dbb magazin 1-2/2021

nachgefragt weiter verschärfenden Fach­ kräftemangels. Das ist ein völ­ lig gegen die aktuellen Erfor­ dernisse gehendes Signal. Das Gute-Kita-Gesetz ist seit 2019 in Kraft. Kann man be- reits sagen, ob sich die Qualität der Kinderbetreuung in den vergangenen beiden Jahren nennenswert verbessert hat? Sandra van Heemskerk Um eine Bilanz zu ziehen, ist es noch zu früh. Im Zuge der Coro­ na-Pandemie kommt es eher zu Beeinträchtigungen der Kita­ qualität. Durch die Corona-Krise hat sich das Fachkräfteproblem weiter zugespitzt. Viele Fach­ kräfte, die zur Risikogruppe ge­ hören, können nicht in der Kita eingesetzt werden. Die vorhan­ denen Kitateams arbeiten an ihrer Belastungsgrenze. Die Ki­ tas sind im letzten Jahr nahezu ausschließlich von Bildungs- zu Betreuungseinrichtungen ge­ worden. Das ist erschreckend, denn als ein Land ohne Rohstof­ fe müssen wir verstärkt auf die Bildung unserer Kinder setzen, und zwar von klein auf. Wir müssen daher gerade jetzt mehr in die Qualität der früh­ kindlichen Bildung und Erzie­ hung investieren. Daher kann ich nur an den Bund appellie­ ren, die Finanzierung des Gute- Kita-Gesetzes über 2022 hinaus frühzeitig zu klären. Wenn lang­ fristig eine Angleichung der Qualität der frühkindlichen Bil­ dung erreicht werden soll, muss auch langfristig und nachhaltig geplant werden. Frau van Heemskerk, Sie vertre- ten den dbb auch in dem von der Bundesfamilienministerin Giffey initiierten Corona-Kita- Rat. Wie bewerten Sie das Kri- senmanagement im vergange- nen Jahr? Sandra van Heemskerk Während der coronabedingten Kitaschließungen im Frühjahr 2020 hat sich gezeigt, dass unsere Arbeitswelt ohne eine verlässliche Kinderbetreuung nicht mehr funktioniert. Um in dieser außergewöhnlichen Situation an effizientere Lösun­ gen zu kommen, war es ziel­ führend, alle Beteiligten an ei­ nen Tisch zu holen, um die Bedürfnisse der Kinder und ih­ rer Familien zu berücksichti­ gen, aber auch den Gesund­ heitsschutz der Beschäftigten im Fokus zu haben. Insofern begrüßen wir die Initiative der Bundesfamilienministerin. Mein besonderes Anliegen im Corona-Kita-Rat ist es, auf die Belastungssituation der Be­ schäftigten hinzuweisen, die meines Erachtens in der Öf­ fentlichkeit und bei der politi­ schen Entscheidungsfindung zu wenig Berücksichtigung fin­ det. Der Anteil des nicht ein­ setzbaren Kitapersonals steigt bundesweit an. Das liegt unter anderem daran, dass seit An­ fang der Pandemie die Erziehe­ rinnen und Erzieher eine der wenigen Berufsgruppen sind, die nahezu keine Schutzaus­ rüstung tragen, und die Kitas eine der wenigen Einrichtun­ gen sind, wo das Abstandsge­ bot nicht eingehalten werden kann, denn Kinder brauchen nun mal die Nähe zu ihren Be­ treuungspersonen. Es braucht dringend bundeseinheitliche Regelungen zum Kitabetrieb in Pandemiezeiten. Denkbar ist zum Beispiel ein bundesweites Stufenmodell, das auf Grundla­ ge des Infektionsgeschehens die Betreuungsmöglichkeiten in verschiedenen Phasen zu­ grunde legt. Danach können sich die einzuleitenden Maß­ nahmen wie zum Beispiel die Reduzierung der Betreuungs­ zeiten oder der Gruppengrö­ ßen richten. Wichtig ist: Der Gesundheitsschutz für das Per­ sonal und die Kinder muss im­ mer an erster Stelle stehen. Herr Silberbach, was sollten wir Ihrer Meinung nach aus der Co- rona-Krise für den Bereich der frühkindlichen Bildung lernen? Ulrich Silberbach Die Corona-Krise hat gezeigt, wie sehr Kinder, Familien und die Gesellschaft insgesamt die Kinderbetreuung brauchen und wie wichtig die Bildungs- und Erziehungsarbeit ist. Eine Um­ frage unter den Mitgliedsge­ werkschaften des dbb ergab, dass man grundsätzlich sagen kann, dass in den Regionen, in denen es vor Corona bereits gute Rahmenbedingungen und eine auskömmliche Personal­ ausstattung gab, verhältnismä­ ßig gut lief. Wo das Gegenteil der Fall war, standen alle Betei­ ligten vor großen, fast unlös­ baren Herausforderungen. Die Krise hat uns deutlich gezeigt, welche Schwachstellen im Sys­ tem der Kindertageseinrichtun­ gen bestehen. Aus Sicht des dbb muss zuallererst die Per­ sonalausstattung der Einrich­ tungen dringend verbessert werden. Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort arbeiteten schon vor der Pandemie an ih­ rer Belastungsgrenze. Bei Perso­ nalausfällen durch Krankheit oder Urlaub und durch die Ein­ haltung der strengen Vorgaben beim Personaleinsatz aus Infek­ tionsschutzgründen droht das System ganz zusammenzubre­ chen. Die Corona-Krise hat uns die zunehmende Bedeutung digitaler Medien auch in der frühkindlichen Bildung vor Au­ gen geführt. Trotz physischer Distanz der pädagogischen Fachkräfte zu den Kindern und Familien konnten mithilfe digitaler Medien Zugänge ge­ schaffen, Kontakte gehalten und Beziehungsarbeit geleistet werden. Da liegen Potenziale, die noch auszubauen sind. Für den dbb ist die Aufwertung der Berufe im Sozial- und Erzie­ hungsdienst bereits seit 2009 ein sehr wichtiges Anliegen. Die langwierigen Tarifverhand­ lungen in den Jahren 2009 und 2015 haben bereits zu einer Verbesserung der Rahmenbe­ dingungen und der Bezahlung geführt. Der Prozess der Auf­ wertung muss und wird weiter vorangetrieben werden. Das ist der Beitrag, den wir als Gewerk­ schaften leisten können, um die Attraktivität des Erzieherberufs zu steigern und so hoffentlich mehr Fachkräfte ins System zu bringen. Die Fragen stellte Albena Chipkovenska. Ulrich Silberbach: „Für den dbb ist die Aufwertung der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst ein sehr wichtiges Anliegen. Der Prozess der Aufwer- tung wird weiter vorangetrieben werden.“ © FriedhelmWindmüller 41 dbb > dbb magazin | Januar/Februar 2021

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