dbb magazin 6/2020

jugend Krise als Chance: „Jetzt muss es ums Ganze gehen“ Wie hat sich Deutschland in der Corona-Krise bislang ge- schlagen? Tapfer. Solidarisch. Diszipli­ niert. Mit gewissem Anlauf auch staatlich gut organisiert. Weniger koordiniert als man sich das wünschen würde. Und – mit Blick auf den öffentlichen Dienst, der in sämtlichen Berei­ chen seit Monaten alles gibt, um dafür zu sorgen, dass das Land auch weiterhin funktio­ niert – selbstlos, hoch moti­ viert und engagiert. Haben wir das Schlimmste hinter uns? Medizinisch kann man das zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht sagen. Wirtschaftlich, ge­ sellschaftlich und politisch den­ ke ich: Das große Aufräumen fängt gerade erst an. Denn die Pandemie und ihre Auswirkun­ gen, die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung und deren Folgen haben zu massiven konjunktu­ rellen Einbrüchen und sozialen Verwerfungen geführt, deren Ausmaß schon heute gigan­ tisch ist. Außerdem hat uns die Krise schonungslos vor Augen geführt, wo unsere Defizite liegen: Personal- und Ausstattungsmangel in vielen existenziellen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, fehlende digitale Infrastruktur, Kommunikations- und Koordi­ nierungslücken und auch eine gewisse Wertschätzungsun­ wucht, was Standing und Be­ zahlung von Menschen in sys­ temrelevanten Berufen betrifft. All das wird neben den weite­ ren Anstrengungen zur Ein­ dämmung des Coronavirus zu bearbeiten sein in den nächs­ ten Monaten und Jahren. Das klingt nach mehr als einer Herkulesaufgabe … Jammern bringt ja nichts. Des­ wegen gilt es jetzt, die Ärmel hochzukrempeln und die Dinge anzupacken. Jetzt muss es ums Ganze gehen. Von der Klärung der Frage, wie wir die Finanzen generationen- und geschlech­ tergerecht wieder auf die Reihe bekommen, wie wir mit sozialen Ungerechtigkeiten aufräumen und auch mit Blick auf Klima- und Umweltschutz nachhaltig Zukunftssicherung betreiben. Die Krise als Chance? Ja klar, so abgedroschen das auch klingen mag! Es wäre doch fatal, wenn wir diesen historischen Moment, dieses von einem Virus erzwungene Innehalten, nicht nutzen, um uns neu auszurichten, um zu lernen, um viele Dinge besser, Schlechtes gut zu machen. Das setzt voraus, dass alle an einem Strang ziehen. In dem Maße, in dem die Bilder aus Italien verblassen und die Fall­ zahlenkurve flacher wird, än­ dert sich aber auch rasch wie­ der die Tonlage. Unternehmen und Arbeitgeber verlangen mehr Arbeit und Zurückhal­ tung in Sachen Einkommen, auf den Straßen tummeln sich Staatsgegner aller Couleur, die gar nicht mitmachen wollen beim großen Ganzen. Die Krise spaltet, wie sie vor Kurzem noch geeint hat – oder täuscht das? Es ist so eine Art Kreuzung, an der wir stehen: Wir müssen uns jetzt entscheiden, ob wir den Weg weiter zusammen ge­ hen oder zulassen wollen, dass jeder seinen Egotrip verwirk­ licht. Ich für meinen Teil bin klar fürs Gemeinschaftliche und Soziale. Ganz ohne Frage lässt die Krise Risse innerhalb unserer Gesellschaft hervortre­ ten – in sozialer, wirtschaftli­ cher, aber auch in politischer und weltanschaulicher Hin­ sicht und der Art und Weise, wie man miteinander spricht. Aber um Risse können wir uns kümmern, sie reparieren, wenn das notwendig ist, damit das große Ganze nicht kaputtgeht. Was sagt die dbb jugend zu den zunehmenden Protesten gegen die Infektionsschutzmaßnah- men? Wir sehen das sehr differen­ ziert. Natürlich hat jeder das Recht auf eine eigene Meinung und soll und kann die in einem Rechtsstaat auch äußern. Ver­ fassungs- und Fremdenfeind­ lichkeit, Antisemitismus oder gar blanke Gewalt sind aber keine Meinung, und genau da ist für uns auch die rote Linie. Wer meint, das Coronavirus sei eine Legende, um die Men? nachgefragt bei ... ... dbb jugend-Chefin Karoline Herrmann << Deutschlands öffentlicher Dienst braucht einen Digitalisierungs- und Modernisierungsschub, sagt dbb jugend-Chefin Karoline Herr­ mann. Das dbb magazin sprach mit ihr über die Performance des Staats bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie und über die Chancen, die die Krise bei allen negativen Folgen bietet. © dbb jugend / Tinett Kähler 32 dbb > dbb magazin | Juni 2020

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