dbb magazin 11/2020

portrait Die Hamburgerin lernt nicht mit Büchern, wie sie betont, sondern aus den Erfahrungen, die sie im Leben macht. „Ich setze mich mit allem auseinan­ der. Manche Dinge sind mir nah, mit anderen Dingen habe ich keine Berührungspunkte. Ich lebe einfach mein Leben.“ << Polizistin aus Überzeugung Yildirim liebt ihren Job als Poli­ zistin. Sie möchte keinen Ein­ satz missen, auch wenn man­ che Erfahrungen belastend sind. „Ich bin jahrelang Streife gefahren und hatte Einsätze, die es emotional in sich hat­ ten.“ Kurz nachdem sie selbst Mutter einer Tochter geworden ist, wurde sie in eine Jugend­ einrichtung gerufen. Ein junges Mädchen war verhaltensauffäl­ lig. Die junge Polizistin erkennt schnell, dass es sich um das Op­ fer eines sexuellen Übergriffs handelt. Eine schreckliche Er­ fahrung, wie sie selbst sagt. Auf einem Lehrgang zur Stress­ bewältigung lernte sie, solche bedrückenden Erlebnisse loszu­ lassen. „Ich stelle mir einen Schrank vor, in dem jede Men­ ge Jacken hängen. Wenn ich im Einsatz etwas erlebt habe, hän­ ge ich es mit einer Jacke in den Schrank und gehe nach Hause. Alles bleibt in diesem Schrank. Meine Lederjacke von der Poli­ zei könnte 1000 Geschichten erzählen.“ << Herzblut und Ehrgeiz für Diversity Der Polizeijob ist ein Erfahrungs­ beruf, der sie zu demMenschen gemacht hat, der sie heute ist, sagt die 40-Jährige. Auch der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ist für Yildirim wichtig. „Ich bin ein kommuni­ kativer Typ. Ich schnacke sehr gerne.“ Sie hat einen internati­ onalen Freundeskreis, die meis­ ten sind selbst bei der Polizei. Derya Yildirim ist Deutsche. In Hamburg können sich aber – anders als in allen anderen Bundesländern – auch Men­ schen mit einer anderen Staatsangehörigkeit für den Polizeidienst bewerben. Damit möchte man den Druck von den jungen Menschen nehmen, sich auf Kosten einer Identität für den Beruf zu entscheiden. Diese Praxis hat sich bewährt. Mittlerweile arbeiten bei der Hamburger Polizei Menschen aus 79 Nationen, erzählt Yildi­ rim nicht ohne Stolz. Das sei das Ergebnis vieler Beratungen und entsprechenden Marke­ tings im Bereich der Einstel­ lungsstelle der Polizei Ham­ burg. Ein großer Anteil der Polizeianwärterinnen und -anwärter haben einen türki­ schen, russischen oder polni­ schen Migrationshintergrund. Ziel sei es, die Polizei Hamburg weiterhin als „Tor zur Welt“ so­ wohl im Inneren als auch im Äußeren zu repräsentieren. Mit Transparenz und Kommu­ nikation sei die Hamburger Polizei auf einem guten Weg, sagt Yildirim. Bei der Einstel­ lungsstelle hat sie selbst jahre­ lang junge Menschen mit Mig­ rationshintergrund begleitet. „Beim Thema Diversity bin ich mit Herzblut, Idealismus und Ehrgeiz dabei.“ Für die Zukunft wünscht sie sich noch mehr Einstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund im Laufbahnabschnitt II, dem ge­ hobenen Dienst. „Bei fast 11000 Mitarbeitenden hatten wir 2014 einen Migrantenanteil von 10,2 Prozent, aber nur eine Handvoll ist im Laufbahnab­ schnitt III, dem höheren Dienst, angekommen. Da muss mehr passieren.“ Seit Juli 2020 gibt Derya Yildirim ihre Erfahrungen als interkultu­ relle Einsatzberaterin am Insti­ tut für transkulturelle Kompe­ tenz der Akademie der Polizei Hamburg an Kolleginnen und Kollegen weiter. Zusammen mit drei weiteren Kolleg*innen fördert sie den Austausch mit Organisationen und Vereinen, die sich in Hamburg um Inte­ grationsthemen kümmern. << Ein Selfie mit Angela Merkel „Mein Schwerpunkt ist die Netzwerkpflege, um das tägli­ che, friedvolle Miteinander zu unterstützen. Es geht darum, Bedarfe zu erheben und prä­ ventiv tätig zu werden.“ Erfah­ rungen hat sie für die Stelle im Laufe ihres Lebens als Kind aus einer Einwandererfamilie und als engagierte Polizistin genug gesammelt. Für ihre persönliche Zukunft hat Yildirim zwei Wünsche: Ein Haus mit Orangenplantage an der türkischen Ägäis und ein Selfie mit Angela Merkel. Als sie am 5. Oktober 2020 im Bundeskanzleramt zu Gast ist, bekommt sie zwar nicht den Nationalen Integrationspreis, aber ein Lächeln der Bundes­ kanzlerin für ein Foto. mz << Institut für transkulturelle Kompetenz (ITK) Die Akademie der Polizei Hamburg unter der Leitung vom LPD Thomas Model setzt sich seit Jahren in vielfältiger Hinsicht für das Thema Diversität in der Aus- und Fortbildung ein. So entstand auch das 2015 gegründete Institut für transkulturelle Kompeten­ zen, kurz ITK. Das ITK übernimmt zum einen die multikulturelle Schulung innerhalb der Aus- und Fortbildung, zum anderen pfle­ gen die Mitarbeiter*innen Netzwerke zu unterschiedlichsten kul­ turellen Einrichtungen in der Hansestadt. Weiterhin ist das ITK Ansprechpartner für alle Fragen rund um transkulturelle Kompe­ tenzen innerhalb der Polizei auf allen Ebenen. << Selfie mit der Bundeskanzlerin: Derya Yildirim (ganz rechts) bei der Verleihung des Nationalen Integrationspreises im Kanzleramt. Der Preis ging an die geflüchtete Syrerin Bjeen Alhassan, die eine Lernplattform für geflüchtete Frauen betreibt. © Derya Yildirim 19 dbb > dbb magazin | November 2020

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