dbb magazin 1-2/2021

nachgefragt In der frühkindlichen Bildung herrscht Fachkräftealarm Frühkindliche Bildung spielt für den weiteren Werdegang eines Menschen eine zentrale Rolle. Kinder, die vor ihrem fünften Lebensjahr länger als ein Jahr eine Tageseinrichtung besu- chen, erreichen später deutlich bessere Ergebnisse in den PISA- Tests. Sind unsere Kitas Ihrer Meinung nach gut ausgestat- tet, um diesem Bildungsauf- trag gerecht zu werden? Ulrich Silberbach Wir haben sehr gut ausgebilde­ te Erzieherinnen und Erzieher, die – gerade auch jetzt in der Corona-Krisenzeit – eine her­ vorragende Arbeit leisten. Al­ lerdings haben wir zu wenige davon. In der frühkindlichen Bildung herrscht Fachkräfte­ alarm. Bundesweit fehlen mo­ mentan über 100000 Erziehe­ rinnen und Erzieher. Bis 2030 werden wir deutschlandweit knapp 200000 Erzieherinnen und Erzieher zu wenig im Kita­ system haben, wenn man die Altersabgänge und die Zahl der bis dahin neu ausgebildeten Er­ zieherinnen und Erzieher mit­ berücksichtigt. Um der Fach­ kräftelücke entgegenzuwirken, muss der Erzieherberuf attrak­ tiver werden, sowohl für junge Menschen als auch für die Be­ schäftigten, die bereits im Sys­ tem sind und hoffentlich auch lange bleiben. Wie können wir den Erzieher- beruf attraktiver machen und mehr junge Menschen dafür begeistern, in der frühkind­ lichen Bildung tätig zu sein? Ulrich Silberbach Ein im letzten Jahr vorgestellter Forschungsbericht hat gezeigt, dass ein Interesse der Jugendli­ chen für Berufe in der Kinderta­ gesbetreuung und in der Pflege – wo ebenfalls akuter Fachkräf­ temangel herrscht – vorhanden ist. Die jungen Menschen emp­ finden die Aufgaben als an­ spruchsvoll und abwechslungs­ reich und haben das Gefühl, in diesen Berufen etwas für die Gesellschaft bewirken zu kön­ nen. Ein Viertel der befragten Jugendlichen kann sich auch sehr gut vorstellen, in der Kin­ dertagesbetreuung zu arbei­ ten. Das Interesse ist also da! Diese grundsätzlich positive Einstellung wird jedoch durch die negative Bewertung von Gehalts- und Karriereaspekten getrübt. Und das ist der Grund, weswegen sich viele potenziel­ le Interessenten dennoch nicht für diese Berufe entscheiden. Bei diesen Punkten müssen wir nachbessern. Dazu bieten sich aus meiner Sicht drei strategi­ sche Ansätze an: die Verbesse­ rung der Ausbildungsbedingun­ gen, bessere Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten und Stei­ gerung der Attraktivität des Be­ rufsfeldes durch eine bessere Bezahlung, die der hohen Ver­ antwortung gerecht wird. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat mit dem sogenannten Gute-Kita-Gesetz und mit der Fachkräfteoffensi- ve bereits Initiativen gestartet, um Fachkräfte für den Erzieher- beruf zu gewinnen und die Qualität der Kinderbetreuung zu verbessern. Frau van Heems- kerk, Sie gehören dem Exper- tengremium zum Gute-Kita- Gesetz an und vertreten dort den dbb. Wie bewerten Sie die Initiativen des BMFSFJ? Sandra van Heemskerk Positiv hervorzuheben ist, dass die Politik die Probleme, die wir als Gewerkschaften schon lan­ ge angemahnt haben, erkannt und Initiativen gestartet hat. Es war wichtig, dass nach dem massiven Ausbau der Betreu­ ungskapazitäten in den vergan­ genen Jahren nun die Qualität der Kindertageseinrichtungen in den Fokus gerückt ist. Was wir allerdings von Anfang an gesehen haben, ist, dass das Engagement des Bundes zeit­ lich befristet ist. Es muss früh­ zeitig Klarheit geben, wie es nach 2022 weitergehen soll, da­ mit wir hier nicht nur ein Stroh­ feuer erleben. Im Finanzplan des Bundes 2020 bis 2024 fin­ den sich keine Angaben zum Fortbestehen des Finanzaus­ gleichs für die frühkindliche Bil­ dung über das Jahr 2022 hinaus. Auch die im Jahr 2018 gestar­ tete Fachkräfteoffensive war ein guter Gedanke. Geplant war, von 2019 bis 2022 den Ländern und damit den Ein­ richtungen vor Ort insgesamt etwa 300 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, ummehr Fachkräfte zu gewinnen und im Beruf zu halten. Die vom BMFSFJ noch immer beworbe­ ne Fachkräfteoffensive läuft allerdings vorzeitig aus – und das in Zeiten eines sich immer ? nachgefragt bei ... ... dbb Chef Ulrich Silberbach und der Erzieherin und komba Gewerkschafterin Sandra van Heemskerk Sandra van Heemskerk: „Positiv hervorzuheben ist, dass die Politik die Probleme, die wir als Gewerkschaften schon lange angemahnt haben, erkannt hat und Initiativen gestartet hat.“ © privat 40 dbb > dbb magazin | Januar/Februar 2021

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