dbb magazin 11/2020

portrait Interkulturelles Engagement bei der Polizei Hamburg „Meine Polizei-Lederjacke könnte 1000 Geschichten erzählen“ „Ich bin nicht Polizistin gewor­ den, um zu beweisen, dass eine Türkin das kann, sondern weil ich dazu beitragen möchte, meine Heimatstadt Hamburg sicherer zu machen“, sagt die 40-Jährige. Derya Yildirim ist stolz auf den Weg, den sie als eine der ersten Migrantinnen bei der Polizei in Hamburg zu­ rückgelegt hat. Als Kind türki­ scher Gastarbeiter wächst sie mit zwei Schwestern und zwei Brüdern in der Hamburger Neustadt auf, einem Bezirk mit einem hohen Anteil an Migran­ tinnen und Migranten. Als Kind erlebt sie, dass deutsche Frau­ en im Bus ihre Handtasche an sich ziehen und sich wegdre­ hen, wenn sich ihre Mutter mit Kopftuch danebensetzt. Dennoch fühlt sich Yildirim nie fremd. „Wir haben zu Hause nie das Gefühl gehabt, dass wir nicht dazugehören. Meine El­ tern haben mir immer gesagt, dass ich ein Teil dieser Gesell­ schaft bin“, erzählt sie. Ihr Vater erkennt, dass Bildung der Schlüssel ist, „um in die­ sem Land erfolgreich zu sein“. „Es war alles bei uns erlaubt, was zur Bildung beiträgt. Mein Vater ist als Nichtschwimmer mit uns zum Schwimmunter­ richt gegangen, weil er wusste, dass ich Polizistin werden will.“ Ein Berufswunsch, von dem sie sich auch nicht abbringen lässt, als sie zweimal durch die Auf­ nahmeprüfung fällt. Sie bleibt dran, lernt verbissen für den Sprachtest und wird schließlich Anfang der 2000er-Jahre eine der ersten Frauen mit türki­ schemMigrationshintergrund bei der Hamburger Polizei. << Beschimpfungen im Dienst Im Dienst sei es eher die Uni­ form als der türkische Migra­ tionshintergrund, der zu Be­ schimpfungen führe, sagt die Polizistin. Im Streifendienst wird sie mehrmals als „Nazi“ beschimpft. „Das machst du nur, weil ich Türke bin“, warf ihr ein Mann bei einer Kontrolle vor. „Ich halte einen Autofahrer nicht an, weil er dunkle Haare hat, sondern weil er rote Am­ peln missachtet, am Steuer telefoniert oder andere Regeln bricht. Ich wurde oft nur abge­ wertet aufgrund meines Berufs oder meiner Uniform. Da sieht man in der Regel nicht denMen­ schen, der seinen Job macht.“ Als Berufsanfängerin wird sie einmal bei einer Fußstreife von einem Deutschen mit Kampf­ hund bedroht. Als sie seine Pa­ piere verlangt, weigert er sich. Derya Yildirim wurde für ihr interkulturelles Engage­ ment bei der Hamburger Polizei vom dbb für den Nationalen Integrationspreis vorgeschlagen. Die Jury hat sie unter die zehn Finalistinnen gewählt, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Integrationsbeauftragte Annette Wid­ mann-Mauz am 5. Oktober 2020 im Kanzleramt empfangen haben. Von einer „Kanackin“ lasse er sich nicht ansprechen. Yildirim ruft Verstärkung und der poli­ zeibekannte Mann wird von den Kollegen in Gewahrsam genommen. Später kommt es sogar zu einem Prozess, bei dem die junge Polizistin aussa­ gen muss. „Der Fall wurde nicht einfach zu den Akten gelegt. Der Mann hat eine deftige Stra­ fe bekommen.“ Sonst hat Yildi­ rimmit Rassismus im Dienst keine Erfahrungen gemacht. << Das Beste aus zwei Kulturen „Ich habe mich in meiner Hei­ mat Hamburg noch nie fremd gefühlt. Hamburg ist mein Ge­ burtsort, ich bin hier aufge­ wachsen. Meine Uniform hat ein Hamburger Wappen, ich arbeite für diese Stadt. Das ist mein Leben.“ Dennoch wird sie häufig gefragt, woher sie kom­ me. Auch ihre Kinder, die in Deutschland geboren sind, müssen sich mit dieser Frage auseinandersetzen. „Ich für meinen Part wusste immer: Ich bin Hamburgerin und habe einen türkischen Migrations­ hintergrund. Irgendwann habe ich für mich herausgefunden, dass beide Kulturen eine Be­ reicherung sind. Ich habe aus beiden Leben das Beste für mich herausgezogen. Das macht mich glücklich.“ So fei­ ert sie mit ihrem elfjährigen Sohn und ihrer zwölfjährigen Tochter auch zu Hause Weih­ nachten. „Ich liebe den Weih­ nachtsschmuck, diesen Geruch und unseren Weihnachtsbaum. Wir gehen auch manchmal in die Kirche, weil meine Kinder auf einer katholischen Schule sind.“ Aber auch die türkischen Tradi­ tionen machen ihr Freude: „Ich genieße es mitzuerleben, wie wir auf einer türkischen Hoch­ zeit mehrere Tage zusammen­ kommen und unsere Rituale zelebrieren. Ich liebe es, unsere traditionellen Tänze zu tan­ zen.“ Hinsichtlich der Religion hat die 40-Jährige ebenfalls ei­ nen Mittelweg für sich gefun­ den: „Ich schließe die Augen und entscheide für mich, wie mein Gott aussieht.“ © Jan Brenner (2) 18 dbb > dbb magazin | November 2020

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