dbb magazin 6/2020

jugend schen unter die Knute von was auch immer zu bringen und ih­ nen ihre Freiheiten zu nehmen, kann sich ja gerne mal freiwil­ lig zum Dienst im Gesundheits­ amt oder im Krankenhaus mel­ den und sich selbst von der Realität überzeugen. Also alles nur kruder Unfug, der da im Internet oder bei den Demos verbreitet wird? Ich sehe da nicht nur Leute, die an eine große Weltverschwö­ rung glauben oder die Grund­ rechte für einen persönlichen Wünsch-dir-was-Katalog hal­ ten. Ich sehe schon auch viele, die zutiefst besorgt sind, die Angst um ihre Existenz haben, die nicht wissen, wie sie, viel­ leicht als Alleinerziehende, Kin­ derbetreuung und Arbeit unter einen Hut bringen sollen. Das sind alles vollkommen nach­ vollziehbare und berechtigte Standpunkte. Wir müssen die Verunsicherung vieler Men­ schen ernst und wahrnehmen. Wir müssen herausfinden, wo die Ursachen dafür liegen, und Lösungswege finden. Da ist ins­ besondere der Staat gefragt. Auf den Staat schimpfen doch aber alle … Und genau das ist Teil des Pro­ blems: Seit Jahren machen die Menschen die leidvolle Erfah­ rung, dass der Staat nicht da ist – in Kitas und Schulen läuft’s nicht rund, auf Termine beim Amt muss man mitunter Mo­ nate warten, Straßen und Brü­ cken werden nicht gebaut, Breitband nicht verlegt, Förder­ gelder nicht abgerufen, weil schlicht und ergreifend das Per­ sonal für all das fehlt. Deutlich weniger Polizei und Nahverkehr in der Fläche, bei Feuerwehren und Rettungsdiensten brennt’s an allen Ecken und Enden, digi­ tale Bürgerdienste – Fehlanzei­ ge. Und eben jener Staat, der in vielen Bereichen die Erwartun­ gen seiner Bürgerinnen und Bürger nicht mehr erfüllt, kommt jetzt um die Ecke und verordnet. Rigide. Macht den Starken. Dass da nicht jeder mitgeht, ist zumindest nach­ vollziehbar. Und übrigens auch die Beschäftigten des öffentli­ chen Dienstes selbst warnen, dass die aktuelle Performance, für die alle am Anschlag und darüber hinaus arbeiten, auf Dauer nicht zu halten sein wird. In Sachen Staat besteht also dringender Handlungsbedarf, wenn uns nicht alles um die Ohren fliegen soll. Es ist eine funktionierende und von allen als ausgewogen und gerecht empfundene Daseinsvorsorge, die Land und Leute zusammen­ hält. Und auch darüber sollten sich alle im Klaren sein: Auch für eine konjunkturelle Erho­ lung und nachhaltiges Wachs­ tum ist ein stabiler, handlungs­ fähiger öffentlicher Dienst ein wesentlicher Grundpfeiler. Welche Investitionen braucht der öffentliche Dienst? Menschen, Technik und die Wertschätzung und Unter­ stützung derjenigen, in deren Dienst er steht. Wir haben der­ zeit quer durch alle Branchen des Staats eine Personallücke im sechsstelligen Bereich, mehr als 200000 Beschäftigte fehlen strukturell und demografisch bedingt. Und da das Bewerber­ angebot auf dem Arbeitsmarkt zunehmend knapp wird, muss der Arbeitgeber Staat beste Konditionen bieten, wenn er die Besten für sich gewinnen will. Dazu gehört eine leis­ tungsgerechte Bezahlung ebenso wie ein modernes und gesundes Arbeitsumfeld mit entsprechender technischer Ausstattung und Möglichkei­ ten für flexibles und digitales Arbeiten. Perspektiven, Fort- und Weiterbildung müssen Standard, nicht die Ausnahme im Berufsleben sein. Natürlich kostet all das Geld. Aber wenn wir jetzt nicht investieren, wird uns ein kaputtgesparter, funk­ tionsunfähiger öffentlicher Dienst weitaus mehr kosten. Diese Erkenntnis könnte und sollte auch der Beginn einer neuen Wertschätzung für die systemrelevanten, aber oft schlecht bezahlten und vor al­ lem von Frauen ausgeübten Berufe sein, von denen viele im öffentlichen Dienst zu finden sind. Wer den Pflegenden, Be­ treuenden, Sichernden, Bilden­ den abends auf dem Balkon für ihren Einsatz applaudiert, sollte doch auch dafür sein, dass die­ se Daseinsfürsorge angemes­ sen bezahlt wird. Auch wenn das Geld dafür anteilig aus der eigenen Tasche gezahlt werden muss. Ich bin gespannt, wie lange diese Balkon-Wertschät­ zung anhält … Ein langer Wunschzettel – da- bei ist jetzt schon klar, dass die Corona-Krise uns teuer zu ste- hen kommen wird: Konjunktur- und Steuerschätzungen sind ja denkbar düster. Alles, was wir jetzt tun oder lassen, wirkt dauerhaft in die Zukunft. Wir können jetzt eine Jahrhundertchance nutzen oder einen Jahrhundertfehler machen. Selbstverständlich wird das kein Spaziergang, son­ dern der viel zitierte Marathon. Aber ich spüre vor allem bei den jungen Menschen über­ wiegend eine Aufbruchstim­ mung. Die wollen was schaffen, was gestalten. Und da rate ich nur allen: Bremst uns nicht aus! Lasst uns mit anpacken, lasst uns unsere Potenziale und Ta­ lente einbringen. Es wäre zum Beispiel eine Schande, in dieser Phase des Digitalisierungs­ schubs das Know-how der Digi­ tal Natives nicht zu nutzen, vor allem im öffentlichen Dienst. Und warum nicht auch agiler werden, hergebrachte Hierar­ chien modernisieren und auch junge Leute in die Entschei­ dungsgremien holen? Das könn­ te uns einen enormen Moder­ nisierungsgewinn bringen. Warum fordert ihr so einen grundlegenden Wandel für den öffentlichen Dienst? Weil wir müssen. Der öffentli­ che Dienst wird nur mit einer nachhaltigen Modernisierung zukunftsfest. Und das muss er sein – spätestens, wenn die nächste Krise kommt. „Ab in die Wüste?“ Wenn das dbb jugend magazin t@cker im Juni diese Frage stellt, geht es um den Klimawandel und seine Auswir­ kungen hierzulande. „Es ist ja nicht so, als sei die Corona-Pande­ mie das einzige Problem, mit demwir es zu tun haben“, schreibt dbb jugend-Chefin Karoline Herrmann im Editorial. „Wir müssen den Blick nach vorne richten und sehen, dass wir Land und Leu­ te wieder ‚auf die Reihe‘ bekommen und eben niemand in die Wüste geschickt wird – in jeder Hinsicht! Es muss jetzt ums Ganze gehen“, fordert Herrmann, „wir dürfen uns nicht in einem Kleinklein verlieren, sondern brauchen einen großen Masterplan, der die Zukunftsthemen von A wie Altersvorsor­ ge über I wie Infrastruktur und K wie Klima- und Umwelt­ schutz bis Z wie Zukunftstechnologien abdeckt. Nachhaltig.“ Die t@cker-story begleitet diesmal die Klima­ experten des Landes Brandenburg, wo auch in diesem Jahr die Trockenheit schon wieder für wüs­ tenartige Verhältnisse gesorgt hat. Mit dem gefähr­ lichen Trend einer Retraditionalisierung des Frauen­ bildes im Zuge der Corona-Krise beschäftigen sich die t@cker-tipps: Wie von „Zauberhand“ sind es überwiegend wieder mal die Frauen, die während der Phase der Einschränkungen zusehen können, wie sie Homeoffice, Homeschooling und Haushalt mehr oder weniger alleine gestemmt bekommen. Frauen dürfen, Krise hin oder her, nicht immer wieder den Kürzeren ziehen, fordert die dbb jugend. dbb jugend magazin online Herausgeber: dbb jugend dbb jugendmagazin für junge leute imöffentlichendienst Zusammengegen Homo-undTrans- phobie Grundgesetz: Kompass fürstabile Demokratie KrisealsChance: „EsmussumsGanze gehen“ 6 2020 Ausgabe 15 6 2 Wahlsieger: VollerEinsatzbeim Zoll 14 Hier findet Ihrdiedbb jugendauf Instagram 10 4 Frauen: ZurückzuHeimund Herd? Ab in die Wüste? Klimawandel tacker_6_2020.indd 1 26.05.2020 07:34:58 33 dbb > dbb magazin | Juni 2020

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