dbb magazin 10/2021

rechtlich vorgehen zu können. Unternehmen wissen das – und schreiben heute beispiels­ weise bei Stellen weitgehend diskriminierungsfrei aus. Das ist ein Erfolg des AGG. Aller­ dings sind die Hürden für die individuelle Rechtsdurchset­ zung weiterhin sehr hoch. Das sehen wir kritisch. Von Diskri­ minierung Betroffene haben nur sehr kurze Fristen, um An­ sprüche geltend zu machen – zwei Monate sind beispielswei­ se für von sexueller Belästigung Betroffene, möglicherweise traumatisierte Beschäftigte, einfach zu kurz. Außerdem müssen sie Klagen gegen den Arbeitgeber weitgehend alleine durchziehen – ein Verbands­ klagerecht oder ein Klagerecht der Antidiskriminierungsstelle gibt es leider noch nicht. Was können Behörden und öf- fentliche Arbeitgebende besser machen, um Diskriminierung vorzubeugen beziehungsweise zu verhindern? Gerade der öffentliche Dienst sollte aus meiner Sicht die Viel­ falt unserer Gesellschaft auch besser tatsächlich abbilden. In den vergangenen Jahren ist hier schon viel passiert, wenn ich an Förderprogramme, an die gezielte Ansprache von Menschen mit Einwanderungs­ geschichte oder auch an Quo­ tenregelungen in den Topeta­ gen öffentlicher Unternehmen denke. Aber da geht immer auch noch mehr. Das geht schon bei der Einstel­ lung los. Warum verlangen die meisten Behörden immer noch eine Bewerbung mit Foto, ob­ wohl das weder rechtlich ver­ langt werden darf noch irgend­ etwas über die Qualifikation aussagt? Viele Kommunen set­ zen sehr erfolgreich auf anony­ misierte Bewerbungsverfahren, um sicherzustellen, dass in der besonders diskriminierungsan­ fälligen ersten Phase des Be­ werbungsgesprächs Frauen und Menschen mit Migrations­ geschichte nicht wegsortiert werden. Ich würde mir wün­ schen, dass das mehr Schule macht – denn es geht um die Qualifikation, nicht um das Aussehen oder die Herkunft eines Bewerbenden. Und es geht darum, im Bewerbungs­ gespräch mit seiner Persönlich­ keit punkten zu können. Das geht nicht, wenn ich gar nicht erst eingeladen werde. Es gibt weitere Ansätze, um Vielfalt zu unterstützen. Die Beschäftigtenvertretungen werden in § 16 Abs. 1 AGG aus­ drücklich aufgefordert, im Rah­ men ihrer Aufgaben und Hand­ lungsmöglichkeiten bei der Beachtung der Diskriminierungs­ verbote mitzuwirken. Auch ist es wichtig, Diskriminierungen offen zu thematisieren und nicht zu verstecken. Unser Best- Practice-Portal „Betriebsklima­ schutz“ zeigt hier positive Bei­ spiele auch von öffentlichen Arbeitgebern: Dienstvereinba­ rungen, in denen sexuelle Beläs­ tigung angesprochen und Hilfs­ möglichkeiten thematisiert werden, Beschwerdestellen, die nicht auf dem Schwarzen Brett versteckt werden, sondern sicht­ bar sind, und Betriebsversamm­ lungen, in denen über Benach­ teiligungen gesprochen wird. All das gehört für mich zu einem modernen Arbeitgeber dazu. Noch immer werden Frauen bei der Leistungsbewertung im öffentlichen Dienst indirekt diskriminiert. Wie können Be- urteilungs- und Bewertungs­ kriterien ausgestaltet werden, um diese Art der Benachteili- gung auszuschließen? In der Praxis ist die Diskriminie­ rungsfreiheit von Beurteilungs­ verfahren nicht immer gegeben. Wenn Beurteilungskriterien nicht eindeutig definiert sind oder sich überschneiden, kön­ nen stereotype Annahmen das Beurteilungsergebnis beeinflus­ sen. Teilweise gibt es Beurtei­ lungskriterien, die von Beschäf­ tigten mit Familienaufgaben schwerer zu erfüllen sind, wo­ durch insbesondere Frauen be­ nachteiligt werden. Das können beispielsweise räumliche und zeitliche Flexibilität sowie die Bereitschaft zu Überstunden oder Fortbildung außerhalb der Arbeitszeit sein. Aber auch Be­ urteilungskriterien, die durch Geschlechterstereotype ge­ prägt sind, oder Überschnei­ dungen von Beurteilungsstufen sowie starre Quoten zur Vertei­ lung der zu Beurteilenden auf die Beurteilungsstufen können Diskriminierung begünstigen. Um Benachteiligungen bei Beurteilungen von Leistungen aufspüren zu können, haben wir den „Gleichbehandlungs- Check“ (gb-check) entwickelt. Damit stellen wir ein Analyse­ instrument zur Verfügung, das anhand von 31 Fragen zu Aspekten wie den Grundsätzen der Beurteilung, Beurteilungs­ kriterien, Einstufung und Be­ wertung, Schulung und Infor­ mation sowie Auswertung und Evaluation möglichen Ursa­ chen für Unterschiede bei der Verteilung von Beurteilungser­ gebnissen auf den Grund geht. Sind Sie zufrieden mit den Kom- petenzen, die der Antidiskrimi- nierungsstelle des Bundes der- zeit zugebilligt werden? Ich bin als kommissarischer Leiter in dieser Frage natürlich befangen. Aus meiner Sicht wäre es wichtig, wenn die Anti­ diskriminierungsstelle stärkere Beteiligungsrechte hätte bei al­ len Gesetzen, die mit Diskrimi­ nierung zu tun haben. Und auch ein eigenes Klagerecht, wie das viele Gleichbehandlungsstellen auf europäischer Ebene haben, wäre durchaus sehr sinnvoll. Die Fragen stellte Birgit Strahlendorff. gleichstellung Paragraf 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen ... der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ... zu verhindern oder zu beseitigen.“ Foto: Colourbox.de 35 dbb > dbb magazin | Oktober 2021

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