dbb magazin 7-8/2020

vorgestellt Thomas Heilmann Wir wollen die Gesetzgebung ändern, weil wir sehen, dass wir zu viele politische Kom­ promisse machen und dabei Formulierungen wählen, die der Verwaltung den Vollzug schwer machen. Unsere Forde- rung ist, dass wir alle Gesetze in ihrer Funktion und ihren Wirkmöglichkeiten in Verlaufs­ charts abbilden. So sieht man gleich, wo Probleme im Vollzug auftreten können. Dabei soll das, was automatisiert bear- beitet werden kann, auch au- tomatisiert bearbeitet werden. Dafür müssen wir die digitale Umsetzung gleich mitdenken. Und schließlich wollen wir den öffentlichen Dienst flexibler, innovativer und damit auch attraktiver machen. Dazu gilt es, die starren Strukturen des Ressortprinzips aufzubrechen oder auch die derzeitigen Einstellungsmodalitäten zu ändern: Wir wollen einen Ta- lentpool für die komplette Verwaltung schaffen. In welchen Passagen stimmt der dbb den Schlussfolgerun- gen zu, wo gibt es Differenzen? Ulrich Silberbach Das Buch greift einen Befund auf, den der dbb bereits vor ge- raumer Zeit festgestellt hat: den Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit des Staates und die besonderen Herausfor- derungen durch den demogra- fischen Wandel. Dabei geht es nicht nur um strukturelle Fra- gen, sondern auch um innova- tive Ansätze in der Arbeit der öffentlichen Verwaltung. Inso- fern gefällt mir durchaus der Ansatz vom lernenden Staat. Problematischer sind aus un­ serer Sicht mögliche „Neben- wirkungen“ datenbasierter Entscheidungsprozesse. Algo- rithmen, automatisierte Ent- scheidungsprozesse und selbst- lernende Systeme halten mehr und mehr Einzug in das Verwal- tungshandeln. Bei dieser Ent- wicklung geht es aber nicht nur um effizientes Handeln des Staates, sondern auch um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihren Staat. Nicht nur Entscheidungen, sondern auch der Weg zu Entscheidungen wird in einer digitalisierten Gesellschaft auszuloten sein. Der einzelne Bürger darf dabei nicht zum Objekt staatlichen Handelns werden: Grund- rechtspositionen müssen be- rücksichtigt und der Prozess transparent und nachvollzieh- bar gestaltet werden. Positiv bewerten wir viele der strukturellen Vorschläge. Ich habe bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode die zersplit- terten Zuständigkeiten für Di- gitalisierung in Bundesministe- rien und Kanzleramt kritisiert und eine stärkere Vereinheitli- chung unter einem Dach ge­ fordert. Den Vorschlag eines zentralen Digitalisierungs­ ministeriums unterstütze ich daher ausdrücklich. Wie war denn generell das Feedback auf die Veröffentli- chung des Buches Anfang Juni? Nadine Schön Durchweg positiv. Das Buch hat sofort wahnsinnig viel Auf- merksamkeit bekommen, die erste Auflage war schon nach wenigen Tagen vegriffen und ein Bestseller. Dass das so schnell geht, hatten wir nicht vermutet. Es haben sich viele Multiplikatoren gemeldet – unter anderem ja auch der dbb –, die sich an der Umsetzung der Vorschläge beteiligen wol- len. Das freut uns sehr und wir hoffen, dass wir im Koalitions- vertrag der nächsten Regie- rung möglichst viele von den 103 Vorschlägen einbringen können. Dafür braucht es na- türlich das Votum des Wählers. Überall nur Zustimmung? Wo sehen Sie Haupthindernisse auf demWeg zum „NeuStaat“? Thomas Heilmann Bei allen positiven Reaktionen, der NeuStaat wird ein Mara- thon: Ein Buch alleine reicht ja nicht. Man muss die Dinge auch umsetzen. Wir fangen direkt an, konnten die ersten Maßnahmen, nämlich die Re- gistermodernisierung und das „Once only“-Prinzip schon im Konjunkturpaket verankern. Für die Reformen in Gänze müssen wir aber politische Mehrheiten gewinnen. Wie geht es jetzt weiter? Wie will der dbb sich am Reformprojekt beteiligen? Ulrich Silberbach Das Buch ist ja zu einem Zeit- punkt erschienen, in dem die Diskussion um die Bewältigung der COVID-19-Pandemie und ihrer Folgen begonnen hat. Ob Homeoffice, verbesserte Koor- dination und Kommunikation, Fragen des Arbeitsschutzes und Wertschätzung für die Kol- leginnen und Kollegen – die Liste der Herausforderungen und Reformprojekte ist lang und muss zügig angegangen werden, um künftig besser auf besondere Herausforderungen vorbereitet zu sein. Über viele Jahrzehnte war die Entwicklung des öffentlichen Dienstes vom Kürzungswahn der Politik geprägt. Jetzt weiter zu sparen, wäre aber das völlig falsche Signal. Ich glaube, wir sind uns einig, dass der Staat nicht noch schlanker, sondern stärker, schneller und effizien- ter werden muss. Insofern hof- fe ich, dass die Diskussion um die Thesen von „NeuStaat“ entsprechenden „Drive“ in die Politik bringen. Wir helfen ger- ne mit, entsprechende Gesprä- che und Projekte zu initiieren und in die Parteien, Parlamen- te und Medien zu tragen. Die Fragen stellte Frank Zitka. Thomas Heilmann, Nadine Schön (Herausgeber) NEU STAAT Politik und Staat müssen sich ändern. 64 Abgeordnete & Ex- perten fangen bei sich selbst an – mit 103 Vor- schlägen auf 320 Seiten, Finanzbuchverlag FBV Juni 2020, 24,99 Euro, ISBN 978-3-95972-376-3. © Jan Brenner (2) 21 dbb > dbb magazin | Juli/August 2020

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