dbb magazin 11/2020

vorgestellt unrecht aus. Nach dem Zusam­ menbruch des Regimes 1945 wurde das Reichsgericht durch die Alliierten aufgelöst. << Rechtseinheit sichern Die Aufgabe des Bundesgerichts­ hofs besteht heute vor allem da­ rin, die Rechtseinheit zu sichern, grundsätzliche Rechtsfragen zu klären und das Recht fortzubil­ den. Er überprüft Entscheidun­ gen der Instanzgerichte, also der Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte, grundsätz­ lich nur auf Rechtsfehler. Auch wenn die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs formal nur im Einzelfall bindend sind, fol­ gen die Instanzgerichte faktisch fast ausnahmslos seiner Rechts­ auffassung. Die weitreichende Wirkung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs beruht zudem darauf, dass sich – insbesondere im Bereich des Zivilrechts – die Rechtspraxis regelmäßig an ihnen orientiert. Auf eine „Entscheidung aus Karlsruhe“ reagieren Banken und Versicherungen ebenso wie Vermieter oder Scheidungs­ anwälte. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof übt das Amt des Staatsanwalts beim Bundesgerichtshof aus. Er hat seinen Sitz in Karlsruhe und eine Dienststelle beim 5. Strafsenat des Bundesge­ richtshofs in Leipzig. Die in der Behörde tätigen Bundes­ anwälte, Oberstaatsanwälte und Staatsanwälte beim Bundesgerichtshof sind auf Lebenszeit berufene Beamte. Der Generalbundesanwalt nimmt in Revisionsstrafsachen die staatsanwaltschaftlichen Aufgaben bei den Verhandlun­ gen und Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wahr. Au­ ßerdem ist er für die staatsan­ waltschaftlichen Ermittlungen in Staatsschutzsachen und bei der Verfolgung terroristischer Vereinigungen zuständig. In Gerichtsverfahren, die den Bundesgerichtshof, das Bun­ desverwaltungsgericht oder den Bundesfinanzhof betref­ fen, obliegt dem Generalbun­ desanwalt zudem die Vertre­ tung des Bundes. Das Amt des Generalbundesanwalts wird derzeit von Dr. Peter Frank ausgeübt. „Der BGH hat sich zu einer hoch anerkannten Instanz ent­ wickelt. Er steht auch im euro­ päischen Vergleich für hohe Effizienz und präzise, wissen­ schaftlichen Ansprüchen ent­ sprechenden Judikate“, sagt die Präsidentin des Bundesge­ richtshofs, Bettina Limperg. „Zugleich erlebe ich die Kolle­ ginnen und Kollegen als Teil einer vielfältigen, pluralen Ge­ sellschaft. Wir sitzen nicht im Elfenbeinturm, sondern stehen im Leben.“ Den Aufgaben des Revisionsgerichts, Grundsatz­ fragen zu klären, die Einheit der Rechtsordnung zu wahren und die Fortentwicklung des Rechts zu prägen, spricht die Präsidentin auch für die Zu­ kunft eine zentrale Bedeutung zu und stellt dabei den Faktor Mensch in den Mittelpunkt: „Trotz aller aufkommender Elektronik und künstlicher Intelligenz müssen am Ende Richterinnen und Richter das Besondere des Falles erkennen und um die richtige Entschei­ dung gerungen haben. Das Vertrauen in den Rechtsstaat lebt nicht zuletzt vom Vertrau­ en in seine Repräsentantinnen und Repräsentanten. Dem müssen wir gerecht werden.“ << Der Bundesgerichtshof im Gerichtssystem Der Bundesgerichtshof steht an der Spitze der Amtsgerichte, Land­ gerichte und Oberlandesgerichte. Diesen sogenannten ordentli­ chen Gerichten, in denen rund 75 Prozent der Richterinnen und Richter in der Bundesrepublik Deutschland tätig sind, ist die Zivil- und Strafrechtspflege übertragen. Sie gehören aufgrund der föde­ ralen Struktur der Bundesrepublik Deutschland zur Organisations­ hoheit der Bundesländer. Der Bundesgerichtshof ist hingegen ein Gericht auf Bundesebene. Er untersteht organisatorisch dem Bun­ desminister der Justiz und für Verbraucherschutz. Neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit gibt es in der Bundesrepu­ blik Deutschland noch vier weitere Gerichtszweige: die Verwal­ tungsgerichtsbarkeit, die Finanzgerichtsbarkeit, die Arbeitsge­ richtsbarkeit und die Sozialgerichtsbarkeit. Auch hier bildet jeweils ein oberster Gerichtshof des Bundes die höchste Instanz: das Bun­ desverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig, der Bundesfinanzhof (BFH) in München, das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt und das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Die obersten Gerichtshöfe des Bundes sind organisatorisch und personell voneinander unabhängig. Um die Einheitlichkeit ihrer Rechtsprechung zu gewährleisten, gibt es einen Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes. Er entscheidet, wenn ein Senat eines obersten Gerichtshofs in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines Senats eines anderen obersten Gerichtshofs abweichen will. Der Sitz des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Eine Sonderstellung in der deutschen Gerichtslandschaft nimmt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein, das seinen Sitz eben­ falls in Karlsruhe hat. Ihm obliegt die Aufgabe, über die Einhaltung der Verfassung zu wachen. Es überprüft im Rahmen von Normen­ kontrollverfahren Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grund­ gesetz und entscheidet über Meinungsverschiedenheiten zwi­ schen Verfassungsorganen. Das häufigste Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist die Verfassungsbeschwerde. Jeder Bürger kann Verfassungsbeschwerde erheben, wenn er sich durch eine staatliche Maßnahme in Grundrechten verletzt glaubt; unter anderem kann sich die Verfassungsbeschwerde gegen letzt­ instanzliche Gerichtsentscheidungen wenden. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Sitz in Luxemburg ist zuständig für die Auslegung von Unionsrecht. Nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (ehemals Art. 234 Abs. 3 EGV) muss der Bundesgerichtshof dem EuGH entscheidungsrelevante Zwei­ felsfragen insbesondere zur Auslegung der Europäischen Verträge zur Vorabentscheidung vorlegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straß­ burg kann zur Durchsetzung der in der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 verankerten Rechte angerufen werden. << Bettina Limperg, Präsidentin des Bundesgerichtshofs: „Wir sitzen nicht im Elfenbeinturm, sondern stehen im Leben.“ © Anja Koehler 25 dbb > dbb magazin | November 2020

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