dbb magazin 5/2021

dbb dialog Positiv bewertete Behrendt, dass Bund und Länder in ihren gemeinsamen „digitalen Labo­ ren“ bereits zu neue Formen der Zusammenarbeit gefunden haben. Das häufig genutzte Bild von der Digitalisierung als eine Herkulesaufgabe hält die Leiterin der Arbeitsgruppe DV1 im BMI allerdings für überholt: „Wir brauchen dafür nicht län­ ger den einen starken Mann, das ist inzwischen eher ein Job für die Amazonen.“ Ausdrücklich stimmte Behrendt Konstantin von Notz zu, der mahnte, bei allen Digitalisie­ rungsprozessen das hohe Gut der Rechtsstaatlichkeit fest im Blick zu behalten: In diesem Zu­ sammenhang sei es absolut fehl am Platz, Bürokratie als et­ was ausschließlich Negatives darzustellen: „Sie ist vielmehr wichtig, um die Bürgerinnen und Bürger zu schützen.“ Zuversichtlich zeigte sich Beh­ rendt, dass der Staat die Um­ setzung des Onlinezugangsge­ setzes (OZG) im vorgesehenen Zeitrahmen durchführen wird. „Wir müssen die Ergebnisse jetzt sichtbar machen und auch in den Ländern und Kom­ munen zeigen, wie erfolgreich Digitalisierung inzwischen ist.“ Sie hoffe, dass auch weiterhin genügend Finanzmittel für die Digitalisierung zur Verfügung stehen werden, so Behrendt. „Vor allem Investitionen in un­ ser Personal sind gut angeleg­ tes Geld. So lassen sich auch teure Beraterhonorare einspa­ ren.“ Der Erfolg von Digitalisie­ rung hänge aber nicht nur am Geld. „Sie ist auch abhängig von der Innovationsbereit­ schaft der Mitarbeitenden“, gab sich Behrendt überzeugt. < Parycek: Deutschland muss von europäischen Nachbarn lernen Peter Parycek wies auf die Er­ fahrungen in anderen Ländern hin. Man könne vor allem von den Nachbarländern lernen. „Die skandinavischen Länder haben gute Digitalisierungs­ strategien und setzen die Maßnahmen auch gut um. In Deutschland hatten wir auch schon einige Digitalisie­ rungsstrategien, aber wir kom­ men nicht in der Umsetzung voran.“ Dänemark könne ein Vorbild sein, da es in der Bevöl­ kerungsstruktur vergleichbar mit Deutschland ist. In Däne­ mark wird jede Gesetzesnovelle auf Digitalisierungsmöglichkei­ ten geprüft. Von Anfang an be­ stünde demnach ein Bewusst­ sein, dass jede Entscheidung der Politik eine Auswirkung auf die Digitalisierungstaug­ lichkeit habe. Der Leiter des Kompetenz­ zentrums Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer Fokus Institut Berlin sieht auch in der Zu­ sammenarbeit der föderalen Strukturen einige Hürden. Um die Digitalisierung zu be­ schleunigen, brauche es eine andere Haltung und bessere Entscheidungsprozesse. „Das größte Problem ist, dass wir in Deutschland ein konservatives Gesamtsystem haben. Das betrifft die Ausgestaltung der Ministerien und die Datennut­ zung. Die Liebe zum Papier ist so stark ausgeprägt wie in kei­ nem anderen Land in Europa. Bei der Cloud-Technologie im deutschsprachigen Raum gibt es eine extreme Zurückhaltung und das fällt uns gerade auf die Füße.“ In Richtung einer womöglich zukünftigen Regie­ rungsbeteiligung von Bündnis 90/Die Grünen fragte Parycek nach der Haltung der Partei. „Digitalisierung ist eine Frage des Wollen und Könnens. Wollen wir tatsächlich einen Bürokratieabbau vorantreiben? Das ist auch mit Deregulierung verbunden.“ Die Bedenken im Hinblick auf den Datenschutz teilt Parycek nicht. Der Datenschutz würde grundsätzlich nicht infrage ge­ stellt werden, aber die Ausle­ gung könnte anders gestaltet sein. „Wir haben über eigene erhobene Daten herausgefun­ den, dass zwar viele Menschen aufgrund der jüngeren Vergan­ genheit kein Vertrauen in den Staat haben, was die Nutzung der Daten angeht. Aber ein großer Teil zweifelt auch dar­ an, dass der Staat die digitale Kompetenz dazu hat“, sagte Parycek. „Mit jedem Jahr der Digitalisierung verlieren wir weiter das Vertrauen der Men­ schen. Wir müssen den Beweis antreten, dass wir mit Techno­ logien umgehen können.“ < Reinhardt: Datenschutz kein Hemmnis für Digitalisierung Marc Reinhardt, Executive Vice President von Capgemini und dort verantwortlich für „Public Sector & Healthcare“, betonte, dass die Digitalisierung staat­ licher Leistungen nur von Ver­ waltung und Unternehmen gemeinsam bewältigt werden könne. „Als Bürger ist es mir auch wichtig, dass die Defini­ tion der Ziele und die Steue­ rung in öffentlicher Hand blei­ ben, da darf der Staat nicht zu viel Souveränität an die Privatwirtschaft abgeben, das zeigen meines Erachten einige Beispiele aus dem angelsächsi­ schen Raum“, so Reinhardt, der auch Vizepräsident der Initiati­ ve D21 ist. Reinhardt betonte außerdem, dass es auch in der Wirtschaft viele Akteure gebe, die bei der Digitalisierung noch Nachholbedarf hätten. „Gerade große Unternehmen sind teil­ weise bürokratischer als so manche Stadtverwaltung“, sagte Reinhardt. Eine Herausforderung bei der Digitalisierung der Verwaltung sei die Komplexität der Gesetz­ gebung, erklärte der Manager. „Ein Vorhaben mag oft einfach klingen, aber wenn dann im Gesetzgebungsverfahren noch zig Ausnahmen für jede Regel definiert werden, lässt sich das eben auch IT-seitig irgendwann nicht mehr so einfach umset­ zen.“ Weitere viel diskutierte Probleme, wie etwa die Finan­ zierung oder den Datenschutz, hält Marc Reinhardt hingegen für beherrschbar. „Entschei­ dend ist aber, dass die Bürge­ rinnen und Bürger auch das nötige Vertrauen in den Staat entwickeln. Und der Staat sei­ nerseits muss dieses Vertrauen auch einfordern.“ br/cri/ef/mz < Peter Parycek < Marc Reinhardt 16 dbb > dbb magazin | Mai 2021

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