dbb magazin 5/2020

drei fragen ... dbb Fachvorstand Tarifpolitik, Volker Geyer Die Pandemie schiebt die Digitalisierung an 1 Sie haben Tarifverhand- lungen mit der Vereini- gung der kommunalen Arbeit- geberverbände (VKA) zu einem COVID-19-Tarifvertrag für den dbb geführt. Was war Ihnen dabei besonders wichtig? Volker Geyer: Zunächst einmal ist deutlich geworden, dass die medizinische Herausforderung auch eine gesundheitspoliti- sche und eine gesamtgesell- schaftliche Herausforderung darstellt und uns, wie die Bun- deskanzlerin in ihrer Fernseh­ ansprache vom 18. März zu Recht erwähnt hat, seit 1945 keine derartige Herausforde- rung mehr begegnet ist. Da- rauf haben die Menschen und auch die Organisationen unter- schiedlich reagiert. Die Schlag- zeilen waren zunächst vom Klo- papierhamstern bestimmt und es ist auch noch nicht lange her, dass der Präsident eines Berliner Fußballvereins notfalls Politik und Verwaltung verkla- gen wollte, wenn das Fußball- spiel seines Vereins ohne Zu- schauer über die Bühne gehen müsste. Wenn man bedenkt, dass heute Ansammlungen von drei Menschen zu Recht unter- sagt werden, mutet das absurd an. Andere haben erst mal ver- sucht, die für alle beispiellose und dramatische Situation zu begreifen, sich so zu organisie- ren, dass sie handlungsfähig bleiben, um dann zu schauen, welche gesellschaftlichen Pro­ bleme sich aus den primär ge- sundheitlichen Problemen er- geben. So sind wir beim dbb vorgegangen. Es zeichnet sich ab, dass niemand seriös sagen kann, wann sich unser Leben normalisiert, wann wieder so etwas wie Alltag möglich ist, der die Basis auch unseres Arbeitens und Wirtschaftens ist. Die Krisenzeit in ihrer unbe- stimmten Dauer möglichst so zu gestalten, dass die Grundla- gen unseres Zusammenlebens erhalten bleiben, ist in beson- derer Weise Aufgabe des öf- fentlichen Dienstes. Daraus ergeben sich für uns als dbb zahlreiche Aufgaben. Wir haben eine riesige Zahl von Anfragen von Einzelmitglie- dern, unseren Landesbünden und unseren Mitgliedsgewerk- schaften erhalten, die Ausdruck einer großen Verunsicherung waren, welche Konsequenzen die Situation arbeitsrechtlich haben kann. Wir haben unsere Antworten zu den wichtigsten Fragen übrigens zusammen­ gefasst. Sie sind auf unserer Internetseite nachlesbar. Aber natürlich gibt es auch kollektiv- rechtliche Aspekte. Ein Stich- wort lautet hier sicherlich Kurz- arbeitergeld, das zuletzt in der Bankenkrise ein Thema war. Damals jedoch war es für den öffentlichen Dienst wie auch für die meisten seiner privati- sierten Bereiche kein Thema. Das ist dieses Mal anders. 2 Gibt es derzeit Kontakt zur Arbeitgeberseite? Volker Geyer: Natürlich. Das geht gar nicht anders. Ende März haben dbb, ver.di und VKA über tarifliche Regelungen für die Arbeitnehmer im öffentli- chen Dienst gesprochen. Ohne dass wir direkt in allem einer Meinung waren, haben wir zü- gig gearbeitet und mit dem Be- wusstsein, dass wir offen zu- sammenarbeiten müssen. Das Ergebnis ist ein guter Kompro- miss: Mit 95 Prozent für die Be- schäftigten in EG 1 bis EG 10 und 90 Prozent für diejenigen ab EG 11 sind unsere Regelun- gen zur Kurzarbeit konkurrenz- los gut. Wichtig ist auch, dass die Regelungen vor Ort nur un- ter Beteiligung der dortigen Per- sonal- und Betriebsräte ange- wandt werden. Ihre Geltung unterliegt zeitlich und räumlich strengen Vorgaben. Wir sind uns mit den Arbeitgebern auch ei- nig, dass weder die kommunale Kernverwaltung noch der kom- munale Sozial- und Erziehungs- dienst, noch die kommunale Ordnungs- und Hoheitsverwal- tung mit dem Vertrag gemeint sind. Der Vertrag endet in jedem Fall zum Ende des Jahres. Ganz klar gilt auch: Wir haben hier kein Muster geschaffen, sondern den absoluten Ausnahmefall ge- regelt, denn eigentlich hat der öffentliche Dienst zu viel und nicht zu wenig Arbeit. Wir haben ferner gemeinsam beschlossen, die Verhandlun- gen für den Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes zu- nächst mal auf Eis zu legen. Wie es mit der Einkommensrunde weitergeht, wollen wir gemein- sam Ende April besprechen, ak- tuell fehlt uns schlicht die Mög- lichkeit, die nächsten Monate realistisch einzuschätzen. 3 Welche Veränderungen wird die Pandemie für den öffentlichen Dienst und für die Tarifpolitik mit sich bringen? Volker Geyer: Die Situation ist derzeit extrem dynamisch. Deshalb ist es schwer, schon jetzt laut über zwingende Än- derungen zu sprechen. Zwei Dinge lassen sich aber schon jetzt benennen, über die wir nachdenken müssen: Bisher hat sich unser Gesundheitssys- tem im weltweiten Vergleich sehr ordentlich geschlagen. Gleichwohl müssen wir nach der Krise kritisch schauen, wo die Problemzonen waren, wo wir bei einer erneuten Krisen- lage besser aufgestellt sein müssen. Dabei wird es dann ganz sicher auch tarifpolitische Aspekte zu beachten geben. Ganz sicher wird die Digitalisie- rung unseres Lebens nach der Krise zügiger voranschreiten. Und das wird für den öffentli- chen Dienst in besonderer Wei- se gelten. Eine der letzten Ver- handlungen, die wir vor der Corona-Pandemie begonnen hatten, waren die zu einem TV Digitalisierung mit dem Bund. Ich denke, dass wir hier nun schnell vorankommen müssen, wird niemand mehr in Abrede stellen – auch nicht bei Bund und Kommunen. Das wird eine Aufgabe, auf die die Beschäf- tigten und die Bürger nach den Erfahrungen, die unsere Gesell- schaft jetzt macht, mit ganz anderem Interesse schauen werden. ? ? ? drei fragen an ... © Marco Urban 9 dbb > dbb magazin | Mai 2020

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