dbb magazin 1-2/2022

Die nationale Verwaltung, durch die Arbeit ihrer Bediensteten in den Ministerien, ist für die kommende französische Ratspräsidentschaft von entscheidender Bedeutung, da sie gemeinsam mit der europäischen Verwaltungsebene die EU-Rechtsetzung begleiten wird. Unabhängig von diesem Kontext sind die Verwaltungen, insbesondere auf deutsch-französischer Ebene, proaktiv, um den zwischenstaatlichen Austausch im öffentlichen Dienst zu fördern. Die dadurch ermöglichte engere Zusammenarbeit begünstigt das Entstehen einer gemeinsamen Verwaltungskultur in Europa. Ich bin persönlich mit mehreren Austauschbeamten in Kontakt gekommen und habe mich vomMehrwert solcher Maßnahmen überzeugen können. Wie soll die EU damit umgehen, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in mehreren EU-Staaten massiv gefährdet sind? Die Rechtsstaatsprinzipien sind das Wertefundament, auf dem die EU beruht, und nicht verhandelbar. Es geht um gegenseitiges Vertrauen, das nicht unterminiert werden darf. Gleichzeitig müssen wir aber die historischen und kulturellen Hintergründe der einzelnen Mitgliedstaaten beachten. Die Veröffentlichung des Berichtes über die Rechtsstaatlichkeit in der EU im Juli dieses Jahres hat die strukturellen Probleme der Unabhängigkeit der Justiz und der Medien in einigen Ländern wie Polen und Ungarn hervorgehoben. Darüber hinaus hat das Europäische Parlament seit Dezember 2020 über einen Mechanismus zur Konditionalität der Auszahlung europäischer Fonds abgestimmt. Dieser Mechanismus ist, sofern er tatsächlich umgesetzt wird, ein wirksames Mittel, um die Demokratie und die Grundlagen der Rechtsstaatlichkeit in der EU zu gewährleisten. Der Gerichtshof der Europäischen Union soll spätestens Anfang 2022 über die Legitimität des Mechanismus entscheiden. Welche europäische Politik empfehlen Sie mit Blick auf Flüchtlingsströme, Asyl und Migration? Die Vorschläge der Europäischen Kommission im Bereich der Flüchtlingspolitik mit dem neuen Pakt für Asyl und Migration sind mit der Gründung einer gemeinsamen Asylbehörde als auch eines Solidaritätsmechanismus im Krisenkontext besonders willkommen. Ich hoffe, dass sich während des französischen Ratsvorsitzes in diesem Bereich etwas bewegen wird. Wir benötigen allerdings auch eine gemeinsame, legale Einwanderungspolitik in der europäischen Union. Stichwort Klimaschutz: Wie viel Gemeinsamkeit haben Frankreich und Deutschland in der Energiepolitik? In der Energiepolitik sind Frankreich und Deutschland oft auf einer unterschiedlichen Linie, was die ambitionierte Kooperation in diesem Bereich aber nicht grundsätzlich ausschließt, da unser Ziel letztlich das Gleiche ist: die Klimaneutralität 2050. Vor allem die Nuklearenergie, die Frankreich als ein Mittel des Energiewandels betrachtet, ist ein strittiger Punkt, vor allem in Bezug auf die Klassifizierung auf europäischer Ebene, der Taxinomie. Auf französischer Seite wird natürlich die Kohlenutzung sowie die Abhängigkeit von russischem Gas mit Skepsis betrachtet. Die deutsch-französische Erklärung vom 31. Mai enthält jedoch eine starke gemeinsame Position, die der Umsetzung des „Green Deals“ und der Reduzierung der Treibhausgase von 55 Prozent bis 2030 entspricht. Ich bin überzeugt, dass Frankreich und Deutschland gemeinsam eine langfristige und nachhaltige Position im Bereich Klimaschutz entwickeln werden. Wie wird Europa 2030 aussehen? Worauf hoffen und was fürchten Sie? Ich hoffe, dass wir einen effektiven Weg für eine klimaneutrale, sozial gerechte und weltpolitisch unabhängige EU, die die Rechte ihrer Bürger und Bürgerinnen verteidigt, finden werden. Dies wird vor allem die Entscheidung der Bürger selbst sein und damit ihre Fähigkeit, sich vor rechtsextremen und populistischen Strömungen zu schützen. Daher muss die EU auch neue demokratische Wege finden und die Repräsentativität ihrer Bürger verbessern. Initiativen, wie die Konferenz über die Zukunft Europas, sind ein Anfang auf diesemWeg. Die Fragen stellte Christian Moos. Das gesamte Interview online in der aktuellen Ausgabe der dbb europathemen: https://bit.ly/3GX54i8 Webtipp Sabine Thillaye ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Nach einem Jurastudium in Münster übersiedelte sie nach Frankreich und gründete eine Kommunikationsagentur, die sie von 1987 bis 2017 leitete. Seit den Parlamentswahlen von 2017 ist Thillaye Abgeordnete des fünften Wahlkreises des Départements Indre-et-Loire in der französischen Nationalversammlung und wurde im Juli 2021 Präsidentin des dortigen Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. © privat Foto: Nirots/Colourbox.de INTERN 31 dbb magazin | Januar/Februar 2022

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