dbb magazin 10/2020

interview erweitert. Damit sind die Kol­ leginnen und Kollegen nun­ mehr bei jeder dienstlichen Tätigkeit besonders geschützt. Gleichfalls wurde für diese De­ liktstruktur ein höheres Straf­ maß etabliert vergleichbar der einfachen Körperverletzung oder Nötigung. Als die letzte Strafverschärfung beschlossen wurde, gab es Kri- tik von verschiedenen Seiten. Der dbb etwa hat bemängelt, dass damit beispielsweise Be- schäftigte in Finanzbehörden oder Bürgerämtern nicht ge- schützt würden. Sehen Sie hier keinen Bedarf für Nachbesse- rungen? Der Kreis der Betroffe- nen scheint ja eher noch zu wachsen, wenn man an die Angriffe auf (ehrenamtliche) Kommunalpolitiker denkt. Ich habe es bereits anklingen lassen, dass es juristisch schwer möglich ist, einen Be­ rufsgruppenkatalog im Straf­ gesetzbuch als Tatbestand zu definieren. Aber, und das ist die richtige Entwicklung, es wurde mit den §§ 113 bis 115 des Strafgesetzbuches zum Beispiel der rechtlich geschütz­ te Personenkreis auf Personen, die Amtsträgern gleichstehen, und auf Hilfeleistende bei Voll­ streckungshandlungen erwei­ tert. Denn gerade im Bereich der Vollstreckung zum Beispiel von Geldforderungen, ich den­ ke hier an Gerichtsvollzieher oder auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtkäm­ merei, kann es öfter zu Belei­ digungen oder Nötigungen kommen. Auch Amtsträger – und das sind die Beamtinnen und Beamten im öffentlichen Dienst und den staatlichen oder Kommunalverwaltungen – genießen, wenn sie hoheitlich tätig werden, ebenso diesen Schutz. Was kann die Politik aus Ihrer Sicht über die Verschärfung des Strafmaßes hinaus dafür tun, damit Vertreterinnen und Ver- tretern des Staates wieder mit mehr Respekt und mit weniger Gewalt begegnet wird? Die Antwort hierzu ist viel­ schichtig. Es geht auch um die jeweilige Sichtweise, also da­ rum, was die Institution tun kann und was Bürgerinnen und Bürger tun können. Allein ein höheres Strafmaß wird die Einstellung gegenüber dem Staat nicht ändern. Straftaten schnell zu ahnden, sehe ich als wirksames Mittel, das dauer­ haft wirkt. Zudemmüssen wir auch früher ansetzen. Was radikalisiert die Menschen? Warum gehen sie auf Voll­ streckungsbeamte los? Meines Erachtens spielt hier die Frage des Vertrauens in behördliche Institutionen beziehungsweise dessen Verlust eine maßgeb­ liche Rolle. Das hat viel mit Offenheit, Kompetenz, Trans­ parenz, Fehlerkultur und Kom­ munikation auf Augenhöhe zu tun. Wenn wir morgens mit diesem Anspruch auf Arbeit gehen, ist schon ein wesent­ licher Schritt in Richtung Ver­ trauen getan. Für dieses erbau­ liche Miteinander braucht es Kraft, Verantwortung, perso­ nelle Ressourcen und gute Aus- und Fortbildung für be­ rufliche Professionalität. Eine oft geäußerte Kritik lau- tet, dass Politik gerne Gesetze verschärft, aber ungern Geld für Leute bereitstellt, die diese Gesetze durch- und umsetzen. Das gilt übrigens nicht nur für die Innere Sicherheit, sondern für nahezu jeden Politikbe- reich. Können Sie den Vorwurf nachvollziehen? Das ist vollkommen richtig. Jede Strafverschärfung oder andere Sanktion, die neu ein­ geführt wird, ist immer nur so viel wert, wie sie auch schnell und konsequent durch die Justiz sanktioniert werden kann. Sonst bleibt es ein zahn­ loser Tiger. Wer das eine will, muss das andere mögen, das heißt, dass man immer genau hinschauen muss, was eine Verschärfung oder Neuein­ führung von Sanktionen tech­ nisch, finanziell oder personell bedeutet. Nur wer die ent­ sprechenden Ressourcen hat, kann hier punkten. Hier lohnt sich immer genau hinzuschau­ en. Thema „Geld“: Das Bundesver- fassungsgericht muss sich im- mer wieder mit der Besoldung von Beamtinnen und Beamten beschäftigen. Zuletzt hat es im Juli den Ländern Berlin und Nordrhein-Westfalen beschei- nigt, dass deren Regelungen für bestimmte Zeiträume und Be- soldungsgruppen nicht den Vorgaben des Grundgesetzes genügten. Welche Konsequen- zen wird das für andere Besol- dungsrechtskreise haben? Und wäre es nicht sinnvoll, wenn die Länder sich bei diesem The- ma zukünftig wieder enger ab- stimmen? Konsequenz für andere Besol­ dungsrechtskreise kann nur sein, anhand der Vorgaben der beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ihre eigene Besoldung zu überprüfen. Dies gilt sowohl für das Kriterium des Ab­ stands zur Grundsicherung wie für die Alimentation für Beamte mit drei und mehr Kindern. Sollten die Vorgaben des Bundesverfassungsge­ richts nicht erfüllt sein, muss im jeweiligen Besoldungs­ recht nachgesteuert werden. Diese Überprüfung erfolgt in Thüringen derzeit. Neben der Bezahlung ist die Modernität des Arbeitsplatzes für die Rekrutierung von Nach- wuchs- beziehungsweise Fach- kräften entscheidend. Wäh- rend der Corona-Pandemie ist aber überdeutlich geworden, dass der öffentliche Dienst etwa in den Bereichen „Home- office“ und „mobiles Arbeiten“ noch großen Nachholbedarf hat, oder? Aus meiner Sicht ist in den ver­ gangenen Jahren auf dem Ge­ biet schon einiges passiert. In vielen Verwaltungen wurden innerhalb kürzester Zeit trag­ fähige Lösungen für mobile Ar­ beit bereitgestellt. Allein mein Haus hat kurzfristig fast 80 neue Laptops beschafft und unser Landesrechenzentrum hatte alle Hände voll zu tun, diese ans Netz zu bringen. Eine moderne und digitale Verwal­ tung ist die Zukunft. Das be­ deutet neben der technischen Infrastruktur auch die Möglich­ keit für neue Arbeitszeitmodel­ le. Da müssen wir weiter dran­ bleiben und Lehren aus der Zeit der COVID-19-Pandemie ziehen. Über die schleppende Digitali- sierung staatlicher Dienstleis- tung wird viel geschimpft ebenso wie über den angeblich rückständigen öffentlichen Dienst. Wir möchten Ihnen hier die Möglichkeit geben, dieses Bild zu korrigieren: Nen- nen Sie uns doch bitte drei Bei- spiele für aus Ihrer Sicht gelun- genen Digitalisierung. Thüringen ist bereits erfolg­ reich bei der Umsetzung vieler digitaler Angebote. Zu nennen sind hier unbedingt das An­ tragsmanagementsystem ThAVEL, was aktuell die Nut­ zung von insgesamt 308 konfi­ gurierbaren Online-Anträgen und Verwaltungsverfahren er­ möglicht. 2019 waren es noch 35 Online-Verfahren. Auf der zentral bereitgestellten E-Ver­ gabe-Plattform haben sich bereits 136 kommunale Verga­ bestellen angemeldet. Das ist sehr hilfreich und standardi­ siert komplexe Beschaffungs­ vorgänge. Auch die Zahl der Förderanträge von Vorhaben für eine elektronische Verwal­ tung, also E-Government-Vor­ haben, aus den Landkreisen und Kommunen nehmen ste­ tig zu. Neben einer zentralen Rechnungseingangsplattform des Landes zur Entgegennah­ me von elektronischen Rech­ nungen, an welcher nahezu 600 Kommunen, Landkreise und Zweckverbände sowie circa 200 Landesbehörden angemeldet sind, ist auch die elektronische Akte auf dem Vormarsch, das Finanzministe­ rium und das Innenministeri­ um haben diese E-Akte inzwi­ schen als führende Akte. 5 dbb > dbb magazin | Oktober 2020

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