dbb magazin 11/2020

jugend Burn-out-Syndrom bei jungen Menschen Es muss ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen bestehen Immer mehr junge Menschen erleiden ein Burn- out. Worauf können Berufsanfängerinnen und -anfänger bei ihren Lebens- und Arbeitsbedingun­ gen achten, um nicht „auszubrennen“? Ein Ge­ spräch mit der Ärztin und Therapeutin Dr. Mirriam Prieß über Warnzeichen und Selbstmanagement. Frau Dr. Prieß, ist ein Burn-out eine Frage des Alters? Nein, ist es nicht. Ich habe längere Zeit im Erstsemester 18- und 19-Jährige unterrichtet und auch bei ihnen zeigten sich bereits die ersten Erschöp­ fungssymptome. Welche Anzeichen gibt es für ein Burn-out-Syndrom? Ein Burn-out entsteht nie- mals über Nacht, sondern entwickelt sich über mehrere Monate oder Jahre. Es gibt vier Phasen: die Alarmphase, die Widerstandsphase, die Er­ schöpfung und der Rückzug. Die Symptome der Alarmphase sind die klassischen ersten Stressanzeichen wie innere Un­ ruhe, Anspannung und Herz­ klopfen. In der Widerstands­ phase werden die körperlichen Beschwerden intensiver. Je nachdem welches Stressorgan der Körper hat, nehmen die Magenschmerzen, Rückenpro­ bleme oder beispielsweise auch Allergien zu. Auf der ge­ danklichen Ebene kommt es immer häufiger zu Konzentra­ tionsschwierigkeiten. Wie kommt es zu einer solchen Entwicklung? Ein Burn-out entsteht niemals durch zu viel Arbeit. Menschen, die sich erschöpfen – egal wel­ chen Alters –, haben konflikt­ reiche berufliche oder private Beziehungen. Sie sind in einer Partnerschaft, einem Beruf oder einer Lebenssituation, die sie nicht wollen. Aber sie kön­ nen sich aus irgendwelchen Gründen nicht davon lösen. Oder die Beziehung zu mir selbst ist verloren gegangen. Ansprüche oder Vorstellungen, die ich nicht erfüllen kann, ge­ ben mir das Gefühl, ständig kämpfen zu müssen. Das führt schließlich zur Erschöpfung. Es ist wichtig, sich selbst gegen­ über offen zu sein. Wenn ich meine inneren Konflikte kenne, muss ich mir die Räume neh­ men, um Abhilfe zu schaffen. Erste Ansprechperson für eine professionelle Unterstützung ist der Haus- oder Betriebsarzt. Worauf können junge Men- schen bei ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen achten, um nicht „auszubrennen“? Wir wissen, dass gestörte Be­ ziehungen zu einem Burn-out- Syndrom führen. Wir brauchen also gute Beziehungen. Gute Beziehungen leben von der Fä­ higkeit zum Dialog. Dabei geht es um Offenheit, gegenseitiges Interesse, Respekt und Augen­ höhe. Es muss ein Gleichge­ wicht zwischen Geben und Nehmen bestehen. Die Men­ schen, die ausbrennen, haben kein gutes Gefühl für die eige­ nen Grenzen. Sie können nicht an der richtigen Stelle Ja oder Nein sagen. Für Berufsanfän­ gerinnen und -anfänger ist das natürlich besonders schwie­ rig, weil sie sich in einem neu­ en System beziehungsweise einer neuen Situation befin­ den. Umso wichtiger ist es, sich selbst immer wieder zu fragen: Wie fühle ich mich? Stimmt für mich das Verhältnis von Geben und Nehmen? Viele Menschen, die später ein Burn- out-Syndrom erleiden, haben jahrelang funktioniert. Sie ha­ ben zum Beispiel eine Tätigkeit ausgeübt, die gar nicht ihrem Wesen entsprochen hat. Das macht krank. Um dem vorzu­ beugen, ist es wichtig, von Anfang an ein Bewusstsein zu entwickeln, wann ein Un­ gleichgewicht beginnt. So kann man rechtzeitig darauf reagieren. Was können Arbeitgeber tun, um die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu schützen? Eine gute Arbeitskultur basiert auf Dialog und Augenhöhe. Ein offener Umgang mit Pro­ blemen ermöglicht psychischen und körperlichen Belastungen vorzubeugen. Außerdem ist es wichtig, dass Arbeitgeber und Beschäftigte sich Grenzen set­ zen und beachten. Aktuell arbeiten wegen der Corona-Pandemie viele Beschäftigte verstärkt im Homeoffice, was ist zu Hause zu beachten? Grundsätzlich muss ich auch zu Hause auf ein Gleichgewicht achten. Auf der Dienststelle endet die Arbeitszeit in der Regel, wenn ich nach Hause gehe. Im Homeoffice besteht die Gefahr, dass ich mehr ar­ beite, weil der Schreibtisch so nah ist. Es ist daher wichtig, sich zum Beispiel klare Aufga­ ben für den Tag zu definieren und Pausen zu nehmen. Nicht alle können von zu Hause arbeiten. Was können Berufs- gruppen wie Pflegekräfte oder Polizistinnen und Polizisten für ihr Wohlbefinden tun? Der Dialog mit sich selbst ist entscheidend. Jede Person soll­ te sich einige Minuten Zeit nehmen und sich fragen, wie geht es mir eigentlich? Wenn sehr viel los ist, kann ich mich in der Pause kurz alleine hin­ setzen und mich bewusst ein­ fach nur auf das Essen konzen­ trieren. Damit sammle ich wieder Kraft. << Mirriam Prieß ist Medizine­ rin mit Promotion im Fach­ bereich Psychosomatik. Sie ist spezialisiert auf die Themen Stress und Angst­ bewältigung. Mit ihrer Stiftung DialogStark! möchte sie die Dialogfä­ higkeit junger Menschen zwischen 17 und 25 Jahren stärken. Geplant sind Pro­ jekte, Seminare und Burn- out-Sprechstunden. Eine digitale Aufklärungskam­ pagne zum Thema psy­ chische Gesundheit wird noch 2020 gestartet (www.dialogstark.org ). © Stiftung DialogStark! 28 dbb > dbb magazin | November 2020

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