dbb magazin 7-8/2021

verkehrswende Mittlerweile hat die Stadt Dort­ mund ihre Leitlinien und Wei­ chen für die Mobilitäts- und Verkehrsentwicklung bis zum Jahr 2030 in einem neuen „Masterplan Mobilität“ formu­ liert. „Das ist unser Orientie­ rungsrahmen. Die Konkretisie­ rung der Konzepte erfolgt in Projekten und Maßnahmen, zum Beispiel imÖPNV, Radver­ kehr oder zur Flächengestal­ tung und Verkehrssicherheit“, erklärt Stadtplaner Thabe. Das Feld, das es zu bestellen gilt, ist denkbar weit. „Das Mobilitäts­ geschehen in der Stadt spielt sich ja nicht nur auf den Stra­ ßen ab, sondern auch auf den Gehwegen, Schienenstrecken und den vielen Plätzen. Wir re­ den über Wegeinfrastruktur, aber ebenso über Aufenthalts­ qualitäten des öffentlichen Raums für Fußgänger, die Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmer oder die Wahlfreiheit, nicht auf ein be­ stimmtes Verkehrsmittel fest­ gelegt zu sein.“ Auch geht es neben den unterschiedlichen Verkehrsarten – Fuß- und Rad­ verkehr, motorisierter Individu­ alverkehr, Wirtschaftsverkehr, öffentlicher Personennahver­ kehr, Mobilitäts-Sharing – um Querschnittsthemen wie die Verknüpfung der Verkehrsar­ ten, Barrierefreiheit, E-Mobilität und die Stadtgrenzen über­ schreitende Verkehre insbeson­ dere durch Pendelnde. „Wenn wir die nachhaltige Mobilitäts­ wende wirklich schaffen wol­ len, müssen wir systematisch mit integrierten Konzepten ar­ beiten“, betont Thabe. „Ich kann in einer Großstadt wie Dortmund das Thema Verkehr nicht ohne Wirtschaft und Ein­ zelhandel bearbeiten, auch so­ ziale und kulturelle Aspekte der Stadtentwicklung müssen mit­ gedacht werden.“ Und so legen die Dortmunder größten Wert auf eine möglichst breite Betei­ ligung aller infrage kommen­ den Akteurinnen und Akteure – Politik, Verbände, Kammern, Verwaltung –, alle machen sich gemeinsam auf den Weg. In sämtliche Entscheidungspro­ zesse sind natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger auf breiter Basis eingebunden. < Bürgerbeteiligung als entscheidender Faktor „Die Beteiligung der Menschen ist ein ganz entscheidender Faktor bei der Mobilitätswen­ de“, weiß Stefan Thabe. Es gel­ te, überholte Mobilitätsmuster grundlegend zu verändern. Das funktioniere nur über ein ge­ stärktes Mobilitätsbewusstsein und die positive Erfahrbarkeit neuer Mobilität. „Wohlfahrts­ wirkungen“ nennt das der Ex­ perte: Wer im eigenen Alltag erfährt, dass das persönliche Lebensumfeld qualitativer wird, etwa wegen weniger Autos und Abgasen, besserer ÖPNV-An­ bindung oder schönerer Plätze zum Verweilen, ist tatsächlich und nachhaltig überzeugt. „Mit Reden und viel Papier schaffen wir die Verkehrswende nicht, nur mit Taten“, sagt Thabe. In Dortmund setzt man neben vielfältigen Beteiligungsforma­ ten, unterstützt durch ein ex­ ternes Projektbüro, auf eine starke Kampagne, zügige Er­ gebnisse und eben jene prä­ genden persönlichen Erlebnis­ se. „UmsteiGERN – Du steigst um, Dortmund kommt weiter“ lautet der Claim der Mobili­ tätskampagne, unter deren Dach Botschafterinnen und Botschafter von ihren positi­ ven Erlebnissen mit nachhalti­ gen Verkehrsmitteln berichten, Baufortschritte dokumentiert und attraktive Angebote für emissionsfreies Fortkommen gemacht werden. Bei der Akti­ on „Lappenlos“ können inter­ essierte Haushalte für einen bestimmten Zeitraum ihre Kraftfahrzeuge gegen ÖPNV- Tickets und ein Lastenrad tau­ schen und berichten anschlie­ ßen über ihre Erlebnisse. Beteiligung sei das eine, Ver­ ständnis für unterschiedliche Bedürfnisse das andere ent­ scheidende Momentum, be­ tont Stadtplaner Stefan Thabe. „Wir können im stadtgesell­ schaftlichen Diskurs nicht rigo­ ros all jene ausschließen, die ihren Wirtschaftsverkehr oder ihre persönlichen Verkehrswe­ ge nun mal motorisiert erledi­ gen müssen. Wenn wir diesen Menschen keine adäquaten Mobilitätsalternativen anbie­ ten können, dürfen wir nicht erwarten, dass sie ‚Hurra‘ schreien. Und es gibt schließ­ lich auch die, die ganz bewusst sagen: ‚Ich fahre Auto. Punkt.‘ Auch diese Leute müssen wir mitnehmen, es funktioniert nur zusammen“, unterstreicht Thabe. Dortmunds Stadtplaner blickt optimistisch in die Zu­ kunft: „Niemand vertritt mehr die Überzeugung, dass alles so bleiben kann, wie es ist – das Konzept ‚autofreundliche‘ Stadt war gestern. Und wir er­ kennen bei vielen Menschen ganz klar die Bereitschaft zu neuen Mobilitätsformen. Es er­ wacht auch wieder ein gewis­ ses Bewusstsein für Stadtquali­ tät und die Rückgewinnung von Stadträumen für menschli­ che Interaktion. Das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Freilich brauche es Ge­ duld für den Weg zwischen Konzept und Umsetzung, selbstredend spielten auch aus­ reichende Personalausstattung und Verwaltungshandeln eine Rolle – „aber dieser intensive Prozess wird das Ganze richtig nachhaltig machen“, ist Thabe überzeugt. < Chemnitz: Modellstrecke als Reallabor Ortswechsel nach Sachsen: Im bislang noch relativ autolasti­ gen Chemnitz bringen sich die Bürgerinnen und Bürger seit Anfang Mai selbst als Mobili­ tätsforschende und -gestalten­ de ein, indem sie im Rahmen des Forschungsprojekts NUMIC („Neues urbanes Mobilitätsbe­ wusstsein in Chemnitz“) eine neue Fuß- und Radverkehrsrou­ te testen und ihr Feedback dazu in Befragungen, online und künftig auch in einer App abge­ ben können. Das Verbundpro­ jekt, an dem neben der Stadt­ verwaltung auch ein Fraunhofer Institut beteiligt ist, will über die co-kreative Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung der Modellstrecke ein neues Mobilitätsbewusstsein im urba­ nen Raum aufbauen. Der sechs Kilometer lange Prototyp ab­ seits der vielbefahrenen Magis­ tralen führt vom Zeisigwald zum Sportforum und dient für ein Jahr als Reallabor. Frank Feuerbach, promovierter Geograf, leitet das Verbundpro­ jekt bei der Stadt. „Verkehrs­ wende beginnt im Kopf. Ge­ < Vision wird Realität: Der Rad­ schnellweg Ruhr, kurz RS 1, soll als rund 100 Kilometer langer Radschnellweg von Duisburg nach Hamm führen. Befahrbar ist bereits ein 12,5 Kilometer langes Teil­ stück zwischen Mülheim an der Ruhr und Essen. Auch in anderen Ruhrgroßstädten wie Gelsenkirchen und Dortmund wird mit Hochdruck an diesem Baustein für die neue urbane Mobilität gearbeitet. < Setzt auf integrierte Konzepte und breite Beteiligung: Dort­ munds oberster Stadtplaner Stefan Thabe. © Stadt Dortmund 17 dbb > dbb magazin | Juli/August 2021

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