Frauenpolitische Fachtagung 2022

Geschlechtergerechte Arbeitswelt: „Wir müssen mit dem Status quo brechen“

Gleichstellung in der Transformation der Arbeitswelt kann nur in Zusammenarbeit mit den Beschäftigten gelingen. Das erfordert vor allem auch ein modernes Personalvertretungsrecht.

Politik & Positionen

„Mobiles Arbeiten, Führen aus der Ferne und selbstbestimmte Arbeitszeiten – New Work bietet auch dem öffentlichen Dienst die Chance, sich von der Präsenzkultur zu verabschieden, die Menschen mit weniger Fürsorgeaufgaben – und das sind vorrangig Männer – in ihrer Karriereentwicklung begünstigt. Flexible Arbeitsmodelle und Führungskonzepte wie Job- oder Top-Sharing, eröffnen Alleinerziehenden – und das sind überwiegend Frauen – ganz neue Möglichkeiten, sich finanziell besser aufzustellen“, machte Milanie Kreutz, Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung, in ihrer Auftaktrede zur Frauenpolitischen Fachtagung „New Work: Chance und Risiko für die Gleichstellung der Geschlechter“ am 2. Juni 2022 in Berlin deutlich.

Kreutz: Transformation im öffentlichen Dienst geschlechtergerecht gestalten

Im „Bruch mit dem Status quo“ sieht Kreutz eine Voraussetzung, um die digitale Transformation im öffentlichen Dienst geschlechtergerecht zu gestalten. Starre Hierarchien und eine Führungskultur, in der Leistung und Arbeitszeit gleichgesetzt würden, stünden zunehmend im Konflikt mit den praktischen Arbeitsweisen und Abläufen einer digitalen Verwaltung. „Um diesen Alltags-Konflikt in eine Win-Win-Situation für Dienstgebende und Beschäftigte zu verwandeln, müssen wir Frauen im öffentlichen Dienst mitreden. Wir stellen die Mehrheit der Beschäftigten und sind damit Teil der Lösung. Das setzt allerdings ein gleichstellungsorientiertes Dienstrecht ebenso voraus wie zeitgemäße Beteiligungsmöglichkeiten für Personalvertretungen“, so Kreutz.

Silberbach: Dienstgebende und Beschäftigte müssen an einem Strang ziehen

Auch der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach betonte in seinem Grußwort die Schlüsselrolle des dbb als gewerkschaftlicher Spitzenverband für den öffentlichen Dienst: „Es liegt in unserer DNA, den Wandel der Arbeitswelt gründlich zu begleiten und genau darauf zu achten, dass die Rechte und Interessen der Beschäftigten nicht zu kurz kommen.“ Den Blick auf den massiven Fachkräftemangel in fast allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung gerichtet, forderte Silberbach: „Die Anziehungskraft, die eine digitale und geschlechtergerechte Arbeitskultur auf qualifizierte Fachkräfte ausübt, muss auch in den Verwaltungen als Mittel zum Zweck angesehen werden. Zukunftsfähiger Arbeitgeber kann nur sein, wer sich der Digitalisierung und der notwendigen Weiterentwicklung der Behördenkultur in aller Konsequenz öffnet. Dazu gehört es eben auch, ein Gesamtpaket an attraktiven Beschäftigungsmaßnahmen anzubieten und mutig neue Konzepte auszuprobieren.“ Dass dies am besten funktioniere, wenn Dienstgebende, Beschäftigte und deren Interessenvertretungen öfter an einem Strang ziehen würden, zeige beispielsweise der gemeinsame Modellversuch, mit dem die dbb frauen und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „Führen in Teilzeit“ in der Bundesverwaltung etablieren wollen. „Das ist genau das, was ich mir unter erfolgreicher Arbeit der Zukunft vorstelle“, so Silberbach.

Paus: Führen in Teilzeit ist zentraler Baustein

Für eine geschlechtergerechte Arbeitswelt gehe der Bund mit gutem Beispiel voran, betonte die Bundesministerin für Familie Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus, in ihrem Grußwort. „Unser Ziel ist Gesetz: gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Bundesverwaltung bis 2025. Das Vorhaben ist ambitioniert, aber der Weg klar – wir brauchen eine moderne Verwaltung mit flexiblen Arbeitszeiten und fairen Karrierechancen für Frauen. Auch mehr Führen in Teilzeit ist in unserem ‚Plan FüPo 25‘ ein zentraler Baustein“, so Paus. Bisher beschäftigten 20 der 23 obersten Bundesbehörden weniger Frauen als Männer in Führungspositionen, „da sind wir mit der Parität im Bundeskabinett weiter“.

Im öffentlichen Dienst insgesamt sei Führen in Teilzeit wie in der freien Wirtschaft immer noch die Ausnahme, „und diese Ausnahme ist weiblich“. Dabei, so Lisa Paus, liege darin ein enormes Potential, um Gleichstellung zu fördern. Hier müsse man in den nächsten Jahren unbedingt weiterkommen. 75 Prozent aller Beschäftigten in systemrelevanten Berufen seien Frauen, so die Ministerin weiter. „Die Frauen haben die Pandemie buchstäblich ‚gewuppt‘!“ Die Krise der letzten Jahre habe zwar alle herausgefordert, aber auch Neues ermöglicht. Paus: „Die Digitalisierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt bringt Chancen für die Gleichstellung: Mehr Homeoffice und mobiles Arbeiten, weniger Wegezeiten, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es entstehen aber auch neue Gefahren. Mobiles Arbeiten darf nicht zur Homeoffice-Falle für die Frauen werden. Die Kolleginnen müssen im Betrieb und in der Dienststelle sichtbar bleiben. In diesem Kontext sind die Themen Kommunikation und Führungskultur besonders wichtig.“

Die 400.000 im dbb organisierten Frauen seien die Expertinnen, die wüssten, was die Kolleginnen vor Ort brauchen, um in Führungspositionen aufzusteigen. „Deshalb freue ich mich sehr über die Unterstützung der dbb bundesfrauenvertretung für unser Vorhaben. Durchsetzung von Chancengerechtigkeit im öffentlichen Dienst – das macht Sie aus“, so Paus.

Borggräfe: Moderne Verwaltung ist divers, agil und zukunftsfähig

„Es muss etwas passieren bei der Verwaltungsmodernisierung“, lautet das Credo von Dr. Julia Borggräfe, Associate Partner bei Metaplan. Für die Juristin und Verwaltungsspezialistin sind Innovationen in der Verwaltung aus verschiedenen Gründen unabdingbar. Zum einen, weil die öffentliche Verwaltung ein Kernelement der Demokratie ist: „Das ist der Teil von Demokratie, den Bürgerinnen und Bürger täglich erleben, denn mit 78 Prozent hat fast jede und jeder einmal pro Jahr Kontakt zu einer Behörde. Wie dieser Kontakt aussieht, entscheidet über das Gefühl der Menschen, ob Demokratie funktioniert oder nicht.“ Bürgerinnen und Bürger erlebten derzeit aber massiv, dass Arbeitsprozesse und Digitalisierung in der Verwaltung unzureichend sind. Zusammen mit der demografisch bedingten Zunahme des Personalmangels bestehe daher dringender Innovationsbedarf. Verwaltung stehe in ständigem Legitimationszwang gegenüber der Gesellschaft, machte Borggräfe deutlich. Wenn die Legitimation des Verwaltungshandelns nicht mehr schlüssig vermittelt werden könne, drohe eine Erosion der Legitimationsfähigkeit des Staates. „Somit sichert Verwaltungsinnovation die demokratische Systemerhaltung“, erläuterte Borggräfe. Das Gelingen der digitalen Transformation setze Verwaltungsinnovation voraus, was Prozesse und Organisation gleichermaßen betreffe. „Digitale Transformation setzt als Gelingensbedingung eine innovative Verwaltung voraus, weil dadurch neue Spannungen entstehen, die gemanagt und bearbeitet werden müssen – sowohl im Bereich der formalen als auch der informalen Strukturen.“ Das sei vor allem auch im Zusammenspiel mit der Wirtschaft essenziell.

Zum anderen, führte die Verwaltungsexpertin aus, dürfe der „Impact“ von Transformationsprozessen auf die Organisation nicht vernachlässigt werden, damit die Beschäftigten Innovationen mittragen. Als Rahmenbedingungen für das Verwaltungshandeln umriss Borggräfe die Komplexe Pandemie, Klimakrise, Digitalisierung, Diversität, Urbanisierung und Demografischer Wandel: Bisher konzentriere man sich auf digitale Anwendungen und deren Implementierung. Es müsse aber ebenso betrachtet werden, wie sich digitale Anwendungen auf die Führungskultur auswirken und wie neue Kommunikationstools Verwaltungsstrukturen und Prozessorganisation verändern. „Prozesse müssten stärker aus einer Nutzerinnen-Nutzer-Perspektive betrachtet werden. Wir müssen uns die Frage stellen: Welchen formalen Rahmen brauchen Innovationen?“

Die Schlüssel zum Gelingen der Transformation böten Diversität, Agilität und Zukunftsfähigkeit: „Diverse Teams treffen nachweislich die besseren Entscheidungen. Durch Diversität ist es möglich, Spannungen innerhalb der Belegschaft, bei der Einbindung der Bürgerinnen- und Bürger-Perspektive sowie auf Prozessebene zu bewältigen. Agile Formate des Verwaltungshandelns schaffen Möglichkeiten, Neues auszuprobieren und zu implementieren. Zukunftsfähigkeit richtet letztlich einen Suchscheinwerfer auf die Strukturen der Verwaltung, um Innovationspotenzial zu erkennen.“

Yollu-Tok: Mobile Arbeit ist kein Allheimittel

Die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit in der digitalen Transformation der Arbeitswelt war Thema von Aysel Yollu-Tok, die den Themenkomplex „New Work“ um Erkenntnisse und Aspekte auch aus der häuslichen Situation erwerbstätiger Frauen ergänzte. Die promovierte Volkswirtin mit Schwerpunkt Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die seit Oktober 2017 an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWS) lehrt und dort zugleich Direktorin des Harriet Taylor Mill‐Instituts für Ökonomie und Geschlechterforschung (HTMI) ist, präsentierte Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Forschungen zur „Care-Arbeit“ und setzte dazu Akzente aus dem aktuellen Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, den sie als Vorsitzende mit verantwortet.

„Frauen leisten immer mehr Care-Arbeit.“ Diese Aussage zog sich wie ein roter Faden durch den Vortrag. In der „Rush Hour des Lebens“ – also im Alter von Mitte 30 bis Mitte 40, wo sich wesentliche berufliche und familiäre Ereignisse bündeln, – klaffe der größte „Gender Care Gap“ zwischen den Geschlechtern, erläuterte Yollu-Tok: „Frauen leisten dann durchschnittlich fünf Stunden und 18 Minuten Care-Arbeit täglich, Männer dagegen nur zwei Stunden und 31 Minuten“. Auch beim Einbezug anderer Lebensabschnitte weist die Forschung kaum bessere Werte auf: 2017 leisteten in heterosexuellen Paarhaushalten die Frauen 66 Prozent der Sorgearbeit im gemeinsamen Haushalt. Arbeiten beide Partner im Homeoffice, erhöhten Männer 2017 ihre Sorgearbeit um 0,6 Stunden, Frauen um 1,6 Stunden. Selbst während der Corona-Pandemie, als die Betreuungsstrukturen infolge geschlossener Kitas und Schulen komplett zusammengebrochen waren, erhöhte sich die Betreuungsarbeit bei den Vätern im Durchschnitt von zwei auf vier Stunden, während sie bei den Müttern von durchschnittlich fünf auf 7,5 Stunden kletterte.

Vor diesem Hintergrund müsse bei der Bewertung von „New Work“ auch das Geschlechter-Thema in den Blick genommen werden: „Die Chancen und Risiken von Homeoffice betreffen Frauen und Männer zwar gleichermaßen – die Auswirkungen sind aber vergeschlechtlicht“, stellte Yollu-Tok klar. Schließlich sei die gesundheitliche Selbstgefährdung, die Homeoffice mit sich bringen könne, bei Männern und Frauen auf grundverschiedene Ursachen zurückzuführen: „Männer, die zu Hause arbeiten, sind mit einem großen Maß an Arbeitsintensität und Mehrarbeit konfrontiert, ihre Selbstgefährdung geht auf bezahlte Erwerbsarbeit zurück, während Frauen im Homeoffice ihre unbezahlte Sorgearbeit ausweiten. Mit anderen Worten: Männer werden für die Selbstgefährdung bezahlt, Frauen aber nicht“, zitierte Yollu-Tok ein Ergebnis aus dem Dritten Gleichstellungbericht.

Fazit der Wirtschaftswissenschaftlerin: Mobile Arbeit biete gute Chancen für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs-und Sorgearbeit. „Sie ist aber kein Allheilmittel. Hierfür müssen Geschlechterstereotype abgebaut werden, die Frauen eine 'natürliche' Begabung für Sorgearbeit zuschreiben, sozial- und steuerrechtliche Regelungen reformiert werden, die die ungerechte Verteilung von Sorgearbeit befördern, und Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder Pflegearrangements nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ an den Bedarfen angepasst werden.“

Spörrle: Geschlechterbezogenen Asymmetrien in der digitalen Teilhabe entgegenwirken

Prof. Dr. Matthias Spörrle, Professor für Wirtschaftspsychologie u. a. an der Hochschule für Angewandtes Management in Erding und der Privatuniversität Schloss Seeburg, lenkte den Blick auf die „Digitale Chancengerechtigkeit für Frauen“. Er zeigte auf, dass deutliche geschlechterbezogene Asymmetrien bei Kompetenzen für und Teilhabe an Digitalisierung bestehen. Während die digitalen Zugangsmöglichkeiten in Europa und Deutschland grundsätzlich und geschlechterübergreifend sehr hoch seien, erfolge bereits die Nutzung digitaler Technologien deutlich einseitiger, noch gravierender seien die Unterschiede bei der Ausgestaltung der digitalen Transformation.

„Wer ist hauptsächlich mit der Einführung digitaler Lösungen und Künstlicher Intelligenz befasst, wer verantwortet hier Entscheidungen und Prozesse?“, fragte Spörrle. Die Antwort: „Überwiegend Männer.“ Ob Anwendungen für den täglichen Gebrauch im Arbeitsalltag, Algorithmen etwa für die Personalauswahl oder tausende andere Prozesse – „diese Dinge sind selektiert und programmiert von Männern. Das ist selektiv, das ist kein robustes System und gesamtgesellschaftlich problematisch“, warnte der Wissenschaftler. Spörrle machte anhand eines Blicks zurück in die Geschichte das Ausmaß der männlichen Dominanz bei der digitalen Transformation deutlich: „Während die industrielle Revolution nicht ganz, aber doch halbwegs von beiden Geschlechtern mitgetragen wurde, liegt das Verhältnis zwischen gestaltenden Männern und Frauen bei der digitalen Revolution derzeit bei 90 zu 10. Das bedeutet eine noch radikalere Nicht-Teilhabe von Frauen als bei der industriellen Revolution.“ Es gelte, dieser asymmetrischen Ausgrenzung entgegenzuwirken. Zum einen durch den massiven Aufbau von Kompetenz: „Kompetenz ist ein wichtiger Faktor, wenn es um die Ursachen ungleicher Teilhabemöglichkeiten bei der Digitalisierung geht.“

Grundsätzlich stünde heute insbesondere auch digital ein immenses Bildungsangebot in Sachen Digitalisierungskompetenz zur Verfügung – was jedoch auch überwiegend nur von Männern genutzt werde. „Wenn wir hier nicht aktiv gegensteuern, werden die Unterscheide immer größer“, zeigte Spörrle auf. Wichtig sei, dass Frauen die Einladung zum Kompetenzerwerb annehmen und zudem Führungskräfte digitale Aus- und Weiterbildung nachdrücklich incentivieren. Insbesondere von „Institutionen, die stark in der Standardisierung sind“ – sprich dem öffentlichen Dienst – erhoffe er sich hier ein beispielhaftes Vorangehen, so Spörrle.

Fishbowl-Debatte: Von klassischer Behördenarbeit zu New Work

„Von klassischer Behördenarbeit zu New Work – muss sich der öffentliche Dienst für eine geschlechtergerechte Arbeitswelt grundlegend ändern?“ lautete der Titel der Fish-Bowl-Debatte am Nachmittag. Neben Julia Borggräfe und Matthias Spörrle diskutierten dbb frauen Chefin Milanie Kreutz sowie Joachim Kremser, Referatsleitung Organisation, IT, Haushalt, Beschaffung in der Oberfinanzdirektion NRW, mit dem Publikum.

Joachim Kremser machte deutlich, dass die Pandemie einen enormen Beschleunigungseffekt auf die Digitalisierung gehabt habe, ohne den die heutigen flexiblen Arbeitsmöglichkeiten in seiner Finanzverwaltung nicht denkbar gewesen seien. Zwar habe man sich vor der Pandemie mit mobilen Arbeitsweisen befasst, jedoch war dieser Versuch noch eher zögerlich. „Beharrungsvermögen wurde in der Pandemie aufgelöst, Bedenken mussten hintenangestellt werden, man hat es einfach gemacht. Zwei Jahre Feldversuch haben uns dazu gebracht: Das machen wir nach Corona weiter.“ Neben dem Ausbau der technischen Infrastruktur gehörten vor allem auch Führungspersonen dazu, die diesen Schub in dauerhafte Transformationsprozesse überführen wollten, sowie Fortbildungsmöglichkeiten und Onboarding-Prozesse, die die virtuelle mit der analogen Arbeitswelt verbinden.

Milanie Kreutz, die in der Finanzverwaltung NRW tätig ist, stellte klar: „Es führt kein Weg zurück“. Mobiles Arbeiten brauche Rahmenbedingungen, die zu den jeweiligen Beschäftigten und deren Arbeitsauftrag passten. „Deshalb setzen wir uns dafür ein, nicht nur ein Recht auf mobiles Arbeiten durchzusetzen, sondern gleichzeitig auch das Anrecht auf einen Büroarbeitsplatz zu erhalten.“ Personalvertretungen sollten stärker eingebunden werden. Vor allem aber die Führungskräfte müssten in diesem Prozess mitgenommen werden. „Es geht jetzt darum, die Akzeptanz von flexiblem Arbeiten an die Basis zu bringen.“ Aber auch ein gleichstellungsorientierter Führungsstil müsse gefördert und gefordert werden, etwa über die Einführung entsprechender Leistungskriterien sowie Führungsmodelle wie Top-Sharing und Führen in Teilzeit, die Leitungsaufgaben für Frauen noch attraktiver machten.

Prof. Dr. Matthias Spörrle riet vor allem dazu, Sicherheit gebende Strukturen vorzuhalten, vor allem für Mitarbeitende, die digital aufgegleist worden seien. Hier müsse auch darauf geschaut werden, wie hoch das Sicherheitsbedürfnis der Beschäftigten sei etwa mit Blick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder das Alter der Beschäftigten. Teilhabe für alle zu gewährleisten, sei „die wirkliche Arbeit“. Mit Blick auf die Einführung von co-kreativen Arbeitsweisen müsse auch die architektonische Umgebung für neue Arbeitsweisen berücksichtigt werden. Beispielsweise sollte es Rückzugsorte für Beschäftigte geben, die ungestörtes Arbeiten ermöglichen, während gleichzeitig nicht mehr für jede Arbeitskraft ein eigenes Büro vorgehalten werden könne.

Borggräfe führte die Frage nach äquivalenter Behandlung der Beschäftigten ins Feld. Insbesondere dort, wo Tätigkeiten nicht in Homeoffice ausgeübt werden können, müsse überlegt werden: „Was kann als Ausgleich angeboten werden, um gefühlte Ungerechtigkeit auszugleichen?“ Zudem müsse auch hinterfragt werden, inwiefern mobiles Arbeiten als Privileg angesehen werde. „Es reicht nicht aus, nur darüber zu sprechen.“ Auch gehe es darum, zu überlegen, welches Mittel Führungskräften an die Hand gegeben werden könne, damit sie in einer digitalen Welt auch führen können. Hier seien beispielsweise Dienstvereinbarungen, die gemeinsam mit den Beschäftigten erstellt werden, ein probates Mittel.

Ein freier Stuhl in der Expertenrunde galt als Einladung zum Mitdiskutieren, die rege von den rund 150 Teilnehmenden angenommen wurde. Eingebracht wurden neben Erfahrungen und Herausforderungen aus der eigenen Verwaltungspraxis vor allem auch Lösungsansätze, die sich bereits bewährt haben. Moderatorin Juliane Hielscher führte beherzt durch die Fishbowl-Debatte.

Hintergrund

Unter dem Motto „New Work: Chance und Risiko für die Gleichstellung der Geschlechter“ nahmen die dbb frauen auf der 16. Frauenpolitischen Fachtagung am 2. Juni 2022 die Arbeitsplätze von Frauen im öffentlichen Dienst in den Blick und warfen ein Schlaglicht auf die Entwicklungen digitaler Arbeitsweisen seit Beginn der Pandemie. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten, Meinungsführenden sowie Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aus Politik, Verwaltung und den dbb Gewerkschaften gingen sie der Frage nach, wie New Work dazu beitragen kann, die faire Aufteilung von familiärer Sorgearbeit und Erwerbstätigkeit in Familie zu bringen und wie der öffentliche Dienst zum Vorreiter für geschlechtergerechtes digitales Arbeiten wird.

 

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