dbb magazin 5/2020

corona-protokolle Arbeiten in Zeiten der Pandemie Unverzichtbare im Schatten Die Auswirkungen der Corona-Pandemie belasten Staat und Gesellschaft erheblich. Alle sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten, dass die Krise beherrschbar und das Gemeinwesen funktionsfähig bleibt. Aber nicht alle können dies tun, indem sie so wenig wie möglich Kontakt zu anderen haben. Viele müssen rausgehen. Das gilt nicht nur für die Beschäftigten im Gesundheitswesen, bei Polizei, Zoll oder den Ordnungsämtern. Das dbb magazin hat mit Unverzichtbaren gesprochen, die im Schatten stehen. Menschen, die auch täglich dazu beitragen, unser Land am Laufen zu halten, dafür aber weniger wahrgenommen werden. Nicole Ehrhardt (43), Zugchefin bei der DB Fernverkehr AG Hamburg: „Mit einem Lächeln steckt man sich nicht an.“ S eit über als 20 Jahren arbeite ich als Zugbegleiterin im Fernver- kehr der Deutschen Bahn, vor gut drei Jahren wurde ich Zug- chefin. Der rote Streifen am Ärmel meiner Dienstbekleidung sig- nalisiert, dass ich für alle Vorgänge und Abläufe verantwortlich bin, die sich im Zug ereignen. Ich mache die Durchsagen, unter- stütze mein Team bei der Kontrolle der Fahrausweise, helfe, wenn nötig, beim Bordservice aus und übernehme in einem medizinischen Notfall die Regie der Fernrettung. Ich bin von Hamburg aus deutschlandweit unterwegs und kenne natürlich die besonders frequentierten Verbindungen, etwa die ICs, die täglich Pendler nach Hamburg zur Arbeit bringen und zu- rück, oder die gefragtesten ICEs. Im voll besetzten ICE von Ham- burg nach Stuttgart bin ich dann im Normalfall für rund 600 Fahrgäste verantwortlich. Vom Normalfall sind wir im Augenblick aber weit entfernt. In der Woche vor Ostern hatten wir im ICE nach Stuttgart 30 Passagiere an Bord – ich habe sie gezählt. Und auch in den Zügen, die sonst zu Saisonbeginn Feriengäste aus dem Ruhrgebiet zu den Kreuz- fahrtschiffen an die Küste bringen, herrscht wegen der Corona- bedingten Einschränkungen gespenstische Leere. Uns Zugbe­ gleitern und auch den Fahrgästen, die ihre Reise ja nicht ohne triftigen Grund antreten, bietet dieser ungewohnte „Frei-Raum“ die Möglichkeit, die Abstandsregeln besser einzuhalten: Inzwi- schen bitte ich die Fahrgäste in meinen Durchsagen, sich weit genug voneinander entfernt zu setzen und nur die Fensterplätze zu nutzen. Dann haben auch wir die Möglichkeit, ausreichend Distanz zu unseren Kunden zu halten. Die Kontrolle der Fahrausweise erfolgt im Augenblick ohne per- sönlichen Kontakt. Wir beschränken uns auf die Sichtung und verzichten auf den Zangenabdruck, Handytickets werden aus der Entfernung eingescannt und wir freuen uns über jeden Fahrgast, der via Handy den neuen DB-Comfort-Check-in nutzt, bei dem die Gültigkeit von Ticket und Reservierung direkt im Zugreservie- rungssystem gespeichert wird. Der Umgang untereinander ist zu 90 Prozent super. Fahrscheine und Handys werden von den Fahrgästen zur kontaktlosen Kon­ trolle auf die Tische gelegt und die meisten halten auch Abstand, wenn sie eine Auskunft haben wollen. Ich quittiere das mit einem Lächeln – davon steckt man sich nicht an. Ich trage aber Einweg- handschuhe. Das hilft mir, zusätzlich zu den vorgeschriebenen Hygiene- und Abstandsregeln, aufmerksam zu bleiben. Sobald ich die Handschuhe anhabe, bin ich mir bewusst, dass ich mich jederzeit anstecken kann. Mit Handschuhen bewege ich mich anders im Zug, als ich das 20 Jahre lang getan habe. cri << In eigener Sache Die „Corona-Protokolle“ wurden mithilfe einiger dbb Mitgliedsge- werkschaften realisiert, die den Kontakt zu den Gesprächspartnern vermittelt haben. Die Redaktion bedankt sich bei der Gewerkschaft Strafvollzug (BSBD), der Deutschen Justiz-Gewerkschaft (DJG), der Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM), der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), dem Fachverband Wasserstra- ßen- und Schifffahrtsverwaltung (FWSV), der komba gewerkschaft, der Fachgewerkschaft der Straßen- und Verkehrsbeschäftigten VDStra. sowie der Mediengewerkschaft VRFF. Die Gespräche wurden zwischen dem 15. und 17. April 2020 tele­ fonisch geführt und beschreiben den zum Redaktionsschluss gel- tenden Stand der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. © Jennifer Ehrhardt 10 dbb > dbb magazin | Mai 2020

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