Interview mit Almut Möller

"Für ein Europa arbeiten, das zusammenhält"

Die Bevollmächtigte für Auswärtige Angelegenheiten Hamburgs beim Bund und der EU im Gespräch mit den dbb europathemen über die Bedeutung des Hamburger Hafens für Deutschland und Europa, über den Brexit und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft.

dbb europathemen:Sie sind als politische Analystin in die Politik gewechselt, seit Oktober 2019 politische Beamtin. Wie sind Ihre ersten Eindrücke im Amt als Bevollmächtigte beim Bund und der Europäischen Union?

Almut Möller: Ich bin ungefähr 20 Jahre in der Analyse von politischen Entwicklungen und auch in der Beratung zu europäischen und internationalen Fragen unterwegs gewesen. Der Wechsel hat mich sehr gereizt, und das Portfolio als Bevollmächtigte ist sehr vielseitig. Es umfasst alles, was die Außenbeziehungen der Freien und Hansestadt Hamburg ausmacht. Auf der einen Seite ist das die Arbeit beim Bund, also all das, was im Bundesrat und auch im Bundestag passiert. Auf der anderen Seite sind das die internationalen und europäischen Themen. Die sind in Hamburg sehr ausgeprägt, weil wir ein Stadtstaat mit langer Geschichte sind. Hamburg hat immer nach außen geschaut, in der Hanse eine wichtige Rolle gespielt. Wir haben heute in Hamburg ungefähr 100 Konsulate, ganz vielseitige internationale Beziehungen. Ja, die neue Aufgabe macht mir sehr viel Freude.

Welchen Anteil hat die europäische Aufgabe im Verhältnis zur nationalen?

Wieviel Zeit ich mit Europa verbringe, ist eine gute Frage. Das kann man gar nicht mehr so abgrenzen. Die Europäisierung unserer Politik ist so weit vorangeschritten, dass uns das Thema Europa überall ständig begegnet. Das Interessante in einem Stadtstaat ist, dass die Ebenen sehr dicht beieinander sind und eng miteinander verwoben. Europapolitik ist auch integraler Bestandteil unserer Aufgabe im Bundesrat. Zudem haben wir in Hamburg spezifische Interessen, für die eine funktionierende Europäische Union unverzichtbar ist. Unsere Wirtschaftsstruktur ist ganz klar auf Integration, offene Märkte und internationalen Handel ausgerichtet. Auf dieser Basis konnte Hamburg über viele Jahrzehnte ein Erfolgsmodell sein.

Hamburg ist im Vergleich zu Baden-Württemberg, Bayern oder Nordrhein-Westfalen von relativer Größe. Wie wirkt sich das bei der Mitwirkung an europäischen Fragen aus? Welches Gewicht hat Hamburg dabei?

Es gibt wie bei den Mitgliedstaaten in der Europäischen Union ja eine Stimmengewichtung im Bundesrat, und da gehören wir natürlich im Vergleich zu bevölkerungsreicheren Bundesländern nicht zu denjenigen, die an vorderster Front sind. Aber ich glaube, dass sich die Fähigkeit mitzugestalten auch anders bemessen lässt, nämlich hinsichtlich der eigenen Fähigkeit, Interessen strategisch zu formulieren, Akteure zu mobilisieren, Präsenz bei all den Themen zu zeigen, die im Bund und in Europa wichtig sind.

Was uns von anderen Bundesländern unterscheidet, ist unser Hafen. Er ist sehr wichtig für die Stadt und Deutschland, denn er verbindet uns aufs Engste mit Europa und der Welt. Dieser Faktor bestimmt unsere Sicht auf viele Themen der europäischen und der internationalen Politik. Das gilt etwa für unsere Beziehung zu China, aber auch für alle Fragen, die sich um die Ostsee abspielen, also unsere regionale Kooperation. Die Zusammenarbeit mit unseren Nachbar-Bundesländern mit einer nordischen Perspektive, mit Schleswig-Holstein, mit Niedersachsen, mit Mecklenburg-Vorpommern ist eng. Wir nehmen im Bund eine Perspektive ein, die oft auch im Kontext unserer europäischen Geographie im Norden zu sehen ist. Ich glaube, dass Regionen wie die Ostsee in der Europäischen Union an Bedeutung gewinnen werden, und ich glaube, dass wir da gut aufgestellt sind.

Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit europäischen Partnern, speziell auch mit den Ostseeanrainern? Helfen Ihnen europäische Allianzen auch in der Durchsetzung Hamburger Interessen im Bund?

Es gibt eine ganze Reihe von Netzwerken, in denen wir aktiv sind, beispielsweise das STRING-Netzwerk mit Dänemark, Schweden und Norwegen, an dem auch Schleswig-Holstein beteiligt ist. Das ist ein Verbund von Städten und Metropolregionen im Umfeld der Ostsee, die gemeinsam versuchen, politische Akzente zu setzen und gemeinsame Interessen durchzusetzen. Hamburg ist außerdem Teil von Eurocities, einem Netzwerk von wichtigen europäischen Städten. Kürzlich habe ich an der Eurocities-Jahreskonferenz in unserer Partnerstadt Prag teilgenommen. Über die Eurocities ist Hamburg mit anderen europäischen Städten vernetzt, die ähnliche Fragen beschäftigen, etwa in der Bewältigung ihrer Probleme bei Themen wie Mobilität, Digitalisierung oder Nachhaltigkeit. Unser Anliegen ist, im Verbund mit anderen eine stärkere Stimme zu haben, vor allem auch gegenüber den Europäischen Institutionen in Brüssel.

Wie viele Mitarbeiter des Stadtstaats sind mit europäischer Politik befasst?

Das lässt sich schwer beantworten. Die europäische Politik ist ja eine Querschnittsaufgabe und betrifft praktisch alle Behörden der Stadt. In der Abteilung „Angelegenheiten der Europäischen Union“, deren politische Leitung ich innehabe, befassen sich insgesamt 13 feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit europäischer Politik - acht davon arbeiten in Hamburg im Referat Europapolitik, fünf sind im Hanse-Office tätig, der gemeinsamen Vertretung der Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein in Brüssel.

Der Brexit hat uns allen deutlich gemacht, wie stark die Verwaltungen in den Mitgliedstaaten mit der EU verflochten sind. Um dieser Verflechtung gerecht zu werden, müssen wir die Europafähigkeit der Verwaltung beständig stärken. Deshalb legen wir großen Wert darauf, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechende Fortbildungsangebote wahrnehmen können und ihnen einen Einsatz in den Europäischen Institutionen – etwa im Rahmen des Programms „Nationale Sachverständige in der beruflichen Weiterbildung“ - ermöglicht wird.

Welche Folgen hat der nun erfolgte Brexit für Hamburg?

Das ist ein sehr wichtiges Thema, das uns seit dem Referendum vor bald vier Jahren intensiv beschäftigt hat. Seit dem Austritt am 31. Januar 2020 haben wir eine etwas klarere Perspektive, allerdings noch alles andere als Gewissheit über die künftigen Beziehungen. Es gibt ganz vielfältige Beziehungen, nicht nur Wirtschaftsbeziehungen, auch Kulturbeziehungen zwischen Hamburg und dem Vereinigten Königreich. Hamburg gehört sicher zu den Bundesländern, die den Austritt Großbritanniens aus der EU besonders bedauern.

Großbritannien gehört zu Hamburgs wichtigsten Handelspartnern in der EU. Das heißt, dass unsere Wirtschaft vom Brexit betroffen sein wird. Allerdings haben wir die Zeit auch genutzt und sind gut vorbereitet. Das gilt für unsere Behörden ebenso wie für unsere Unternehmen. Ich glaube, dass sich daher einiges abfedern lässt. Es gibt eine fortlaufende Bewertung der Lage, so dass wir erforderlichenfalls schnell reagieren können. Ich gehe davon aus, dass die wirtschaftlichen Folgen des Brexits für Großbritannien größer sein werden als für uns in Deutschland und Hamburg. Es gibt im Übrigen bereits Neuansiedlungen aus Großbritannien in Hamburg.

Besonders wichtig war uns auch die Frage, was eigentlich mit den Britinnen und Briten in Hamburg passiert. Wir haben ihnen viel Unterstützung gegeben. Es gab eine sehr intensive Informationspolitik, und wir werden ihnen bei der Erlangung von jetzt nötigen Aufenthaltstiteln sehr unbürokratisch helfen.

Und wir haben auch geschaut, wo wir in der Verwaltung personell aufstocken müssen. Es gibt eine Arbeitsgruppe aller Behörden, die sich mit der Bewältigung des Brexits beschäftigt und die Lage laufend neu bewertet. Das unterscheidet uns nicht von anderen Bundesländern, die gleichermaßen betroffen sind.

Wie zufrieden sind Sie mit der europäischen Kompetenzordnung, der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten? Wie findet sich eine Region wie das Bundesland, der Stadtstaat Hamburg darin wieder?

Den Mix aus alleinigen und geteilten Zuständigkeiten kennen wir als föderaler Bundesstaat natürlich gut. Für uns ist es daher selbstverständlich, dass es bestimmte Regelungsbereiche gibt, die besser auf größerer Ebene geklärt werden. So profitieren wir zum Beispiel beim Thema Binnenmarkt stark von einer Harmonisierung. Gleichzeitig garantiert das Subsidiaritätsprinzip den Regionen einen gewissen Schutz ihrer regionalen Kompetenzen und Besonderheiten. Es gehört aber zu einem Integrationsprozess dazu, immer wieder gemeinsame Schnittstellen zu suchen und Kompromisse zu finden.

Verfassungsrechtlich wirken die Länder gemäß Artikel 23 Absatz 2 Grundgesetz in Angelegenheiten der Europäischen Union durch den Bundesrat. In meiner Funktion als Bevollmächtigte beim Bund stimme ich auch über Stellungnahmen des Bundesrates zu europäischen Vorhaben ab. Und das sind nicht wenige! Insoweit hat Hamburg natürlich einen großen Vorteil gegenüber vielen anderen Regionen in Europa. So können wir als Teil eines Bundesorgans unsere Belange viel direkter in europäische Vorhaben einbringen. In diesem Zusammenhang erkennen wir aber auch deutlich, wenn EU-Recht bei der Umsetzung auf regionaler Ebene im Widerspruch zu seinen eigentlich sinnvollen Inhalten steht. Denn viel von dem, was in Brüssel beschlossen wird, muss in den Regionen umgesetzt werden.

Was würden Sie in einem neuen EU-Vertrag an der Kompetenzordnung, die Verteilung der Zuständigkeiten ändern?

Ich halte das ehrlich gesagt derzeit nicht für die entscheidende Frage. Entscheidend ist vielmehr, wie wir die bestehenden Möglichkeiten nutzen. Nach all den großen Vertragsreformen seit den 80er Jahren ist die EU als politisches System im letzten Jahrzehnt gereift. Das ist die positive Seite der Krisenjahre. Und die EU nun wirklich politisch zu gestalten, mit all den Arenen und Instrumenten, die uns zur Verfügung stehen, das ist für mich die eigentliche Aufgabe.

Was sind die für Hamburg aktuell wichtigsten europapolitischen Fragen?

Wir begleiten momentan intensiv die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), dem siebenjährigen Haushaltsbudget der EU. Hamburg erhält nur einen vergleichsweise geringen Anteil an Kohäsionsmitteln, also Strukturförderung. Deshalb liegt unser Interessenschwerpunkt vor allem in den Bereichen Forschung und Innovation. Wir setzen uns für eine verstärkte Förderung dieser Bereiche durch das entsprechende EU-Rahmenprogramm, das Nachfolgeprogramm von „Horizont 2020“, ein. Gleichzeitig zeigen wir uns auch solidarisch mit anderen Ländern und Regionen, die mehr auf die Mittel aus der Strukturförderung setzen müssen.

Wir müssen für ein Europa arbeiten, das zusammenhält. Wie stark dieser Zusammenhalt bedroht ist, hat uns das vergangene Jahrzehnt doch gezeigt. Wenn es der EU und ihren Mitgliedern insgesamt nicht gut geht, dann ist das auch nicht gut für uns in Hamburg. Deshalb müssen wir immer auch das „große Ganze“ im Blick haben.

Natürlich beschäftigt uns weiterhin der Brexit als Stadt, die mit Großbritannien wirtschaftlich, aber auch im Bildungs-, Forschungs- und Kulturbereich eng verbunden ist. Wichtig ist es deshalb, dass wir jetzt daran arbeiten, für die Zukunft Brücken zu schlagen.

Wie will Hamburg sich in die von Ursula von der Leyen ausgerufene Konferenz zur Zukunft Europas einbringen?

Für uns ist es wichtig, zusammen mit den anderen deutschen Ländern dafür zu werben, dass die Regionen innerhalb der EU in angemessener Weise beteiligt werden. Für mich sind dabei vor allem auch die Parlamente entscheidend. Aber wir werden uns auch für eine direkte Beteiligung der Hamburgerinnen und Hamburger einsetzen. Dazu braucht es klug ausgetüftelte Formate, sonst ist Beteiligung wenig wert.

Wie bereiten Sie und die Landesvertretung Hamburgs in Brüssel sich auf die deutsche Ratspräsidentschaft vor?

Bund und Länder haben hierfür eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet, und auch in Brüssel stimmen sich die Länderbüros bereits jetzt eng mit der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland ab. Natürlich gibt es auch viele persönliche Kontakte. Die Vorbereitungen erstrecken sich auf organisatorische Fragen, wie die Unterstützung des Bundes durch die Abordnung von Personal, die gemeinsame Ausrichtung von informellen Ratssitzungen und weiteren Veranstaltungen in den Ländern. Darüber hinaus wollen wir die Ratspräsidentschaft natürlich auch für europapolitische Öffentlichkeitsarbeit in Hamburg nutzen.

Die Länder beteiligen sich aber auch an den inhaltlichen Vorbereitungen: So hat Hamburg im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz die Themen mit herausgearbeitet, die aus Sicht der Länder während der Ratspräsidentschaft mit Priorität behandelt werden sollen. Dies sind zum Beispiel Europa der Regionen, klimaneutrale EU, Stärkung der städtischen Dimension in der EU sowie Wissenschaft, Forschung und Innovation.

Deutschland wird international und in Europa für seine Fiskalpolitik, die schwarze Null kritisiert; es fehle an öffentlichen Investitionen. Was ist Ihre Haltung zu dieser Kritik?

Wir brauchen beides: umsichtiges Haushalten und Investitionen. Und der Bund fährt ja im vor kurzem beschlossenen Haushalt 2020 die Investitionen deutlich nach oben. Wir dürfen uns aber nicht von vorneherein der Kritik von Partnern verschließen. So viel Vertrauen, so etwas auch mal auszudiskutieren, muss sein in Europa.

Was erwarten Sie von der künftigen deutschen Europapolitik?

Gute Europapolitik macht für mich aus, für mehr Zusammenhalt in Europa zu arbeiten, mit Mut auf die Veränderungen in Europa und der Welt zuzugehen, anstatt zu verzagen, und Gestaltungschancen auch wirklich zu ergreifen. Dabei gehören für mich alle politischen Arenen zusammen: EU, Bund, Länder, Gemeinden. Und wir in Hamburg als Stadtstaat! Diese Arenen müssen wir noch besser verzahnen. Alles andere ist eine künstliche Abgrenzung, die uns nicht weiterhilft.

 

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