dbb magazin 9/2020

fokus beamtenrecht § Beamtenbesoldung Verfassungsgericht stärkt das Alimentationsprinzip Mit zwei Ende Juli 2020 veröffentlichten Beschlüssen hat das Bundesver­ fassungsgericht (BVerfG) festgestellt, dass bestimmte Besoldungsgruppen in Berlin und Nordrhein-Westfalen zeitweise zu gering besoldet wurden. Die Gesetzgeber müssen bis spätestens August 2021 verfassungskonfor- me Regelungen schaffen. Die Entscheidungen wirken über Berlin und Nordrhein- Westfalen hinaus, denn sie konkretisieren für alle 17 Be­ soldungs- und Versorgungs­ rechtskreise in Deutschland die Verfassungsvorgaben für das absolute Mindestmaß und die notwendigen Inhalte der amtsangemessenen Alimenta- tion. Damit setzt das BVerfG seine deutliche Rechtsprechung zur Alimentation – zuletzt aus dem Jahr 2015 – fort. << Besoldung in Berlin (Beschluss vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 – auf Aussetzungs- und Vorlagebeschluss BVerwG 2 C 56.16, 2 C 57.16, 2 C 58.16) Die Kläger der Ausgangsverfah- ren waren ein Vorsitzender Richter am Landgericht (BesGr. R 2), ein Richter am Landgericht (BesGr. R 1) und die Witwe ei- nes Vorsitzenden Richters am Kammergericht (BesGr. R 3), der im Jahr 2015 in dieses Amt be- fördert worden war – und we- nig später verstarb. Die erst- mals im Jahr 2009 gegen die Besoldungshöhe erhobenen Widersprüche der Kläger blie- ben – wie die nachfolgenden Klagen vor dem Verwaltungs- gericht bis in die Berufungsins- tanz – erfolglos. Das Bundes­ verwaltungsgericht hat die Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungs- gericht die Frage vorgelegt, ob die Besoldung in den genann- ten Besoldungsgruppen mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar sind. << Wesentliche Entscheidungsgründe Die Besoldungsvorschriften des Landes Berlin sind mit dem von Art. 33 Abs. 5 GG gewähr- leisteten Alimentationsprinzip unvereinbar, soweit sie die Be- soldung der Richter und Staats- anwälte der BesGr. R 1 und R 2 in den Jahren 2009 bis 2015 sowie der BesGr. R 3 im Jahr 2015 betreffen. Die Besoldungsentwicklung in Berlin entspricht nicht den vom BVerfG im Jahr 2015 auf- gestellten Parametern. Danach wird auf der ersten Prüfungs- stufe mithilfe von fünf zum Alimentationsprinzip angeleg- ten Parametern ein Orientie- rungsrahmen für eine grund- sätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der Alimenta­ tionsstruktur und des Alimen- tationsniveaus ermittelt (Ver- gleich Besoldungsentwicklung mit Entwicklung Tarifentloh- nung im öffentlichen Dienst, Nominallohnindex, Verbrau- cherpreisindex, systeminterner Besoldungsvergleich und Quer- vergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Län- der). In den jeweils vorange- gangenen 15 Jahren blieb die Besoldungsentwicklung in Ber- lin ummindestens fünf Pro- zent hinter der Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst und der Verbraucher- preise zurück. In den Jahren 2010 bis 2014 lag die Differenz zur Tariflohnsteigerung bei über zehn Prozent. Auch das Mindestabstandsgebot in den unteren Besoldungsgruppen war durchgehend deutlich ver- letzt worden. Hinsichtlich der Entwicklung des Nominallohn- index und im Quervergleich mit der Besoldung in Bund und Ländern seien zwar die maß- geblichen Schwellenwerte nicht überschritten worden. Weil aber drei von fünf Parame- tern der ersten Stufe erfüllt wa- ren, bestünde die Vermutung einer verfassungswidrigen Un- teralimentation. Diese Annah- me wurde im Rahmen der Ge- samtabwägung von weiteren alimentationsrelevanten Kriteri- en erhärtet. Mit dem Amt eines Richters oder Staatsanwaltes seien vielfältige und anspruchs- volle Aufgaben verbunden, wes- halb hohe Anforderungen an den akademischen Werdegang und die Qualifikation gestellt würden. Gleichwohl habe das Land Berlin die formalen Einstel- lungsanforderungen abgesenkt und in erheblichem Umfang Be- werber eingestellt, die nicht in beiden Examina ein Prädikat („vollbefriedigend“ und besser) erreicht hätten. Dies zeige, dass die Alimentation ihre qualitäts- sichernde Funktion, durchge- hend überdurchschnittliche Kräfte zum Eintritt in den höhe- ren Justizdienst in Berlin zu be- wegen, nicht mehr erfüllt habe. Gegenüberstellungen mit Ver- gleichsgruppen außerhalb des öffentlichen Dienstes hätten im Rahmen der Gesamtabwägung zu keiner anderen Bewertung geführt. Schließlich hätten auch verschiedene Einschnitte im Bereich des Beihilfe- und Ver- sorgungsrechts berücksichtigt werden müssen, die das zum laufenden Lebensunterhalt ver- fügbare Einkommen zusätzlich gemindert hätten. Eine Gesamtschau der maß- geblichen Parameter ergab daher nach Entscheidung des © Klaus Eppele / Fotolia 16 dbb > dbb magazin | September 2020

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