dbb magazin 11/2020

drei fragen an pekt des länderübergreifenden Brückenbaus durch vielfältige Kontakte und Austauschfor­ mate sehr wichtig. Ich hoffe daher sehr, dass die aufgrund der Corona-Pandemie fast nur noch im virtuellen Raum stattfindenden Kontakte bald wieder persönlich stattfinden können. 2 Der Verlust der Heimat und die Erfahrung, als mit- telloser Flüchtling unerwünscht neu anfangen zu müssen, prägt bis heute die Selbstwahrneh- mung vieler Angehöriger der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsgeneration. Was kann Ihren Erfahrungen nach – Sie sind nicht nur Aussiedler- Beauftragter der Bundesregie- rung, sondern auch Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV) – getan werden, dass diese Wunden heilen? Bundespräsident a. D. Joachim Gauck hat dies in seinen Reden zum ersten bundesweiten Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung 2015 sowie zum Tag der Heimat des BdV 2016 einfühlsam auf den Punkt gebracht: Diese Trauma­ ta resultieren direkt aus dem gewaltsamen Heimatverlust und der Ankunft als mittellose, unerwünschte Flüchtlinge, wie Sie richtig sagen, und werden oft unbewusst an die nächsten Generationen weitergegeben. Sie stehen aber auch im Zu­ sammenhang mit einer in Teilen bis heute anhaltenden Stigmatisierung deutscher Op­ fer der Endphase des Zweiten Weltkriegs und der unmittel­ baren Nachkriegszeit als „be­ sonders Kriegsschuldige“. Die Heilung dieser Wunden kann daher beschleunigt wer­ den, indemman sich immer wieder auch zu den eigenen Opfern bekennt, an ihr Schick­ sal erinnert und deutlich macht, dass die Vertreibungen Unrecht sind. Dies schmälert ja nicht die unbestrittene Verantwortung für die Verbrechen der Natio­ nalsozialisten und den immer­ währenden Auftrag, solches Grauen nie wieder zuzulassen. Eine sehr wichtige Geste der Anerkennung war etwa die Ent­ scheidung, zivilen deutschen Zwangsarbeitern für deren Versöhnung mit der eigenen Lebensbiografie eine einmalige symbolische Anerkennungsleis­ tung in Höhe von 2500 Euro zukommen zu lassen. Für unsere historische und kul­ turelle Identität ist es wichtig, auch die Kultur und Geschichte der deutschen Ost- und Sied­ lungsgebiete gleichberechtigt als Teil unseres nationalen Ge­ dächtnisses zu erhalten und zu pflegen. Die wichtigen Bei­ träge der Vertriebenen und Aussiedler zum Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg sowie die seit Jahrzehnten praktizierte grenzüberschrei­ tende Verständigung mit den Nachbarländern – und somit zur europäischen Integration – müssen dabei viel stärker in den Fokus rücken. 3 Die Erneuerung und wirt- schaftliche Konsolidierung der Nachkriegsgesellschaft ist auch der Vielfalt, neudeutsch Diversity, geschuldet, die sich aus der Integration der Kriegs- und Nachkriegsflüchtlinge speiste. Dennoch scheint es, dass viele ehemalige Flüchtlin- ge der aktuellen Flüchtlings­ politik der Bundesregierung eher skeptisch gegenüberste- hen. Wo sehen Sie die Gründe hierfür? Zunächst einmal möchte ich hier betonen, dass der BdV zu den ersten Verbänden gehörte, die zu Empathie mit den heuti­ gen Flüchtlingen aufgerufen haben. Gleichzeitig hat der Verband seine Forderung er­ neuert, Flucht und Vertreibung an der Wurzel zu packen, die Lebensbedingungen in den Heimatländern zu verbessern und Vertreibungen internatio­ nal und strafbewehrt zu sank­ tionieren. Darüber hinaus haben unabhängige Studien ergeben, dass gerade die ver­ triebenen Deutschen und ihre Nachkommen sich ehrenamt­ lich besonders dafür einsetzen, die in Deutschland angekom­ menen Flüchtlinge zu unter­ stützen. Die Bundesregierung hat dies alles stets gewürdigt. Dennoch reißt die Frage einen wichtigen Punkt an: Gerade zwischen 2015 und 2017 wur­ de verstärkt und allzu pauschal der Vergleich zwischen den über zwölf Millionen überle­ benden deutschen Vertriebe­ nen mit Flüchtlingen und Mig­ rationsbewegungen heutiger Tage – ich sage bewusst – „be­ müht“. Dabei hätte viel stärker darauf hingewiesen werden müssen, dass die Heimatver­ triebenen nach heutiger No­ menklatur „Binnenflüchtlinge“ wären. Das heißt, sie kamen aus anderen deutschen Gebie­ ten, mit der gleichen Sprache, aus dem gleichen Kulturkreis – und mussten sich nicht „inte­ grieren“. Dies außer Acht zu lassen, empfinden die deut­ schen Heimatvertriebenen zu Recht als verletzend, als Infra­ gestellung der eigenen kul ­ turellen Identität. Letztlich führt solche Differenzierungs­ schwäche zweifelsfrei auf ei­ nen Holzweg: Rahmenbedin­ gungen und Notwendigkeiten der Wiederbeheimatung deut­ scher Landsleute und einer In­ tegration von Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen un­ terscheiden sich rein objektiv und sachlich. 31 dbb > dbb magazin | November 2020

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