dbb magazin 7-8/2020

vorgestellt Reformideen Neustart für den Staat? Thomas Heilmann MdB, Nadine Schön MdB, Ulrich Silberbach und Friedhelm Schäfer (von links) haben sich am 23. Juni 2020 in Berlin getroffen, um über das Buch „NeuStaat“ zu diskutieren. Dabei entstand die Idee zu einem ge- meinsamen Interview der beiden CDU-Abgeordneten mit dem dbb Chef. Heilmann und Schön sind Herausgeber des 320-Seiten-Werkes, in demmehr als 60 Bundestagsabgeordnete, unterstützt von Politik- und Verwaltungs- fachleuten, Reformvorschläge für den modernen Staat der Zukunft vorlegen. Frau Schön, Herr Heilmann, wie kamen Sie auf die Idee für das NeuStaat-Projekt? Nadine Schön Das Buchprojekt haben wir be- gonnen, da war Corona noch in weiter Ferne – im Juli 2019. Es ist entstanden aus der Projekt- gruppe Zukunft und Innovati- on der CDU/CSU-Bundestags- fraktion, einer Gruppe, die sich mit der Frage beschäftigt, was wir im nächsten Jahrzehnt er- reichen wollen, welche Refor- men für einen zukunftsfähigen Staat angestoßen werden müs- sen. Dabei sind wir schnell zu der Überzeugung gelangt, dass wir vieles gründlich reformie- ren müssen, um langfristig un- seren Wohlstand auf der Basis unserer Werte zu erhalten. Die Welt stellt viele neue Anforde- rungen an uns, auf die in im- mer höheren Schlagzahlen reagiert werden muss – die Digitalisierung, die neue Kon- kurrenz aus Asien, der Klima- wandel, eine Gesellschaft mit neuen Ansprüchen und am Ende kam Corona noch hinzu. Thomas Heilmann Gleichzeitig stößt der Staat im- mer stärker an seine Grenzen – die Digitalisierung der Ver- waltung schreitet kaum voran, Projekte dauern viel zu lange und werden immer teurer. Man kann die Situation in unserer Verwaltung mit der eines Ma- nagers vergleichen, dem der Burn-out droht: Viele motivier- te und willige Menschen, die gerne viel leisten wollen, aber nicht können, weil in immer höherem Tempo Aufgaben dazukommen und die Rah­ menbedingungen ungünstig sind. Unser Staatswesen ist für die Herausforderungen un- serer Zeit zu bürokratisch, zu hierarchisch und zu komplex organisiert. Wir sitzen in der Komplexitätsfalle und müssen Strukturen ändern, damit die Verwaltung und jede einzelne Mitarbeiterin und jeder Mit­ arbeiter wieder befreit und effizient arbeiten können. Was sagt der dbb Chef? Erste Eindrücke nach der Lektüre des Buches – nur eine weitere Studie zur Verwaltungsmo­ dernisierung oder ein echter Neustart für die Debatte? Ulrich Silberbach Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen und bin der Meinung, dass die Megatrends, die das gesellschaftliche Leben und damit staatliches Handeln prägen und verändern, korrekt beschrieben sind. Besonders gefallen hat mir, dass für die benannten Missstände nicht – wie so oft – die Beschäftig- ten verantwortlich gemacht werden. Und ich möchte er- gänzen: Gerade in den letzten Monaten haben die Beschäf- tigten in der Verwaltung be- wiesen, dass sie nicht Teil des Problems sind, sondern Teil der Lösung. Aus Sicht der Autoren: Welche drei, vier Hauptforderungen oder -vorschläge ergeben sich aus Ihrer Arbeit? Nadine Schön Alle Vorschläge stehen unter einem gemeinsamen Leitbild: dem lernenden Staat mit einer datenbasierten Politik. Wir glauben, dass wir Politiker un- sere Entscheidungen viel häu­ figer als bisher an messbaren Daten orientieren sollten. Schauen wir auf das generelle Tempolimit auf Autobahnen: Eigentlich haben wir alle Da- ten, um zu entscheiden, wo eine Begrenzung des Tempos Sinn macht und wo nicht. Dort, wo viele Unfälle durch zu ho- hes Tempo passieren, sollte man es drosseln, unfallarme Strecken müssen weniger regu- liert werden. Statt an Themen so differenziert heranzugehen, leisten wir uns jede Menge ideologische Schwarz-weiß- Debatten, die die Gesellschaft polarisieren. Wir meinen, dass Politik sich mehr Ziele setzen und diese Ziele nach messba- ren Kriterien ständig überprü- fen sollte. Ein Gesetz zum Tem- polimit muss dazu führen, dass es weniger Unfälle gibt. Eine Brandschutzverordnung sollte Brände verhindern. Leisten die- se Gesetze das nicht, müssen sie nachjustiert werden und verlieren bei weiteremMiss­ erfolg ihre Gültigkeit. So eine Art von Politik wäre effizient und transparent und wir wür- den ständig dazulernen – was funktioniert, was funktioniert unter welchen Umständen, was funktioniert gar nicht? Daher sprechen wir bei einer datenbasierten Politik vom lernenden Staat. 20 > dbb magazin | Juli/August 2020

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