„Öffentliche Dienstleistungen haben ihren Preis!“

Vor Beginn der Einkommensrunde haben wir ein Interview mit dem dbb-Bundesvorsitzenden, Klaus Dauderstädt, und dem Fachvorstand Tarifpolitik, Willi Russ, über die Rahmenbedingungen und Inhalte der anstehenden Verhandlungen geführt.

dbb spezial: Mit seinen Branchentagen hat der dbb die Einkommensrunde 2015 ungewöhnlich früh eingeläutet. Gab es erhöhten Diskussionsbedarf?

Dauderstädt: In gewisser Weise schon. Nicht erst in der letzten Länderrunde, dort aber leider in besonders eklatanter Weise, mussten wir feststellen, dass die Länder immer weniger bereit sind, gute Arbeit gut zu bezahlen. Das gilt weniger für die TdL selbst und das eigentliche Tarifergebnis. Aber genau dieselben Länder, die in Potsdam das Tarifergebnis abnicken, verweigern zunehmend eine zeit- und inhaltsgleiche Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamtenbesoldung. Das ist schlecht für die vielen betroffenen Beamtinnen und Beamten. Das ist aber auch schlecht für unser Land, in dem kurzfristige Sparziele die langfristige Sicherstellung einer guten Infrastruktur gefährden. Ich spreche hier von genau der Infrastruktur, die unser Land in den zurückliegenden Jahren, die ökonomisch herausragend schwierig waren, vor Problemen bewahrt hat und wie wir sie in vielen unserer Nachbarländer finden.

Russ: Ich habe viele dieser Branchentage besucht. Wir haben dort bundesweit zum Teil heftige Diskussionen geführt. Und ich kann bestätigen, dass Dampf im Kessel ist – bei Arbeitnehmern und Beamten gleichermaßen. Wir werden nicht jede Sorge, nicht jedes Problem und nicht jede Forderung, die uns von Polizisten, Straßenwärtern oder Krankenschwestern anvertraut wurde, lösen können. Ich denke, das wissen die Kolleginnen und Kollegen auch. Aber ich habe auch festgestellt, dass in den Betrieben genau beobachtet wird, was wir in Potsdam für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tun – und was danach die meisten Landesregierungen für die Beamten nicht umsetzen. Den Menschen geht’s dabei längst nicht nur um ihr Portemonnaie, sie machen sich auch große Sorgen um die Zukunftsfähigkeit, wenn das Sparen das Planen ersetzt und an Mensch und Material gespart wird, ohne nach den zu erledigenden Aufgaben zu fragen.

dbb spezial: Es gab auch mehrere Branchentage in Lehrerzimmern. Genießt die Entgeltordnung für Lehrkräfte bei den Lehrerinnen und Lehrern Priorität oder die Einkommensforderung?

Russ: So gehen die Kolleginnen und Kollegen in den Lehrerzimmern nicht an die Herausforderungen heran. Natürlich wissen auch die Lehrkräfte und wissen auch unsere Fachgewerkschaften aus diesem Bereich, dass eine Entgeltordnung Geld kostet. Und sie sind realistisch genug, dass wir jetzt mit einem Schritt nicht die Versäumnisse und Fehlversuche der letzten Jahre und Jahrzehnte korrigieren können. In diesem Sinne war es mir auch wichtig, auf den Branchentagen im Lehrkräftebereich klar zu machen, dass eine Entgeltordnung Lehrkräfte eher den Anfang von etwas bildet als einen Abschluss. Wenn wir in Potsdam diese Entgeltordnung ausverhandeln, wird es in den nächsten Jahren darum gehen, dieses neue Gebäude von Jahr zu Jahr wohnlicher auszugestalten. Das können wir nicht sofort alles schaffen. Es wäre aber schon ein großer Schritt, wenn wir zukünftig auf Basis einer tariflichen Entgeltordnung agieren. Jenseits davon erheben natürlich auch unsere Lehrkräfte Ansprüche auf eine angemessene lineare Erhöhung.

dbb spezial: Reichen drei Verhandlungsrunden bei derartig komplexen Problemstellungen überhaupt aus?

Dauderstädt: Klar ist doch, dass die Sacharbeit zu dieser Entgeltordnung für Lehrkräfte im Vorfeld geleistet werden muss und aktuell ja auch geleistet wird. Effizientes Verhandeln und ein guter Abschluss hängen dann primär nicht von der Anzahl der vereinbarten Verhandlungstermine ab.

dbb spezial: Die Verhandlungen führt der dbb wieder gemeinsam mit ver.di?

Dauderstädt: Richtig. Das hat sich in den letzten Jahren bewährt. Getrennt bringen wir einfach weniger Kampfgewicht auf die Matte als gemeinsam. Dass es in den Betrieben, aber auch bei der Organisation von Demos und Streiks Reibungen gibt, werte ich fast als normal, denn klar ist auch: Wir bleiben konkurrierende Organisationen. Bei der Durchführung von Demos und Streiks gibt es aber auch erheblichen Optimierungsbedarf.

dbb spezial: Bereitet sich der dbb bereits auf Arbeitskämpfe vor?

Russ: Mittlerweile sind Einkommensrunden beinahe ein ganzjähriges Geschäft. Fast bin ich geneigt zu sagen, dass die Phase der eigentlichen Einkommensrunde die einfachste ist, zumindest ist es die am klarsten strukturierte. Aber da die aktuellen Verhandlungen zur eben bereits erwähnten Entgeltordnung Lehrkräfte im Februar 2014 begonnen haben und ihr hoffentlich positives Ende nächsten März in Potsdam finden, können Sie ermessen, wie komplex und zeitaufwändig das Ganze ist. Streiks und Demos sind ein anderer Teil unserer Vorbereitungsarbeit und selbstverständlich sind wir hier bereits in den Planungen. Das hat aber nichts mit Muskelspiel zu tun, sondern ist schlicht eine organisatorische Notwendigkeit. Ich freue mich, dass Professionalität und Aktionsbereitschaft in unserem dbb gleichermaßen zugenommen haben, aber es ist nun nicht so, dass eine Einkommensrunde für uns erst dann eine gute Runde war, wenn wir den Säbel rausholen konnten.

dbb spezial: Seit Jahren verhandeln Sie die Einkommensrunden mit ver.di gemeinsam. Die Entgeltordnung Lehrkräfte verhandeln Sie gemeinsam mit der GEW. Aus unserer Sicht kann man das freiwillige Tarifeinheit auf der Basis rechtlicher Tarifpluralität nennen. Funktioniert das so schlecht, dass die Große Koalition nun eine Zwangstarifeinheit auf den Weg bringen muss?

Dauderstädt: Das Gegenteil ist der Fall. Mit ihrem politisch unsinnigen und rechtlich nicht haltbaren Vorhaben einer Zwangstarifeinheit zerstört die Große Koalition die von Ihnen aufgezählten Projekte freiwillig verabredeter Tarifeinheit, von denen es noch viel mehr gibt und die wunderbare Belege gelebter und funktionierender Tarifautonomie sind. Wer aktuell beobachtet, wie sich konkurrierende Gewerkschaften im öffentlichen Dienst freiwillig und effektiv zu gemeinsamem Handeln verabreden, und dann die sehr bemühten Begründungen von CDU und SPD zur Notwendigkeit einer Zwangstarifeinheit zur Kenntnis nimmt, der kommt nicht umhin, an Paralleluniversen zu glauben. Wenn die Bundesregierung nicht noch zur Vernunft kommt, wird hier eine Menge Porzellan zerschlagen werden.

Russ: Diese Porzellanscherben schaden uns allen. Die Bundesregierung wird enorm an Glaubwürdigkeit verlieren, zum ersten Mal, wenn sie mit dem Versuch der faktischen Einschränkung des Streikrechts demokratische Grundrechte in dramatischer Weise beschneidet, und zum zweiten Mal dann, wenn sie in Karlsruhe ganz jämmerlich mit ihrem Vorhaben gescheitert sein wird. Aber auch die Gewerkschaftsbewegung nimmt Schaden und hier meine ich die Gewerkschaftsbewegung insgesamt. Denn die Zeitspanne zwischen Verabschiedung des Gesetzes und seinem Scheitern in Karlsruhe wird eine wilde Zeit mit vielen Unsicherheiten in den Betrieben sein.

dbb spezial: Zurück zum eigentlichen Thema: Wie realistisch ist es, die 5,5 Prozent, mindestens aber 175 Euro mehr, die die Gremien des dbb am 18. Dezember 2014 in Berlin beschlossen haben, tatsächlich durchzusetzen?

Dauderstädt: Diese Forderung ist Teil eines Pakets. Sie steht sicherlich im besonderen Fokus der Beschäftigten, aber wir wollen natürlich auch bei den anderen Forderungen Erfolge erzielen und am Ende steht ein Kompromiss. Ich meine das keineswegs defensiv. Natürlich werden wir auf allen Ebenen dafür kämpfen, dass wir unsere Forderung möglichst weitgehend durchsetzen, aber wenn ich eben vom hohen Wert der Tarifautonomie sprach, dann gehört dazu natürlich auch die Bereitschaft zum Kompromiss.

Russ: Die 5,5 Prozent, mindestens aber 175 Euro mehr, sind in jedem Falle eine Forderung, die den Wert der Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen adäquat widerspiegelt. Auch das ist wichtig: Wir sagen der Politik, den Medien und der Öffentlichkeit, dass öffentliche Dienstleistungen in dem gewohnt hohen Niveau ihren Preis haben.

dbb spezial: Wird dieser Preis in Hessen derselbe sein?

Russ: Es gibt keinen Grund, in Hessen einen anderen Preis zu fordern. Die dortige Landesregierung liebt zwar den Begriff der „hessenspezifischen Besonderheiten“, hat aber in den letzten Jahren wenig Mut gehabt, wirklich eigene Wege zu gehen. Wir haben die Idee des Flächentarifs noch nicht aufgegeben. Deshalb gilt unsere Einkommensforderung auch für hessische Krankenschwestern, Straßenwärter oder Lehrer.

Dauderstädt: Und wir werden es gemeinsam mit unserem hessischen Landesbund der schwarz-grünen Regierung in Wiesbaden auch nicht durchgehen lassen, wenn sie versucht, die hessischen Beamten von der Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst abzuhängen.

 

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