dbb magazin 10/2021

gleichstellung 15 Jahre Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland Gleichbehandlung ist kein „Nice-to-have“, sondern ein Recht für alle Vor 15 Jahren trat das Antidiskriminierungsgesetz (AGG) in Kraft. Mit dem kommissarischen Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, sprachen wir über bestehende Defizite bei der Gleichstellung im öffentlichen Dienst und wie das Gesetz dazu beiträgt, das Zusammenleben in unserer Gesellschaft zum Positiven zu verändern. 2006 wurde in Deutschland das Antidiskriminierungsgesetz eta- bliert. Warumwar das nötig? Das AGG war nötig, um den Schutz aller Menschen vor Dis­ kriminierung im Arbeitsleben und bei Alltagsgeschäften zu verbessern und weiterzu­ entwickeln. Das Diskriminie­ rungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz reicht hierzu al­ lein nicht aus, denn es bezieht sich nur auf staatliches Han­ deln und gilt nicht unmittelbar zwischen Privatpersonen. Vor allen aber bezweckte das AGG die, wenn auch teilweise ver­ spätete, Umsetzung von vier EU-Gleichbehandlungsrichtli­ nien in deutsches Recht. Das AGG schafft damit ein einheit­ liches Diskriminierungsverbot in Bezug auf rassistische Diskri­ minierung und Diskriminierun­ gen wegen der ethnischen Her­ kunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität – und das übrigens erst auf euro­ päischen Druck hin. In Deutschland haben insbe­ sondere die Arbeitgeber damals sehr große Widerstände geleis­ tet, mit Argumenten, die aus heutiger Sicht ziemlich merk­ würdig anmuten. Denn zum ei­ nen beharrten sie darauf, dass es in Unternehmen überhaupt gar keine Diskriminierung ge­ ben würde – zum anderen be­ schworen sie für den Fall der Einführung des AGG eine massi­ ve Klagewelle herauf, die dann freilich ausblieb. Gab es Vorbilder? Insbesondere die USA haben seit Langem eine Antidiskrimi­ nierungsgesetzgebung – egal ob es sich um sexuelle Belästi­ gungen handelt oder beispiels­ weise um Diskriminierungen wegen einer Behinderung oder wegen der ethnischen Her­ kunft oder aus rassistischen Gründen. Das heißt nicht, dass dort alles besser wäre – aber Diskriminierung wird dort ein­ fach schon länger offen zur Sprache gebracht und gesetz­ lich adressiert. Hat das AGG unser Zusammen- leben in den vergangenen Jahren verändert? Ich denke ja. Entwürdigung und Einschüchterung, insbeson­ dere von Frauen durch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, wurden viel zu oft ignoriert und verharmlost. Da hat sich heut­ zutage schon einiges getan. Auch bei Alltagsgeschäften ist heute vieles anders. Heutzu­ tage ist es nicht nur verboten, dass ein Restaurant oder ein Hotel ein schwules Paar nur aufgrund seiner sexuellen Ori­ entierung ausschließt. Es würde sich auch kein Gastronommehr trauen, weil die gesellschaftli­ che Akzeptanz von Gleichbe­ handlung – nicht zuletzt auch durch das Aufkommen der sozialen Medien – deutlich zu­ genommen hat. Das gilt aller­ dings nicht in allen Bereichen. Noch immer erleben Menschen, beispielsweise auf demWoh­ nungsmarkt oder bei der Job­ suche, Diskriminierungen. Doch auch hier merken wir, dass die Bereitschaft der Betroffenen, Diskriminierungen nicht länger hinzunehmen, gestiegen ist. Auch das ist eine ganz wichtige Veränderung. In welchem Bereich sehen Sie den größten Gewinn durch das AGG? Der Gewinn besteht für mich darin, dass wir Diskriminierung heute zur Sprache bringen, teil­ weise sogar lautstark, wenn ich an die MeToo-Debatte oder die Rassismus-Debatte denke. Und dass die Gesellschaft – lang­ sam – akzeptiert, dass Gleich­ behandlung kein „Nice-to-have“ ist, sondern ein Recht für alle. Welche Möglichkeiten gibt es, Diskriminierung in der Arbeits- welt zu begegnen? Und welche Rolle spielt hierbei das AGG? Eine weitaus wichtigere, als viele denken. Auch wenn die angebliche Klagewelle bis heu­ te ausgeblieben ist, so schafft das AGG doch einen sehr wich­ tigen Rahmen für Beschäftigte, um gegen Diskriminierung < Der Jurist Bernhard Franke ist seit Mai 2018 kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). © Ingo Heine/ADS 34 dbb > dbb magazin | Oktober 2021

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