dbb magazin 5/2019 - page 5

aktuell
interview
vertretenen Pateien
bürgernäher machen?
Sven Giegold, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen für die Europawahl
Einzelne Länder können in der Globalisierung kaum
noch Einfluss nehmen. Europa kann dagegen neue
Standards setzen. Dafür wollen wir eine EU mit mehr
Stärke und Entscheidungskraft. Dabei muss die Be­
teiligung der Bürger mit der Bedeutung der EU mit­
wachsen. Im Rat der Mitgliedstaaten, dem Entschei­
dungsgremium der nationalen Regierungen, wollen
wir eine noch häufiger drohende Blockade einiger
europafeindlich auftretender Regierungen verhin­
dern. Deshalb wollen wir dort Mehrheitsentschei­
dungen einführen, wo heute noch per Einstimmig­
keitsprinzip entschieden wird. Wir wollen auch die
Tradition der Geheimdiplomatie beenden. Alle Mit­
gliedsländer sollten künftig ihre Position, die sie zu
EU-Gesetzen in Arbeitsgruppen des Rates vertreten,
offenlegen müssen. Europäische Zusammenarbeit
birgt ein großes Einsparpotenzial. Die EU-Kommissi­
on schätzt das Einsparpotenzial durch dauerhafte
europäische Kooperation allein im Verteidigungs­
bereich auf 25 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr.
Das Subsidiaritätsprinzip–also Entscheidungen
möglichst bürgernah zu treffen– ist die Grundlage
für ein erfolgreiches Europa. Es ist deshalb richtig,
dass so viele Entscheidungen wie möglich auf kom­
munaler Ebene getroffen werden. Die Europäische
Union darf die kommunale Daseinsvorsorge nicht
behindern. Die EU kann die die Kommunen auch
vor Liberalisierungsdruck schützen, zum Beispiel
bei Verhandlungen über EU-Handelsabkommen
wie CETA mit Kanada oder JEFTA mit Japan. Wir
wollen klare und umfassende Ausnahmen für die
kommunale Daseinsvorsorge und für öffentliche
und soziale Dienstleistungen.
Martin Schirdewan, Spitzenkandidat der Partei Die Linke für die Europawahl
Viele Menschen erfahren die EU als abgehoben und
fern von ihrem Alltag. Dabei ist die EU in vielen all­
täglich relevanten Entscheidungen präsent. Die Lin­
ke streitet dafür, dass die Interessen der Menschen
in der EU Vorfahrt haben, für eine effiziente und so­
ziale Politik: Für verbindliche Mindestlöhne in allen
Mitgliedstaaten. Für Mindeststeuern für Unterneh­
men – auch die digitalen Großkonzerne! – und ei­
nen effizient funktionierenden Steuervollzug. Dafür,
dass öffentliche Aufträge und Wirtschaftsförderung
nicht an den billigsten Anbieter vergeben wird, son­
dern an Unternehmen, die regional und umwelt­
freundlich wirtschaften und Tariflöhne zahlen.
Bügernähe hängt auch von Mitbestimmungsmög­
lichkeiten der Bürgerinnen und Bürger ab. Deshalb
setzen wir uns dafür ein, dass Volksentscheide in
der EU verbindliche Vorgaben machen können –
dann wäre es nicht möglich gewesen, dass die EU
zum Beispiel über das Votum gegen Glyphosat ein­
fach hinweggeht. Wir wollen das EU-Parlament
stärken, sodass es selbst Gesetze auf den Weg brin­
gen kann – und die Kommission diese nicht außer
Kraft setzen kann. Eine effiziente EU im Interesse
der Menschen bedeutet auch, dass der Einfluss der
Wirtschafts-Lobbyisten zurückgedrängt werden
muss. 25000 Lobby-Vertreter versuchen in Brüssel
Einfluss zu nehmen. Wir streiten gegen den „Dreh­
türeffekt“, zwischen Wirtschaft und Politik. Und für
ein Lobby- und Tarnsparenzregister, sodass für alle
sichtbar wird, wer mit welchen Zielen und welchem
Budget versucht, die Politik der EU zu beeinflussen.
Nicola Beer, Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl
Europa als selbstbewusster und mutiger Kontinent,
der seinen Burgerinnen und Burgern nicht nur Frie­
den, Freiheit und Wohlstand bewahrt, sondern als
Innovationsvorreiter für jede und jeden Zukunfts­
chancen und die Möglichkeit sozialen Aufstiegs aus
eigener Kraft schafft – das ist das Europabild von
uns Freien Demokraten. Dazu müssen wir die EU
– und zwar unter stärkerer Beteiligung ihrer Bürge­
rinnen und Bürger – grundlegend reformieren.
Deshalb fordern wir umfassende Strukturreformen,
wie etwa ein starkes Europäisches Parlament – mit
einem festen Sitz und eigenem Recht zu Gesetzes­
initiativen. Die EU-Kommission muss von 28 auf
18 Kommissare verkleinert werden, wobei die ein­
zelnen Ressorts den EU-Zuständigkeiten entspre­
chen sollen. Im Rat brauchen wir mehr Mehrheits­
entscheidungen. Wir fordern bis spätestens 2022
die Einberufung eines Europaischen Konvents zur
Ausarbeitung einer gemeinsamen Verfassung. Dar­
an sollen die Bürger über Dialoge, Befragungen und
(Online-)Eingaben direkt beteiligt werden – um am
Ende des Prozesses durch eine gemeinsame euro­
päische Volksabstimmung über die Verfassung zu
entscheiden. Weitere Ideen sind EU-Bürgerinitiati­
ven, die Aufstellung gesamteuropäischer Listen bei
Europawahlen sowie die Einführung von Englisch
als zusatzliche Verwaltungssprache in allen Ämtern
in Europa.
Zusammen mit unseren liberalen Partnern in
ganz Europa wollen wir die ALDE-Fraktion zur
zweitstärksten Kraft im EP machen und damit
neue Mehrheitsverhältnisse für einen echten
Wandel in ganz Europa herbeiführen – für eine
handlungsfähige, bürgernahe EU.
© Dominik Butzmann
© Uwe Völkner/FOX
© Laurence Chaperon
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