenannten „zweiten Lockdown“ in der ersten Jahreshälfte. In dieser Zeit haben demnach 60 Prozent der Befragten mehrheitlich im Homeoffice gearbeitet, immerhin 5 Prozentpunkte mehr als bei der ersten Befragung. „Dazu muss man aber sagen, dass die Teilnehmer überwiegend in Verwaltungsberufen arbeiten, in den Homeoffice auch grundsätzlich verbreiteter ist als etwa bei der Polizei oder im Lehramt“, erläuterte Köppl. Den stärksten Zuwachs (von 37 auf 52 Prozent) habe es dabei auf kommunaler Ebene gegeben, während der Bund mit 73 Prozent den insgesamt höchsten Anteil aufwies.

Auch der Wunsch nach der Möglichkeit, in den eigenen vier Wänden zu arbeiten, ist deutlich gestiegen. Mittlerweile wünscht sich mit 38 Prozent (+4 zu 2020) der größte Teil der Teilnehmenden das ein bis zwei Tage pro Woche tun zu können. „Wirklich bemerkenswert ist hier, dass nur noch 8 Prozent der Beschäftigten gar nicht im Homeoffice arbeiten wollen“, unterstrich der Chef von Next:Public.

Für den dbb Bundesvorsitzenden Silberbach sind diese Zahlen ein klarer Auftrag: „Die Kolleginnen und Kollegen sind willens und bereit, mobiler und agiler zu arbeiten. Dafür müssen Dienstherrn und Arbeitgeber sie entsprechend ausstatten. Das ist auch ein wichtiger Aspekt für die Nachwuchsgewinnung – junge Menschen fordern das ein. Wir dürfen keine Angst vor der Digitalisierung und agilen Arbeitsmodellen haben, die zwingend notwendig sind für einen krisenresilienten Staat. Das hat uns die Pandemie überdeutlich vor Augen geführt.“ Gleichzeitig mahnte der dbb Chef in diesem Zusammenhang aber an, dass zwar der Begriff „Homeoffice“ allgemein gebräuchlich sei, in der Regel aber „Mobiles Arbeiten“ gemeint und auch der praktikablere, weil viel flexiblere Weg sei.

Immer noch zu viel Präsenzkultur

Die Gründe dafür, dass immerhin 40 Prozent während des „Lockdowns“ nicht mehrheitlich im Homeoffice arbeiten konnten, hat Next:Public ebenfalls abgefragt. Dass die eigene Tätigkeit nicht im Homeoffice ausgeübt werden kann, wurde dabei am häufigsten genannt. „Das ist natürlich einleuchtend. Leider wurden „fehlende durchgängige digitale Prozesse“ (30 Prozent), „fehlende technische Endgeräte“ (30 Prozent) und „Widerstand der Vorgesetzten“ (26 Prozent) sehr oft genannt. Gerade der letzte Punkt hat uns doch sehr erstaunt“, erläuterte Köppl.

„Neben dem nach wie vor eklatanten Personalmangel in sämtlichen Bereichen haben wir offensichtlich weiterhin gravierende technische und strukturelle Defizite. Wenn wegen des Fehlens von Ausstattung und digitalen Prozessen noch immer mehr als ein Drittel der Beschäftigten nicht mobil arbeiten kann, ist das ein Armutszeugnis für die viertgrößte Wirtschaftsnation auf diesem Planeten. Auf dem Weg zum digitalen Staat brauchen wir aber augenscheinlich auch einen noch viel deutlicheren Wandel des Mindsets. Denn wie die Studie zeigt, ist die Präsenzkultur im öffentlichen Dienst noch zu weit verbreitet“, kritisierte Silberbach und forderte mehr Qualifikation insbesondere für Führungskräfte. „Das brauchen wir dringend: mehr Eigenverantwortung und mehr Vertrauen.“

Dass es diesen Wandel bereits gibt, zeigte Patrick Burghardt auf, der in seiner Funktion als Chief Information Officer (CIO) des Landes Hessen für die Steuerung der IT-Gesamtstrategie seines Bundeslandes zuständig ist und auch im IT-Planungsrat von Bund und Ländern sitzt. In Hessen, so Burghardt seien Homeoffice beziehungsweise Mobiles Arbeiten in der Landesverwaltung bereits vor der Pandemie ein Thema gewesen – es sei allerdings nicht offen diskutiert worden. „Ein Grund dafür waren Vorbehalte insbesondere unter Führungskräften. Frei nach dem Motto ‚wenn ich die Kollegen nicht sehe, arbeiten sie nicht vernünftig‘“, bestätigte er grundsätzlich die Problemlage. Während der Pandemie habe sich das Misstrauen aber sehr schnell zu einem konstruktiven Miteinander gewandelt. „Den Erfolg kann man daran ablesen, dass wir heute eine Betriebsvereinbarung haben, die es erlaubt, bis zu 50 Prozent der regulären Arbeitszeit von zu Hause aus zu erledigen. Die entsprechenden Arbeitsplätze sind dazu mit mobiler Technik ausgestattet worden.“ Möglich sei dies unter anderem auch aufgrund der besonderen IT-Infrastruktur in der Hessischen Landesverwaltung: Bereits zehn Jahre vor der Pandemie habe Hessen auf eine breite Standardisierung gesetzt: „Heute arbeiten alle Kolleginnen und Kollegen von der Verwaltung über die Polizei bis hin zum Ministerpräsidenten nicht nur auf der gleichen Software-Plattform, sondern auch auf dem standardisierten ´Hessen PC´“, erklärte Burghardt.

Qualifizierung ist entscheidend, gerade auf den Führungsebenen

Damit lenkte Hessens CIO den Blick vom Homeoffice/Mobilen Arbeiten auf die vielen strukturellen Fragen, die bei der Verwaltungsdigitalisierung entscheidend sind. Auch dazu hatte Next:Public-Geschäftsführer Köppl erste Ergebnisse mitgebracht: „Den größten Investitionsbedarf in ihren Behörden sehen die von uns Befragten in den Bereichen „Digitale Prozesse“ (77 Prozent), „Technische Arbeitsausstattung“ (68 Prozent) und „Qualifizierung“ (68 Prozent).“

Für Ramona Schumann, Bürgermeisterin von Pattensen, sind diese Zahlen nachvollziehbar: „Ich kümmere mich seit sieben Jahren als Bürgermeisterin um die Digitalisierung und habe die Erfahrung gemacht, dass wir uns zuerst Prozesse zuerst angucken müssen.“ Als Beispiel nannte sie die Bearbeitung von Elterngeldanträgen, die von vielen Kommunen erledigt werden müssten. Dadurch würden enorm viele Arbeitskräfte gebunden, obwohl „wir zu wenig Personal haben und auch nicht genügend Bewerber den Weg zu uns finden. Wir müssen zentralisierte Dienstleistungen anbieten und wenn möglich auch Abläufe automatisieren. Es reicht doch in der Regel, wenn bei den komplexen Fällen ein Fachkraft draufschaut.“ Auch der Wunsch nach mehr Qualifizierung ist für Schumann verständlich, in den Kommunen gebe es großen Qualifizierungsbedarf. „Deshalb freue ich mich über die im Ampel-Koalitionsvertrag erklärte Absicht, dass alle Mitarbeiter zu digitaler Arbeit befähigt werden sollen. Begonnen werden sollte damit auf der Führungsebene.“

Dem stimmte auch Jörg Bentmann, Leiter der Abteilung „Zentralabteilung“ im Bundesministerium des Innern und für Heimat, zu: „Wir brauchen Angebote, die unsere Beschäftigten auf dem Weg in die Digitalisierung mitnehmen und sie gut auf das mobile Arbeiten vorbereiten. Das wird neben den technischen Anforderungen unsere Hauptaufgabe sein. Vorrangig wird es jetzt darum gehen, die Führungskräfte zu schulen.“ Fortbildungskonzepte seien bereits vorhanden, aber „wir müssen aber noch schneller und besser werden.“ Insgesamt sei noch viel zu tun, nicht nur bei der Digitalisierung von Dienstleistungen, wie etwa beim Onlinezugangsgesetz (OZG). „Digitalisierung bedeutet eben mehr. Auch mehr, als die Technik auf den neuesten Stand zu bringen. Es geht ebenso um unsere internen Prozesse. Aber das wird Geld kosten“, stellte Bentmann klar.

Ohne Investitionen wird es nicht gehen

„Der Staat und seine Funktionsstrukturen brauchen eine nachhaltig resiliente Ausgestaltung in personeller und materieller Hinsicht. Denn wie die Ergebnisse der Studie zeigen, hat sich in dieser Hinsicht im zweiten Pandemiejahr noch zu wenig getan“, fasste dbb Chef Silberbach zusammen. „Neben dem nach wie vor eklatanten Personalmangel in sämtlichen Bereichen haben wir weiterhin gravierende technische und strukturelle Defizite. Es gilt, die Transformation gemeinsam auszugestalten mit den Menschen im Mittelpunkt, mit Beschäftigten, Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen. Dann können Land und Leute mit einem modernen Staat an ihrer Seite optimistisch in die Zukunft gehen. Den Verantwortlichen in der Politik muss allerdings klar sein, dass es diesen öffentlichen Dienst der Zukunft nicht zum Nulltarif geben wird. Eine gelungene digitale Transformation erfordert massive Investitionen in Personal, Know-how, Hard- und Software. Wenn man meint, hier auch weiterhin bis zum Anschlag sparen zu können, wird sich das bitter rächen.“

 

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