dbb magazin 4/2021

die andere meinung Strukturwandel Revival Ruhrgebiet In Nordrhein-Westfalen ist das Ruhrgebiet bis heute eine Problemzone. Der Strukturwandel hat die einst so prosperierende Region hart getroffen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde viel Zeit und Geld in die Bekämpfung des Strukturwandels gesteckt. Doch das Revival des Ruhrgebiets kommt langsamer als erhofft. Ausgerechnet der frühere Bundeszukunftsminister wollte lieber Kinder statt Inder. Im Jahr 2000 sprach sich der CDU-Politiker Jürgen Rüttgers im nordrhein-westfä­ lischen Landtagswahlkampf gegen die Pläne der rot-grünen Bundesregierung aus, IT-Fach­ kräfte nach Deutschland zu locken: „Statt Inder an die Computer, müssen unsere Kinder an die Computer.“ Rüttgers wurde vorgeworfen, ausländerfeindliche Ressenti­ ments zu schüren. Politisch ge­ nutzt hat es nicht. Er verlor die Wahl. Fünf Jahre später wurde er doch noch Regierungschef in NRW. Die Kinder hat er nicht an die Computer gelockt. IT-Fachkräfte sind bis heute Mangelware. Dabei wären es gerade die Landesregierungen gewesen, die aufgrund der Zu­ ständigkeit für die Schulpolitik daran etwas hätten ändern können. Für Regionen wie das Ruhrgebiet wäre dies eine ent­ scheidende Chance gewesen. Früher schlug hier der von Her­ bert Grönemeyer besungene Pulsschlag aus Stahl. Das Ruhr­ gebiet war nicht nur die Herz­ kammer der Sozialdemokratie, sondern auch der deutschen Industrie. Doch der Strukturwandel hat die einst so prosperierende Region hart getroffen. In Nord­ rhein-Westfalen ist das Ruhr­ gebiet bis heute eine Problem­ zone. In einem Großteil der Region liegt die Zahl der sozial­ versicherungspflichtig Beschäf­ tigten unter dem Landesdurch­ schnitt, nirgendwo sonst in NRW ist die Arbeitslosenquote so hoch. Auch das Bruttoin­ landsprodukt je Einwohner liegt in Städten wie Bottrop, Gelsen­ kirchen oder Duisburg deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Die Landes- und Kommunal­ politiker haben in den vergan­ genen Jahrzehnten viel Zeit und Geld in die Bekämpfung des Strukturwandels gesteckt. Doch das Revival des Ruhrge­ biets kommt langsamer als er­ hofft und bleibt weiterhin eine Generationenaufgabe. Man kann der Politik nicht vor­ werfen, dass sie nicht versucht hätte, den Strukturwandel im Ruhrgebiet zu lindern. Schon Ende der 1970er-Jahre hatte der damalige Ministerpräsident Jo­ hannes Rau (SPD) zu einer Ruhr- Konferenz geladen, um über die Zukunft der Region zu diskutie­ ren. In der Gegenwart hat Lan­ desvater Armin Laschet (CDU) dieses Format wiederbelebt. Wandel kann man anschieben, aber nicht verordnen. Die Politik hat das zweifellos versucht. Schon in den 1960er- und 1970er-Jahren startete man eine Bildungsoffensive und gründete Universitäten in Bo­ chum (1962) und Dortmund (1968) oder auch die Gesamt­ hochschule Essen (1972, heute Teil der Universität Duisburg-­ Essen). Es wurden Talentscouts losgeschickt und über einen In­ dex dafür gesorgt, dass sozial belastete Städte wie Gelsen­ kirchen, Duisburg, Herne oder Dortmund bei der Zuweisung von Lehrern bessere Chancen haben. Doch sinnvoll wäre es gewesen, viel früher etwas ganz anderes im Ruhrgebiet stärker zu fördern: Unternehmertum. Erst waren es die Zechen, die in vielen Familien über Gene­ rationen Arbeit gegeben ha­ ben, später die Energie- und Industrieunternehmen. Kar­ riere machte man im Konzern. Doch auch die leiden vielfach. Was dem Ruhrgebiet fehlt, sind Gründer und Software­ entwickler, um die digitale Revolution an der Spitze vo­ ranzutreiben. Das Potenzial ist zweifellos vorhanden: Die Bochumer Ruhr-Universität hat sich beispielsweise einen her­ vorragenden Ruf im Bereich Cybersicherheit erarbeitet – wozu auch eine Spende des Unternehmers Horst Görtz beigetragen hat, die dabei half, das nach ihm benannte Institut aufzubauen. Seit der Gründung hat sich eine Vielzahl von Start- ups aus dem Institut ausge­ gründet und neue Arbeitsplätze geschaffen. Seit 2019 gibt es in der Stadt auch ein Max-Planck- Institut in diesem Bereich. Doch an den Schulen werden viel zu wenig Schüler an die sogenann­ ten MINT-Fächer herangeführt, etwa durch ein Pflichtfach In­ formatik. Dabei ist seit Jahren absehbar, dass die natürlichen Ressourcen des Ruhrgebiets die Region nicht in die Zukunft retten. Es braucht neue Unter­ nehmen der Wissensökonomie – und angesichts niedriger Mietpreise, der großen Hoch­ schuldichte und der Nähe zu Unternehmenskunden ist die Region eigentlich ideal für Start-ups. Unternehmertum kann man nicht staatlich verordnen. Aber man kann die Rahmenbedin­ gungen schaffen, um es zu för­ dern. Es war daher ein wichti­ ges Signal, dass zwei der sechs von der Landesregierung ge­ förderten Excellence-Start-up- Center an den Universitäten in Dortmund und Bochum ange­ siedelt wurden. Hier kann die Saat gelegt werden für die Großkonzerne der Zukunft. Denn auch Traditionsunterneh­ men wie Haniel, Tengelmann oder Thyssenkrupp haben ir­ gendwann mal ganz klein an­ gefangen – mit einem Unter­ nehmer und einer Idee. Florian Rinke < Der Autor Florian Rinke (35) kümmert sich in der Wirtschaftsre­ daktion der „Rheinischen Post“ schwerpunktmäßig um das Thema Start-ups. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland – Wo die Wiege der deutschen Start- up-Szene wirklich liegt“ über die Entwicklung der deutschen Start-up-Szene in den vergangenen 20 Jahren. MEINUNG Foto: Thomas Limberg/Colourbox.de 17 dbb > dbb magazin | April 2021

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