dbb magazin 6/2020

die pandemie als digitalisierungsmotor Trotz aller Fortschritte sehen Experten wie Ferdinand Ger­ lach, der Vorsitzende des Sach­ verständigenrats zur Entwick­ lung im Gesundheitswesen, weiteren Entwicklungsbedarf – gerade beim Stand der elek­ tronischen Patientenakte oder bei den Meldewegen von Corona-Infektionen, die immer noch per Fax aus den Laboren über die Landesgesundheits­ ämter ins RKI übermittelt wür­ den. „Das führt natürlich dazu, dass das länger dauert, dass das fehlerträchtig ist“, so Ger­ lach im Deutschlandfunk. „Und dann schauen wir mehr auf die Daten der Johns Hopkins Uni­ versity, die auch nicht so viel besser sind, aber schneller da sind, als auf unsere eigenen Daten.“ Gerlach ist überzeugt, dass durch eine konsequentere Digitalisierung auch positive Folgeeffekte auftreten können. „Wenn wir Patienten, die posi­ tiv getestet sind, zu Hause überwachen könnten – zum Beispiel Blutdruck, Herzschlag­ frequenz oder auch mit einem Fingerclip die Sauerstoffkon­ zentration“, betont der Ge­ sundheitsexperte, „dann könnten wir sie zu Hause gut betreuen. Sie müssten nicht ins Krankenhaus, wo sie sich mög­ licherweise selbst als Infekti­ onsherd erweisen oder, solan­ ge das noch nicht geklärt ist, andere anstecken könnten.“ So könne die Digitalisierung die Krankenhäuser entlasten und eine weitere Verbreitung der Krankheit – insbesondere in so sensiblen Umgebungen wie Klinken – verhindern. Die Potenziale einer konse­ quenten Digitalisierung des Ge­ sundheitswesens sind enorm. Durch eine digitale Analyse der Gesundheitswerte von Patien­ ten könnte beispielsweise das Pflegepersonal in Kliniken deutlich entlastet, Medikamen­ te passgenauer dosiert und zeitlich optimiert verabreicht werden. Gerade Hausärzte könnten durch Computerpro­ gramme bei der Krankheitsdia­ gnose unterstützt werden und so dazu beitragen, schlimme Krankheitsverläufe zu verhin­ dern. Und auch die Vorhersage von Epidemien würde durch den Einsatz von Big Data und künstlicher Intelligenz genauer und einfacher. dro Verhandlung per Videokonferenz „Die Richter sind total überzeugt“ Während der Corona-Pandemie beschreitet auch die Justiz neue Wege: Anfang Mai hat das Land­ gericht in Düsseldorf erstmals mündliche Ver­ handlungen per Videokonferenz durchgeführt – mit Erfolg. In bisher insgesamt drei Fällen nutzten die Richterinnen und Richter die Videokonferenzan­ lage des Gerichts, die zuvor vor allem für die Vernehmung von Zeugen im Ausland genutzt wurde. Rechtlich möglich ist dies in Zivilprozessen bereits seit der Einführung der ent­ sprechenden Vorschrift im Jahre 2013 (§ 128 a ZPO, siehe Kasten). In Düsseldorf waren es für die „Premiere“ Fälle des gewerblichen Rechtsschutzes, bei denen die Technik erstmals genutzt wurde. „Die Kolleginnen und Kollegen sind überzeugt von dieser Art der Verhandlungsführung. Es hat alles unproblematisch ge­ klappt“, erklärt Elisabeth Stöve, Vorsitzende Richterin und Pres­ sesprecherin am Landgericht. „Auch von den Anwälten, die beispielsweise bei einer Ver­ handlung aus Berlin und Frank­ furt zugeschaltet waren, haben wir positive Rückmeldungen bekommen.“ Beeindruckt zeig­ ten sich die Prozessbeteiligten insbesondere von der techni­ schen Qualität der Übertra­ gung. „Das ist kein Vergleich zu Videokonferenzsoftware, die viele Menschen aus dem Privatleben kennen. Wenn man vor einem großen Bild­ schirm sitzt und so eine glas­ klare Übertragung bekommt, vergisst man die Technik fast.“ Das Landgericht nutzt eine Vi­ deokonferenzanlage mit einer festen IP-Adresse. Die Rechts­ anwälte wählen sich in die ge­ sonderte Datenleitung des Landgerichts mittels ihrer eige­ nen Videokonferenzanlagen ein. Diese Technik ist rein hard­ wareunterstützt und wegen der gesonderten Leitung be­ sonders sicher, es wird keine übliche Videosoftware ge­ nutzt. Die Öffentlichkeit kann die mündliche Verhandlung im Sitzungssaal im Gericht verfol­ gen und hört und sieht die Rechtsanwälte über einen Bild­ schirm. Auf Wunsch führt das Landgericht Düsseldorf auch mehrere Tage vor der mündli­ chen Verhandlung einen tech­ nischen Testlauf mit den An­ wälten durch. Nach den ersten positiven Erfahrungen wollen die Rich­ terinnen und Richter des Landgerichts Düsseldorf die Möglichkeiten der Videokon­ ferenztechnik intensiver nut­ zen. „Wir regen das gegenüber den Prozessbeteiligten an, ich mache das Angebot bei mei­ nen Verhandlungen regelmä­ ßig“, so Elisabeth Stöve. Zwar gebe es bei einigen Anwälten noch eine gewisse Zurückhal­ tung, „aber wir Richterinnen und Richter sind wirklich an­ getan.“ ef << Die Richterinnen und Richter des Landge­ richts Düsseldorf wollen die Videokonfe­ renztechnik auch nach dem Ende der Pan­ demie-Einschränkungen intensiver nutzen. << § 128 a Abs. 1 Zivilprozessordnung „Das Gericht kann den Par­ teien, ihren Bevollmächtig­ ten und Beiständen auf An­ trag oder von Amts wegen gestatten, sich während ei­ ner mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzu­ halten und dort Verfahrens­ handlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeit­ gleich in Bild und Ton an die­ sen Ort und in das Sitzungs­ zimmer übertragen.“ © Justiz NRW 17 dbb > dbb magazin | Juni 2020

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