dbb magazin 7-8/2020

tarifpolitik << Kommentar zur Einkommensrunde Vorrang der (Tarif-)Politik Deutschland befindet sich in der Krise. Erst medizinisch, dann gesellschaftlich und mittlerweile auch wirtschaftlich wird unser Land von der Corona-Pandemie in Mitleidenschaft gezogen. Solche Krisenzeiten sind oftmals Zeiten, in denen sich viele Bürger nach einer starken Hand, objektiver Vernunft und einem Verzicht auf „politische Zankerei“ sehnen. Dieser Sehnsucht liegt der Irr- glaube zugrunde, in einer Krise müsse man das „Richtige“ einfach nur umsetzen und nicht erst lang und breit diskutieren. Wer so denkt, nimmt vermeintliche „wirtschaftliche Zwänge“ schnell als gegeben hin und hält eine Einkommensrunde mit Lohnforderun- gen für völlig fehl am Platz. Mit Verlaub: Das ist Unsinn. Gerade in der Krise gilt es, der Politik den Vorrang zu geben, für uns der Tarifpolitik. Dabei will ich noch nicht einmal das schöne Thema Gerechtigkeit aufrufen, wenn den systemrelevanten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes erst viel Applaus entgegenschlug und nun, wie es unsere dbb jugend so schön formulierte, dem Klatschen die Klatsche folgt, wenn die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Nullrunden, bestenfalls mit Inflationsausgleich und langer Laufzeit, fordert. Mir geht es auch um politische Gestaltung. Die ist gerade jetzt gefragt. Denn: Die Corona-Krise zeigt zweierlei. Deutschland ist auch deshalb bisher vergleichsweise gut durch die Krise gekom- men, weil wir unseren öffentlichen Dienst nicht in demMaße öko- nomisch-verengten Sichtweisen und Privatisierungsabenteuern geopfert haben wie viele unserer Nachbarn und gleichzeitig haben wir an vielen Stellen gemerkt, wo wir auch in Deutschland nach- steuern müssen. Und dazu brauchen wir die politische Auseinandersetzung um den besten Weg, zum Beispiel in der Gesundheitspolitik. Politische Auseinandersetzungen sind kein Luxus, sondern eine Notwendig- keit. In diesem Sinne brauchen wir jetzt auch die Einkommensrun- de mit Bund und Kommunen. Vielleicht mag diese in der Form in diesem Jahr etwas anders verlaufen. Aber wie in früheren Jahren auch müssen wir unsere guten Argumente zu Gehör bringen. Und wenn es von der Politik ein Nullrundendiktat geben sollte, gehört notfalls auch der Streik dazu! Ulrich Silberbach waren ernüchternd ausgefal- len. „Mit Wertschätzung hatte das wenig zu tun“, resümierte Silberbach die Ergebnislosig- keit der Sondierung. Weil die Konsequenzen der Corona- Pandemie überall zutage träten, könne imMoment niemand sagen, wie sich die Lage weiterentwickele. „Inso- fern wäre es klug gewesen, jetzt kurzfristig eine Über- gangsvereinbarung zu schlie- ßen und die eigentliche Ein- kommensrunde ins nächste Jahr zu schieben. Diese Weit- sicht fehlt der VKA offenbar.“ Die Gewerkschaften nähmen die schwierige Finanzlage der Kommunen sehr wohl zur Kenntnis. „Allerdings“, so der dbb Chef weiter, „hilft uns ein Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden hier nicht weiter. Schon gar nicht, wenn es auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird.“ Die Alternative sei eine „vermutlich sehr harte Tarifauseinandersetzung“. Selten habe die Verantwor- tung für die damit verbunde- nen Konsequenzen so klar auf- seiten der Arbeitgeber gele- gen: „Die Kolleginnen und Kol- legen in Kitas, Krankenhäu- sern, Ordnungs- und Bezirks- ämtern, Jobcentern, bei Zoll und Bundespolizei verdienen mehr Wertschätzung, ideell und materiell. Gerade jetzt. Vielleicht werden sie sich diese Wertschätzung im Herbst er- kämpfen müssen.“ Dabei hätte es auch anders kommen können. Mit dem Bund hatte zuvor ein konstruk- tives Gespräch stattgefunden, um im Konsens zu einer Ver- schiebung der Einkommens- runde zu kommen. „Nach un- seren Vorstellungen hätten die Tarifpartner gemeinsam Rege- lungen für die Beschäftigten finden können, die das nächste halbe Jahr abgedeckt hätten. Auch uns ist klar, dass dann nicht alle Probleme vom Tisch sein werden. Wohl aber hätten wir gesellschaftlich und wirt- schaftlich mehr Klarheit. Das hat die VKA nicht interessiert“, so Silberbach. „Es war schon erstaunlich, dass die Kommunen nicht einmal den Versuch gemacht haben, mit uns gemeinsam eine Lö- sung zu finden“, zeigte sich Volker Geyer überrascht. „Wenn dann im September be- klagt werden sollte, dass es im öffentlichen Dienst zu Streiks kommt, sind diese Klagen bitte an die VKA zu richten.“ Geyer machte klar, es sei allen be- wusst, dass die anstehende Einkommensrunde von beson- deren Umständen geprägt sein wird. „Wir halten auch nichts davon, jetzt so zu tun, als ob es in Corona-Zeiten keine Konflik- te mehr geben kann und geben darf. Aber es wäre ein starkes Zeichen gewesen, wenn wir gemeinsam gezeigt hätten, dass wir uns unserer besonde- ren Verantwortung bewusst sind – für die Gesellschaft, aber genauso auch für die sys- temrelevanten Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Ein Zeitplan, bei demman nicht so tut, als sei nichts geschehen, wäre hier ein starkes Zeichen der Vernunft gewesen. Dafür war die VKA nicht zu gewin- nen.“ << Inflationsausgleich reicht nicht Für den dbb ist klar, dass die Ein- kommensrunde neben einem Inflationsausgleich auch eine materielle Anerkenntnis der Leistungen in der Corona-Krise bringen muss. „Wir sind nicht naiv“, sagte der dbb Bundes- vorsitzende demMagazin „Wirtschaftswoche“ am 18. Juni 2020 mit Blick auf die finanziel- len Auswirkungen der Corona­ virus-Pandemie auf die öffent­ lichen Haushalte. „Es bleibt aber dabei, dass die Beschäftigten ein Anrecht auf Teilhabe an der allgemeinen Einkommensent- wicklung haben. Und der Fach- kräftemangel in vielen Berei- chen des öffentlichen Dienstes ist ja auch nicht plötzlich ver- schwunden. Wir erleben, dass << Ulrich Silberbach © FriedhelmWindmüller 7 dbb > dbb magazin | Juli/August 2020

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