1. Seniorenpolitische Fachtagung:

Mobilität ist (k)eine Altersfrage?

Am 11. Dezember 2014 hat im dbb forum berlin die erste seniorenpolitische Fachtagung der dbb bundesseniorenvertretung stattgefunden. Unter dem Motto „Mobilität ist (k)eine Altersfrage?“ referierten und diskutierten Verkehrsexperten über die Teilhabe älterer Menschen am Straßenverkehr. Ein von den Medien immer wieder transportiertes (Vor-)urteil konnte ausgeräumt werden: Ältere Verkehrsteilnehmer sind nicht per se Unfallverursacher.

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In seiner Eröffnungsrede wies der Vorsitzende der dbb bundesseniorenvertretung, Wolfgang Speck, vor den über 100 Teilnehmern der Veranstaltung darauf hin, dass die aktive Teilnahme älterer Menschen am Straßenverkehr immer dann öffentlich infrage gestellt werde, wenn ein Unfall, bei dem Personen zu Schaden gekommen sind, von einer Seniorin oder einem Senior verursacht wurde. Doch die Formel, je älter, desto untauglicher für den Straßenverkehr, geht nicht auf“, sagte Speck. Die Tagung verfolge deshalb nicht das Ziel, Lösungen zu finden, die es im Zweifel gar nicht gibt, sondern werde das Thema aus verschiedenen Perspektiven betrachten. „Wir brauchen eine differenzierte Betrachtungsweise ohne Zorn und Eifer, um zur Versachlichung der Debatte beizutragen“, erklärte Speck.

Nach einem Grußwort des Zweiten dbb Vorsitzenden und Fachvorstand Tarifpolitik, Willi Russ, beleuchtete Prof. Dr. Dieter Müller, Institut für Verkehrsrecht und Verkehrs-verhalten Bautzen, die Teilnahme von Senioren am Straßenverkehr aus der Sicht der Polizei. 2008 seien 90 877, im Jahr 2014 bereits 188 689 PKW-Fahrer im zentralen Ver-kehrsregister gespeichert, die über 65 Jahre alt sind. Den Erkenntnissen der Polizei zufolge bieten für diese Altersgruppe Fahrten bei Dunkelheit oder Nebel sowie kom-plexen Verkehrssituationen (Baustellen oder erhöhter Innenstadtverkehr) das höchste Gefahrenpotential. Die riskanteste Zeit für Senioren, in Unfälle verwickelt zu werden, liege zwischen 10:00 und 12:00 Uhr. Das höchste Unfallrisiko für Senioren ergebe sich beim Radfahren.

„Es gibt die Per-Se-Gefahrengruppe Senioren im Straßenverkehr nicht.“

Viele Unfälle ließen sich vermeiden, wenn Senioren diese Fakten berücksichtigen und ihr Fahrverhalten entsprechend anpassen würden. Dazu müsse mehr Informations- und Aufklärungsarbeit geleistet werden, was seitens der Polizei allein nicht geleistet werden könne. „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, erklärte Müller, der zugleich betonte: „Es gibt die Per-Se-Gefahrengruppe Senioren im Straßenverkehr nicht.“ Nichts desto trotz sei allen Senioren – aber auch unsicheren jüngeren oder wenig fahrenden Straßenverkehrsteilnehmern ein Fahrsicherheitstraining zu empfehlen.

Prof. Dr. Georg Rudinger, Sprecher des Zentrums für Alterskulturen (ZAK) der Universität Bonn, bestätigte in seinem Vortrag über die Entwicklung der Mobilitätsbedürfnisse die Angaben Müllers hinsichtlich der wachsenden Zahl älterer Verkehrsteilnehmer: „Heute besitzen Dreiviertel der 65-jährigen einen Führerschein, 2030 werden es 95 Prozent sein.“ Auch die PKW-Verfügbarkeit und der PKW-Besitz würden in den kommenden 15 Jahren erheblich ansteigen und einhergehen mit dem Mobilitätsbedürfnis der Generation 65 plus.

„Generalpräventive Untersuchungen haben keinen Nutzen. Sie sind (alters-) diskriminierend.“

Der Trend zeige, dass alle Älteren häufigere und weitere Fahrten unternähmen. Dabei stehe die PKW-Nutzung an erster Stelle, gefolgt von ÖPNV, Fahrrad und Wegen zu Fuß. Rudinger zeigte sich überzeugt, dass der motorisierte Individualverkehr unerlässlich bleibe und weiter zunehmen werde. Um die wachsende Zahl älterer Verkehrsteilnehmer zu integrieren, empfahl er insbesondere die Nutzung der Technikentwicklung (zum Beispiel Bremsassistenzsysteme), alternative Verkehrsmittel (zum Beispiel E-Bikes) sowie die realistische Einschätzung der eigenen Fahrtüchtigkeit. Eine klare Absage erteilte Rudinger in diesem Zusammenhang einer Zwangsüberprüfung der Fahrtüchtigkeit, die sich statistisch nicht begründen lasse: „Generalpräventive Untersuchungen haben keinen Nutzen. Sie sind (alters-) diskriminierend.“ Notwendig sei vielmehr ein kultureller Wandel in der Verkehrs- und Mobilitätsplanung, in dem verstärkt „Konzepte von unten“ einbezogen würden. Betroffene müssten beteiligt werden, wie es bereits im 6. Altenbericht der Bundesregierung von 2010 gefordert werde.

Im dritten Fachvortrag beschäftigte sich Prof. Dr. Klaus O. Rompe, Vorsitzender des Technischen Beirats der Fahrzeugsystemdaten GmbH Dresden, mit der Frage, wie Fahrassistenzsysteme für Senioren dazu beitragen können, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Da Senioren überwiegend innerorts mobil seien, müssten die genutzten Systeme dort besonders Effektiv wirken. Rompe, erläuterte, dass vor allem Abstands-, Querführungs-, Spurwechsel-, Spurhalte und Kreuzungsassistenten ebenso wie Notbremssysteme ein hohes Unfallvermeidungspotential aufweisen würden. Alle Neufahrzeuge sollten mit solchen lebensrettenden Systemen ausgerüstet werden, doch die Etablierung einer Neuerung in den serienmäßigen Fahrzeugbau dauere etwa 15 Jahre. Politisch müsse darauf hingearbeitet werden, diesen Zeitraum zu verkürzen. Auch tue Aufklärung not, da viele Senioren gar nicht wüssten, welche technischen Hilfsmittel in welchen Fahrzeugen bereits vorhanden sind.

In der abschließenden Podiumsdiskussion, an der neben den drei Referenten auch Endro Schuster, Referent für Verkehrsangelegenheiten im Brandenburger Innenminis-terium, teilnahm, herrschte Einigkeit unter den Experten, dass Senioren im Straßenverkehr nicht besonders auffällig seien. Die Fakten seien völlig anders als das öffentli-che Bild. „Jede Verallgemeinerung ist unangebracht“, bekräftigte Rudinger. Die Medien würden über Unfälle, an denen Senioren beteiligt waren, häufig tendenziös und verzerrt berichten. Es werde eine öffentliche Meinung „gemacht“, die sich an den Polizeiberichten in keiner Weise festmachen lasse.

„Zwangsweise vorgeschriebene Untersuchungen bringen nichts.“

Senioren müssten nicht ausgesondert, sondern befähigt werden, die modernen technischen Möglichkeiten ebenso zu nutzen wie Beratungs-, Weiterbildungs- und Untersuchungsangebote für Gesundheit und Fahrtüchtigkeit. Allerdings, so Schuster, auf freiwilliger Basis, denn „zwangsweise vorgeschriebene Untersuchungen bringen nichts.“

Von Moderatorin Petra Schwarz nach den Erfordernissen der Zukunft befragt, forderten die Experten mehr Investitionen in die Verkehrssicherheit und mehr Planstellen für die Polizei (Schuster), objektivere Berichterstattung in den Medien (Rudinger), mehr Informationsmöglichkeiten (Müller) und die Weckung des Problembewusstseins beim Einzelnen (Rompe).

dbb Seniorenchef Wolfgang Speck hatte eingangs eine ‚Kleine Anfrage‘ der Grünen zitiert, die Auskunft darüber haben wollten, ob vorgesehen sei, Gesundheitsprüfungen für ältere Autofahrer einzuführen, und ob wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vorlägen, dass Senioren besonders häufig Unfallverursacher seien. Beide Fragen beantwortete die Bundesregierung mit einem klaren Nein!

Eine Auskunft, die der Forderung des dbb Seniorenvorsitzenden Wolfgang Speck an die Versicherungsunternehmen zusätzliches Gewicht verleiht, von Aufschlägen auf die Kfz-Versicherung allein auf Grund des Alters der Versicherungsnehmer Abstand zu nehmen. „Wer 50 Jahre und länger unfallfrei im Straßenverkehr unterwegs gewesen ist, kann nicht nur deshalb als potentieller Unfallverursacher mit höheren Prämien bestraft werden, weil er zu den Seniorinnen oder Senioren in unserer Gesellschaft zählt“, hatte Speck kritisiert. Die Ergebnisse der ersten seniorenpolitischen Fachtagung haben zusätzlich deutlich gemacht, dass (auch) in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht.

 

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