dbb magazin 7-8/2020

interview Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) gehört zu meinen wichtigsten Vorhaben einer gefühlten Ewigkeit unbe- setzt, die Personalgewinnung überaus schwierig. Was werden Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen in der GMK dagegen unternehmen? Es gehörte seit meinem Amts- antritt zu meinen wichtigsten Vorhaben, den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken. In den letzten Jahrzehnten wurde der ÖGD vernachlässigt. Fehlende Stellen, schlechte Be- zahlung. Wir haben in Berlin sehr frühzeitig ein Musterge- sundheitsamt entwickelt, also eine Personalbedarfsplanung. Das ist eine gute Grundlage. Auch die bessere Bezahlung ha- ben wir vorangebracht. Jetzt müssen die Stellen auch be- setzt werden. In dieser Situati- on hat sich gezeigt, wie wichtig das ist. Wir sind im Land Berlin da auf einem sehr guten Weg. Als Senat haben wir dafür ge- sorgt, dass nun beispielsweise das Personal in den Ämtern besser bezahlt werden kann. Es kann einem doch niemand erklären, warum eine Amtsärz- tin oder ein Amtsarzt weniger verdienen soll als eine Ärztin oder ein Arzt im Krankenhaus. Deshalb haben wir die Möglich- keit geschaffen, diese Stellen nun außertariflich zu bezahlen. Das ist zuerst amWiderstand des Hauptpersonalrats geschei- tert, nach einer Entscheidung der Schiedsstelle aber nun möglich. Außerdem wurden im Rahmen des Mustergesund- heitsamtes auch zusätzliche Stellen in den Gesundheitsäm- tern geschaffen. Die Besetzung der Stellen liegt aber natürlich an den Bezirken. Da gibt es dann allerdings große Unter- schiede. Während einige Bezir- ke bei der Besetzung der Stel- len schon sehr weit sind, gibt es auch einige, die sich weniger darum gekümmert haben. Das muss natürlich jetzt umso schneller passieren. Viele pandemiebedingte Maß- nahmen, wie etwa die Krank- schreibung per Telefon oder die vermehrte Arbeit von zu Hause, wurden oder werden gerade wieder zurückgefahren. Sollten wir unser Verständnis von Ar- beit beziehungsweise Arbeits- kultur aus Sicht des Gesund- heitsschutzes grundsätzlich überdenken? Die Corona-Pandemie wird die Gesellschaft insgesamt mit Sicherheit verändern. Das be- trifft vermutlich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und sicherlich auch das Ver- ständnis von Arbeitskultur und der Arbeitsorganisation der Zu- kunft. Eine Folge wird aber sein, dass wir das Thema Digi- talisierung viel mehr in den Vordergrund stellen müssen. Damit meine ich gar nicht nur Homeoffice, sondern auch im Bereich der Gesundheitspolitik die elektronische Patientenak- te oder die Frage nach digita- len Sprechstunden. Gleiches gilt für die Digitalisierung der Pflege. Hier habe ich die Initia- tive „Pflege 4.0 – Made in Ber- lin“ ins Leben gerufen, die sich genau mit diesen Fragen be- schäftigt. Mir ist bei allem am wichtigsten, dass digitale Neu- erungen und Innovationen für die Patientinnen und Patienten da sind und nicht umgekehrt. Digitalisierungsprojekte schei- nen in Deutschland – Stichwort „Elektronische Gesundheitskar- te“ oder jetzt „Corona-App“ – unter keinem guten Stern zu stehen. Oft wird der Daten- schutz als größter Hemmschuh genannt. Ist es wirklich so schwierig, Sicherheit und Nutzerfreundlichkeit in der Gesundheits-IT unter einen Hut zu bringen? Wie kann das besser gelingen? Es ist nicht schwierig, Sicher- heit und Nutzerfreundlichkeit unter einen Hut zu bringen, sondern dringend erforderlich. Ich habe Verständnis für jene, die Sorgen haben, ihre persön- lichen Daten könnten bei neu- en Apps oder Ähnlichem nicht sicher sein. Deshalb braucht es auch bei solchen Innovationen wie der „Corona-App“ seine Zeit, bis alles durchgetestet ist und der Datenschutz gewähr- leistet ist. Digitale Innovatio- nen und Datenschutz müssen Hand in Hand gehen. Das gilt auch und insbesondere bei In- novationen in der Gesundheit oder der Pflege, da es sich hier zum Teil um sehr sensible Pati- entendaten wie Diagnosen, Therapien, Medikationen et cetera handelt. Bei der Versorgung mit medi­ zinischen Produkten hat sich in der Pandemie die starke Ab- hängigkeit der Bundesrepublik von internationalen Lieferket- ten gezeigt. Wird künftig wie- der mehr im Inland produziert? Und wie funktioniert das? Ich habe den Eindruck, dass es in der Gesundheitswirtschaft durchaus Bewegung gibt, hier Verbesserungen zu schaffen. Das ist richtig und ließ sich schon bei der Beschaffung von Schutzkleidung auf demWelt- markt beobachten. Politisch begrüße ich das sehr. Eigentlich wollte die GMK in diesem Jahr zum ersten Mal die direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawan- dels auf die Gesundheit in den Fokus rücken. Wo sehen Sie hier dringenden Handlungsbedarf? Oder ist neben Corona in die- sem Jahr keinen Platz mehr für das Thema? Selbstverständlich wird die Corona-Pandemie weiterhin das große Thema sein. Wir hat- ten Ende Juni dazu eine Son- dervideokonferenz der GMK und stehen auch sonst in ei- nem sehr engen Austausch. Die eigentliche Gesundheits- ministerkonferenz mussten wir auf den Herbst verschieben. Neben der Corona-Pandemie wird es dann auch um die Aus- wirkungen des Klimawandels gehen. Hitzeperioden, Dürren, aber auch hohe Niederschläge können ursächlich für Infekti- onskrankheiten, Allergien und Herz-Kreislauf- und Atemwegs­ erkrankungen sein. Gerade äl- tere Menschen, kleine Kinder und chronisch kranke Personen bedürfen hier einer besonde- ren Fürsorge. Mir geht es dar- um, nachhaltige Perspektiven für unser Gesundheitssystem zu entwickeln. Deshalb freue ich mich, dass sich die GMK umfassend damit beschäftigt, wie sich der Klimawandel auf die Gesundheit der Menschen auswirkt. << Dilek Kalayci … . ist seit Dezember 2016 Berliner Senatorin für Ge- sundheit, Pflege und Gleich- stellung. Die Diplom-Wirt- schaftsmathematikerin kam 1967 im türkischen Kelkit zur Welt und wuchs in Ber- lin auf, wo sie 1986 das Abi- tur ablegte und später ihr Studium an der TU Berlin absolvierte. Die SPD-Politi- kerin ist seit 2001 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, wo sie von 2006 bis 2011 als stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Spre- cherin für Haushalt und Fi- nanzen, Mitglied des Haupt- ausschusses für die Bereiche Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen sowie Vorsitzen- de des Unterausschusses Vermögensverwaltung tätig war. 2011 bis 2016 war Ka- layci Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen. 2014 bis 2016 amtierte sie zusätzlich als Bürgermeiste- rin von Berlin. 5 dbb > dbb magazin | Juli/August 2020

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