Tarifeinheits-Gesetz: dbb spielt Szenarien für öffentlichen Dienst durch

Zwangs-Tarifeinheit würde Koalitionsfreiheit auf den Kopf stellen

Die gesetzliche Festschreibung der Tarifeinheit – wie von einer BDA/DGB-Initiative, diversen Politikern und Arbeitsrechtlern gefordert – würde die Koalitionsfreiheit der Bundesrepublik auf den Kopf stellen. Zu diesem Schluss kommt der Tübinger Arbeitsrechtler Prof. Dr. Hermann Reichold, der die Szenarien einer verordneten Tarifeinheit im öffentlichen Dienst im Auftrag des dbb beamtenbund und tarifunion anhand konkreter Fälle durchgespielt hat.

„Die bestehende Praxis, die schon heute tarifplural ist, würde durch eine völlig unkalkulierbare Situation abgelöst, die das Tarifgefüge nachhaltig verändern könnte. Vor allem würde das tarifpartnerschaftliche Gleichgewicht zu Ungunsten der Beschäftigten aus dem Lot gebracht“, schreibt Reichold in seiner Untersuchung. „In Folge dieser Asymmetrie im Verhältnis zu den Arbeitgebern würden Flächentarif und Tarifautonomie, die eigentlichen Grundpfeiler bundesdeutscher Tarifpolitik, gravierend geschwächt werden“, so Reichold. Anstelle einer „verordneten“ Tarifeinheit solle der Gesetzgeber die positiven Lehren aus der tarifautonomen Kooperation der Vergangenheit und Gegenwart ziehen: „Jeder Konflikt kann neue, kreative Lösungen zu Gunsten der Beschäftigten fördern. Diese Kreativität ginge verloren, da das Prinzip der Mehrheitsgewerkschaft die Kommunikation unter den Gewerkschaften zurück drängt und für die Arbeitgeberseite keine Veranlassung mehr besteht, von sich aus auf andere Gewerkschaften als die Mehrheitsgewerkschaft zuzugehen. Tarifverhandlungen und die erkämpften Tarifergebnisse entsprechen durchaus dem Sinn und dem Wert von politischen Wahlen. Sie sind eine Erfolgskontrolle. Fällt diese Kontrolle und Möglichkeit zur aktiven tarifpolitischen Opposition gegenüber der Mehrheitsgewerkschaft weg, sind die Folgen im Tarifbereich kaum anders als in anderen Bereichen praktizierter oder eben nicht praktizierter Demokra¬tie. Das kann eine freiheitliche Arbeitsverfassung, die auf ihre Akteure und nicht auf den Staat vertraut, im Ernst nicht wollen.“

„Eine gesetzliche Zwangs-Tarifeinheit würde unsere freiheitliche Arbeitsverfassung auf den Kopf stellen“, fasst Frank Stöhr, dbb-Vize und 1. Vorsitzender der dbb tarifunion, Reicholds Ergebnisse zusammen.

Prof. Dr. Hermann Reichold wird seine Expertise am 5. November 2010 beim dbb Symposium „Tarifpluralität in der Praxis des öffentlichen Dienstes“ (10.30 bis 16.00 Uhr, Hotel Hilton, Mohrenstraße 30, 10117 Berlin) vorstellen. Weitere Referenten sind u.a. der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring, Vorsitzender der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder (TdL), Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer und Ehrenvorsitzender des Marburger Bundes, sowie Prof. Dr. Richard Giesen (Universität München).

 

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