dbb magazin 9/2020

§ Bundesverfassungsgerichts, dass die im Land Berlin in den verfahrensgegenständlichen Jahren und Besoldungsgruppen gewährte Besoldung evident unzureichend war. Sie genügte nicht, um Richter und Staatsan- wälte nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung dieser Ämter für die Allgemeinheit ei- nen der Entwicklung der allge- meinen wirtschaftlichen und fi- nanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards angemessenen Lebensunter- halt zu ermöglichen. Diese Un- terschreitung des durch Art. 33 Abs. 5 GG gebotenen Besol- dungsniveaus wurde auch nicht durch kollidierendes Verfas- sungsrecht, zu der auch die Ver- pflichtung zur Haushaltskonso- lidierung zählt, gerechtfertigt. Der Gesetzgeber des Landes Berlin wurde daher aufgefor- dert, verfassungskonforme Re- gelungen mit Wirkung spätes- tens vom 1. Juli 2021 an zu treffen. Eine rückwirkende Be- hebung sei für die Richter und Staatsanwälte erforderlich, die sich gegen die Höhe ihrer Be- soldung zeitnah mit statthaf- ten Rechtsbehelfen gewehrt hätten. Eine generell und allge- meine Pflicht zur umfassenden rückwirkenden Behebung wur- de jedoch mit Blick auf die Be- sonderheiten des Richter- und Beamtenverhältnisses nicht festgestellt. << Besoldung in Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 6/17, 2 BvL 8/17, 2 BvL 7/17 – auf Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Ver­ waltungsgerichts Köln vom 3. Mai 2017 – 3 K 6173/14, 3 K 7038/15 und 3 K 4913/14 –) Die Kläger der Ausgangsver- fahren standen als Richter mit Dienstbezügen der BesGr. R 2 im Dienst des Landes Nord- rhein-Westfalen. Ein verhei­ rateter Kläger erhielt im Jahr 2013 für drei Kinder Kinder- geld. Die beiden anderen Ver- fahren betrafen einen Kläger, der ebenfalls verheiratet war und in den Jahren 2014 und 2015 für vier Kinder Kindergeld erhielt. Die Kläger machten geltend, dass ihre Besoldung im Hinblick auf ihre Kinderzahl verfassungswidrig zu niedrig bemessen wäre. Das Verwal- tungsgericht Köln setzte die Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage zur Prüfung vor, ob die Besoldung in den genannten BesGr. und in dem genannten Zeitraummit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar war. << Wesentliche Entscheidungsgründe Der Dienstherr ist aufgrund des Alimentationsprinzips ver- pflichtet, seinen Richtern und Beamten sowie ihren Familien einen amtsangemessenen Le- bensunterhalt zu gewähren. Deshalb ist bei der Beurteilung und Regelung dessen, was eine amtsangemessene Besoldung ausmacht, die Anzahl der Kin- der nicht ohne Bedeutung. Sind die Grundgehaltssätze so bemessen, dass sie zusammen mit den Familienzuschlägen bei zwei Kindern amtsange- messen sind, darf Richtern und Beamten nicht zugemutet wer- den, für den Unterhalt weiterer Kinder auf die familienneutra- len Bestandteile ihres Gehalts zurückzugreifen. Bei der Be- messung des zusätzlichen Be- darfs, der für das dritte und jedes weitere Kind entsteht, kann der Besoldungsgesetz­ geber von den Leistungen der sozialen Grundsicherung aus- gehen. Er muss dabei aber be- achten, dass die Alimentation etwas qualitativ anderes ist als die Befriedigung eines äußers- ten Mindestbedarfs. Ein um 15 Prozent über dem realitätsgerecht ermittelten grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarf eines Kindes liegender Betrag lässt diesen Unterschied hinreichend deut- lich werden. Immer muss die Grundbesoldung aber so be- messen sein, dass sie zusam- men mit den Familienzuschlä- gen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder für eine Zwei-Kinder-Familie amtsange- messen ist. Nur ein mindestens um 15 Prozent über dem reali- tätsgerecht ermittelten grund- sicherungsrechtlichen Gesamt- bedarf eines Kindes liegender Betrag sichert den verfassungs- gebotenen Unterschied. Ob die Gesamtheit der Dienstbezüge mindestens amtsangemessen ist, beurteilt sich nach dem Nettoeinkommen. Diesen Maßstäben wurden die verfahrensgegenständlichen Besoldungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen nicht gerecht. Vergleichsbe- rechnungen zeigten, dass die Besoldung der Richter und Staatsanwälte der BesGr. R 2 in Bezug auf das dritte Kind im Jahr 2013 und in Bezug auf das dritte und vierte Kind in den Jahren 2014 und 2015 den ver- fassungsgebotenen Mindest- abstand von 15 Prozent zur Grundsicherung nicht einge- halten hatten. Wie der Besoldungsgesetz­ geber das von der Verfassung vorgegebene Ziel erreicht, schreibt das BVerfG nicht vor. Möglich wäre das etwa durch eine entsprechende Bemes- sung der Bruttobezüge, in Ge- stalt eines kinderbezogenen Familienzuschlags, durch allge- meine steuerrechtliche Vor- schriften, die die durch den Kindesunterhalt verminderte Leistungsfähigkeit ausgleichen, oder die Kombination dieser und weiterer Möglichkeiten. Der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen hat spä- testens bis zum 31. Juli 2021 eine verfassungskonforme Regelung zu treffen. Eine rück- wirkende Behebung ist auch hinsichtlich der Kläger der Aus- gangsverfahren und hinsicht- lich etwaiger weiterer Richter und Staatsanwälte erforder- lich, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschie- den worden ist. Eine Pflicht zur allgemeinen rückwirkenden Behebung des Verfassungsver- stoßes wurde mit Blick auf die Besonderheiten des Richter- und Beamtenverhältnisses nicht festgestellt. << Besoldungsrechtliche Einordnung Das Bundesverfassungegericht hat die Alimentationsrechte aller Beamten, Soldaten und Richter erneut präzisiert und gestärkt. Die Umsetzung durch alle Besoldungsgesetzgeber wird sehr komplex sein: Zu- nächst müssen die Gerichte in den jeweiligen Ländern über die in den vergangenen Jahren mehr als 10 000 anhängigen Fälle entscheiden, die überwie- gend ruhend gestellt oder aus- gesetzt wurden. Gleichzeitig müssen die Besoldungsgesetz- geber in Bund und Ländern die Entscheidungen analysieren und prüfen, ob und welche Än- derungen notwendig sind, um sachgerechte und alimentativ ausreichende Neuregelungen der Besoldung für die Zukunft – aber auch teilweise für die Vergangenheit – zu treffen. Die Über- und Umsetzung die- ser Entscheidungen wird alle Beteiligten intensiv beschäfti- gen, wie dies bereits bei der Entscheidung aus dem Jahr 1998 zu den kinderreichen Beamtenfamilien der Fall war. Damals dauerte die Umsetzung rund fünf Jahre, obwohl damals nur eine für Bund und Länder einheitliche besoldungsrechtli- che Regelung zu treffen war. Diese Zeit haben die Gesetzge- ber jetzt zu Recht wegen der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten kurzen Frist nicht mehr. Zudem bestehen mit den Entscheidungen des BVerfG von 2015 und 2020 präzisierte Be- obachtungs-, Handlungs- und Regelungspflichten, die alle Be- soldungsgesetzgeber verpflich- ten, bei jeder Fortschreibung der Besoldungshöhe in Gestalt von regelmäßigen Besoldungs- anpassungen umfangreich dar- zulegen, wie die verfassungs- rechtliche Gestaltungsdirektive des Art. 33 Abs. 5 tatsächlich eingehalten wird. ab Model Foto: Colourbox.de beamtenrecht 17 dbb > dbb magazin | September 2020

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