dbb magazin 1-2/2021

? menschen mit behinderung ??? vier fragen an ... ... Ingo Klatt, Leiter des Grundsatzbereiches Eingliederungshilfe in der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales zum Bundesteilhabegesetz Wille und Bedarf stehen imMittelpunkt Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) wurde die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herausge­ löst und in ein modernes Teilhaberecht umge­ wandelt. Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen mehr Partizipation in allen Lebensbereichen zu er­ möglichen und ihre Selbstbestimmung zu stärken. Ein Paradigmenwechsel, der vor allem aufseiten der Verwaltung einen umfangreichen Verände­ rungsprozess eingeläutet hat. 1 Herr Klatt, das BTHG hat seit 2016 umfang- reiche Änderungen in der Eingliederungshilfe zur Fol- ge gehabt. Wie ist der bisherige Umsetzungsstand in Berlin? Es hat ein Paradigmenwechsel im Sinne der UN-BRK stattge­ funden, das heißt, der Wille des Menschen mit Behinderung und sein individueller Bedarf an Teilhabe werden in den Mittelpunkt gestellt. Das er­ fordert nicht nur neue Unter­ stützungsleistungen, sondern auch eine andere Haltung und neue Strukturen in der Verwal­ tung und bei den Leistungser­ bringern im Bereich der Freien Wohlfahrtspflege. Wir haben bei der Umsetzung des Bundes­ teilhabegesetzes von Anfang an versucht, die Veränderungs­ prozesse gesamtheitlich zu denken. Als Ergebnis eines politischen und fachlichen Diskussionsprozesses haben wir uns entschieden, die Ein­ gliederungshilfe auf der bezirk­ lichen Ebene zu belassen. Wir haben jedoch eigene Teilhabe­ fachdienste in den Sozial- und Jugendämtern gegründet, um mit allen Akteuren im Sozial­ raum gemeinsame Standards zu entwickeln, Zugangswege zu vereinfachen und Übergän­ ge zu gestalten. Angelehnt an das erfolgreiche Modell der Jugendberufsagenturen arbei­ ten wir in Berlin nun auch in der Eingliederungshilfe in so­ genannten „Häusern der Teil­ habe“ kooperativ zusammen und koordinieren uns in der Teilhabeplanung mit anderen Rehabilitationsträgern. Eine Schwachstelle war bislang die Vermittlung von jungen Men­ schen mit Behinderung in eine Ausbildung oder in den Beruf. Das hat bisher nicht immer gut geklappt, oft ging es ohne die Prüfung von Alternativen direkt in die Werkstatt für be­ hinderte Menschen. Da setzen wir jetzt mit den „Häusern der Teilhabe“ an. Menschen mit Be­ hinderung jeden Alters finden zukünftig in jedem Bezirk Bera­ tung, Unterstützung und Beglei­ tung. Jetzt muss der Sichtwech­ sel, trotz aller notwendigen Verwaltungsprozesse, auch den Weg in die Herzen finden und lebendig werden. 2 Welcher Mehraufwand entsteht für die Behör- den durch die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Veränderungsprojekte haben immer einen Mehrbedarf, den man abdecken muss. Aber auch für das Regelgeschäft werden in der Eingliederungshilfe zu­ künftig mehr Stellen und an­ dere Professionen wie Sozial­ pädagogik gebraucht. Bisher bestand ein Vorgang aufseiten der Verwaltung im Prinzip aus Antrag, Bearbeitung und Be­ scheid. Jetzt wird der indivi­ duelle Bedarf mit dem Antrag­ steller und vielleicht einem Betreuer gemeinsam festge­ stellt. Dazu werden der Sozial­ raum und die Qualität der Leis­ tungen in den Blick genommen. Um dem gerecht zu werden, haben wir für die Mitarbeiten­ den Qualifizierungskonzepte und spezifische Fortbildungen mit der evangelischen Hoch­ schule Berlin erarbeitet. Wie viele zusätzliche Stellen für die neuen Geschäftsprozesse ins­ gesamt am Ende gebraucht werden, können wir noch nicht abschließend beziffern. Wir starten in Berlin zunächst mit 92 neuen Stellen in den Sozial­ ämtern. Dazu kommen zwölf neue Stellen bei den Jugend­ ämtern sowie 24 Stellen für die „Häuser der Teilhabe“. Was man jedoch berücksichtigen muss: Nicht alle geschaffenen Stellen sind mit Personal be­ setzt. Es fehlt an Fachpersonal. 3 Das Budget für Arbeit ist mit dem BTHG als neue Leistung eingeführt wor- den. Wie entwickeln sich die Nutzungszahlen in Berlin? Das Budget für Arbeit ist eine tolle Idee. Menschen mit Be­ hinderungen sollen nicht in Sondersystemen unterge­ bracht, sondern in den allge­ meinen Arbeitsmarkt inte­ griert werden. Mit dem Budget für Arbeit können Menschen aus einer Werkstatt in einen regulären Betrieb reinschnup­ pern, mit der Perspektive, dass sich daraus eine sozialversiche­ rungspflichtige Beschäftigung ergibt. Leider läuft das schlep­ pend an. Wir hatten im Okto­ ber 2020 nur 20 Budgets für Arbeit in Berlin. Dazu kammit der Corona-Krise die Erkennt­ nis, dass es juristisch Nachbes­ serungsbedarf gibt, weil die Menschen nicht für das Kurz­ arbeitergeld berechtigt sind. Wir müssen mehr auf Möglich­ keiten wie das Budget für Ar­ beit aufmerksammachen und auch die Arbeitergeber moti­ vieren, Hürden in den Köpfen abzubauen und Menschen mit Behinderungen einzustellen. 4 Was sind 2021 die nächsten Schritte in Berlin im Hinblick auf die Umsetzung des Bundes­ teilhabegesetzes? Das Teilhabeinstrument Berlin ist konzipiert und erprobt. Da­ mit können die notwendigen Unterstützungsleistungen ei­ nes Menschen mit Behinde­ rung in seiner jeweiligen Le­ benssituation und im Hinblick auf seine individuellen Ziele ermittelt werden. Die flächen­ deckende Einführung des Ins­ truments für die Teilhabepla­ ner war schon im Sommer 2020 vorgesehen. Doch Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir hof­ fen, dass wir nun am 1. Juli 2021 durchstarten können. Langfristig ist unser Ziel, dass die strukturellen Veränderun­ gen und Maßnahmen in der Eingliederungshilfe auch sicht­ bar ineinandergreifen und es für die leistungsberechtigten Menschen zu spürbaren Ver­ besserungen kommt. Die Fragen stellte Michaela Zimmermann. Model Foto: Colourbox.de 34 > dbb magazin | Januar/Februar 2021

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