dbb magazin 12/2019

die andere meinung Personalmangel in der Justiz Die Politik hetzt hinterher Es ist wie überall in der Verwaltung: Auch in der Justiz fehlen Richter, Staatsanwälte und Vollzugsbeamte. Das führt dazu, dass Verfahren lange dauern – weil die Strafkammern und Amtsgerichte zwischen den Aktenbergen untergehen. Schlagzeilen verursachen die Juristen dann, wenn mutmaßliche Straftäter aus der Haft entlassen wer- den – allerdings nicht, weil sie unschuldig sind, sondern weil sich die Verfahren derart in die Länge ziehen, dass ein weiterer Ver- bleib in der Untersuchungshaft unverhältnismäßig wäre. In der Justiz rächt sich, wie in fast allen Bereichen der Ver- waltung, dass viel zu lange viel zu viel gespart wurde. Selbst als sich abzeichnete, dass Ber- lin nach dem Abschwung und demWegzug vieler Berliner ei- nen Aufschwung und einen sta- bilen Zuzug erlebt, hielt der Berliner Senat an den Sparvor- haben fest, die Zahl der öffent- lich Beschäftigten auf 100 000 Vollzeitäquivalente, nach Mög- lichkeit sogar bis auf 90 000 ab- zusenken. Zum besseren Verständnis der damaligen politischen Argumentation sei ein kurzer Rückblick gestattet. Mit der deutschen Einheit, die sich im kommenden Jahr zum 30. Mal jährt, trafen damals in Berlin zwei voll ausgestattete Verwaltungen der beiden bis dahin geteilten Stadt- hälften aufeinander. So wuchs die Zahl der Beschäftig- ten im unmittelbaren Landes- dienst quasi über Nacht auf rund 205 000 Stellen. Unter dem zunehmenden Spardruck wurde die Zahl in den folgenden 20 Jahren auf etwas mehr als 100 000 Voll- zeitäquivalente im Jahr 2012 halbiert. Das geschah nicht ohne Ver- wüstungen. Immer wieder wurde eine Aufgabenkritik für den öffentlichen Dienst ins Spiel gebracht, tatsächlich re- gierte in der Regel jedoch das Prinzip Gießkanne. Einige Be- reiche wurden an die Grenze der Arbeitsfähigkeit zusam- mengespart, andere darüber hinaus. Auch in der Justiz. An den Verwaltungsgerichten herrschte bereits in den 90er- Jahren teilweise Notstand, weil das Personal trotz einer Flut an Asylbewerbern aus dem ehe- maligen Jugoslawien fehlte. Die Zeiten des „Sparen bis es quietscht“, wie es der ehema­ lige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit formulierte, sind zwar vorbei, der Personal- mangel ist aber noch lange nicht behoben. Denn neben dem beschlossenen Stellen­ zuwachs nagt ein demogra­ fisches Problem an der Ver­ waltungsstruktur: Weil lange gar nicht oder zu wenig ausge- bildet wurde, geht eine hohe Anzahl an Mitarbeitern aktuell und in den kom­ menden Jahren in den Ruhestand. Der Senat kommt dabei mit den Neuein- stellungen nicht hinterher. Für die Justiz stellt sich das Pro- blem auf zweierlei Ebenen dar. Richter und Staatsanwälte las- sen sich für die neu geschaffe- nen Stellen zwar ausreichend finden, bei den nachgeordneten Berufsgruppen wie den Voll- zugsbediensteten oder Rechts- pflegern ist das nicht der Fall. Besonders problematisch sieht es derzeit bei der Amtsanwalt- schaft aus. Sie bearbeitet die Straftaten, die die meisten Berliner betreffen: darunter Diebstahl, Einbruch, Körper­ verletzung. In Berlin ist das der Großteil der Verfahren. Doch nun schlagen die Amtsanwälte in der Hauptstadt Alarm. Pro Akte hätten sie nur noch drei bis vier Minuten Zeit, sagen Vertre- ter des Deutschen Amtsanwalts- vereins (DAAV). Das habe fatale Auswirkungen auf den Umgang mit der Alltagskriminalität. Jeder Amtsanwalt muss nach DAAV- Angaben pro Monat mindestens 250 Neuzugänge an Akten abar- beiten. Hinzu kommen Sitzungs- dienste, Nachermittlungen und Verfahren gegen Unbekannt. Die in vielen Verwaltungen be- kannte Negativspirale nimmt ihren Lauf: Die Arbeitsbelastung steigt, der Krankenstand auch, die Arbeitsbelastung nimmt zu, die Langzeiterkrankungen auch. Vertrauen in den Rechtsstaat lässt sich so kaum gewinnen. Auch der Berliner Senat hat das Dilemma mittlerweile erkannt und versucht, dagegenzusteu- ern. Im vergangenen und in die- sem Jahr hat das Land nach Angaben des Finanzsenators insgesamt 5400 zusätzliche Stellen genehmigt, um dem Notstand zu begegnen. Der neue Personalaufwuchs geht aber auch mit immer neuen Aufgaben und Fragestellungen einher, nicht nur in der Justiz: Wie geht man mit den neuen E-Rollern um, die derzeit die deutschen Innenstädte überflu- ten, wie sieht es mit der Steuer- pflichtigkeit ausländischer On- linehändler im Inland aus und welche rechtlichen Vorschriften gelten für Datenkraken? Die Politik hetzt diesen Ent- wicklungen hinterher. Und mit ihr der öffentliche Dienst. So steht zu befürchten, dass sich an den langen Verfahrensdau- ern bei Gericht auch in der Zu- kunft kaum etwas ändern wird. Das ist allerdings dem Vertrau- en in die Justiz im Besonderen und in die öffentlichen Institu­ tionen im Allgemeinen nicht zuträglich – und äußerst be- dauerlich. Jens Anker << Der Autor ... ... ist Redakteur für Landes­ politik bei der Berliner Morgen- post. Zu seinen Schwerpunkt- themen gehören Personal, Justiz und Haushalt. © Colourbox.de (2) 13 > dbb magazin | Dezember 2019

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