dbb magazin 11/2020

70 Jahre Bundesgerichtshof Präzise und effektiv mitten im Leben Der Bundesgerichtshof und der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof haben am 1. Oktober 2020 ihr 70-jähriges Jubiläum gefeiert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 gab es in Deutschland kein Oberstes Gericht mehr. An die Stelle des Reichsgerichts, das diese Funk­ tion vor allem im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit seit 1879 im Deutschen Kaiser­ reich und in der Weimarer Re­ publik erfüllt hatte, traten in den einzelnen Besatzungszo­ nen vorübergehend von den Alliierten gebildete Oberste Gerichtshöfe. Erst im Anschluss an die Konstituierung der Bun­ desrepublik Deutschland und das Inkrafttreten des Grundge­ setzes im Jahr 1949 wurde der Bundesgerichtshof am 1. Okto­ ber 1950 in Karlsruhe errichtet. Die territoriale Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs er­ streckte sich während der Zeit der deutschen Teilung nur auf das Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland, also die „alten Bundesländer“. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 wurde der Bundesge­ richtshof das oberste Zivil- und Strafgericht für das ge­ samte Deutschland. Der „ausgelagerte“ 5. Strafsenat, der 1952 in Berlin eingerich- tet worden war, zog im Jahr 1997 nach Leipzig. << Mit mittelalterlichen Wurzeln … Bereits im ausgehenden Mit­ telalter hatte es in den deut­ schen Gebieten das Bestreben gegeben, einen gemeinsamen obersten Gerichtshof einzu­ richten. Aufgrund der starken politischen Zersplitterung Deutschlands bedurfte es je­ doch mehrerer Jahrhunderte, bis dieses Vorhaben erfolgreich umgesetzt wurde. Zwar grün­ dete im Jahr 1495 der Wormser Reichstag das Reichskammer­ gericht, welches als vom Herr­ scher unabhängiges Gericht des Heiligen Römischen Rei­ ches Deutscher Nation seinen Sitz nicht am Hof, sondern in einer freien Reichsstadt hatte – zuerst in Frankfurt amMain, nach mehreren Zwischenstati­ onen in Speyer und später in Wetzlar. Das Reichskammerge­ richt erhielt jedoch schon bald Konkurrenz durch den Reichs­ hofrat in Wien, den der Kaiser 1497 als Gegengewicht ein­ richtete. Die Kompetenzvertei­ lung war klar: Zuständig war als Appellationsgericht dasjeni­ ge Gericht, das als Erstes mit der Sache befasst wurde. Zu kämpfen hatte das Reichskam­ mergericht, das oft jahrelang nicht tätig war, zudemmit zu knappen finanziellen Mitteln und mit der langen Dauer der Verfahren. Das Ende des Heili­ gen Römischen Reiches Deut­ scher Nation im Jahr 1806 be­ deutete auch das Ende des Reichskammergerichts. << … in die Moderne Erst nachdem sich unter preu­ ßischer Führung der Norddeut­ sche Bund gebildet hatte, wurde 1870 das Bundesoberhandels­ gericht in Leipzig gegründet, um als gemeinsames oberstes Gericht die Rechtseinheit auf dem Gebiet der handelsrechtli­ chen Gesetze zu wahren. Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 dehnte sich die Zuständigkeit des Reichsober­ handelsgerichts, wie es nun­ mehr genannt wurde, auf Süd­ deutschland aus. Als Krönung rechtsvereinheitlichender Re­ formen wurde zusammen mit dem Inkrafttreten der Reichs­ justizgesetze auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, des Zivilprozesses, des Strafprozes­ ses und des Konkursrechts am 1. Oktober 1879 das Reichs­ gericht in Leipzig eröffnet. Es verkörperte in der Folgezeit die Spitze der Rechtsprechung in allen Rechtsbereichen und diente der Einheitlichkeit der Rechtsauslegung und der Rechtsfortbildung. Erst im Jahr 1918 wurde der Reichs­ finanzhof als weiteres obers- tes Reichsgericht geschaffen; 1941 folgte das Reichsverwal­ tungsgericht. Am dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, dem nationalsozialistischen Un­ rechtsstaat, war auch das Reichsgericht nicht unbeteiligt. Ebenso wie andere deutsche Gerichte verhängte es politisch motivierte Todesurteile und übte auf andere Weise Justiz­ vorgestellt © Joe Miletzki << Das Erbgroßherzog­ liche Palais, histori­ sches Hauptgebäude des Bundesgerichts­ hofes in Karlsruhe 24 dbb > dbb magazin | November 2020

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==