dbb magazin 3/2024

ONLINE Künstliche Intelligenz in der Verwaltung Die Amtssprachenentwirrungsmaschine Bis zu 20 Millionen Menschen in Deutschland können komplexe Texte nicht verstehen. Gründe können Lernschwächen oder kognitive Behinderungen sein. Ein Münchener Start-up setzt erfolgreich auf künstliche Intelligenz. In der Tech-Branche ist die Garage ein Mythos. Sie ist der Ort, an dem neue Ideen geboren werden, wo die Geschichten von Microsoft, Apple und Google beginnen. Diese SiliconValley-Folklore ist wohl der Grund, warum Flora Geske oft nach dem Gründungsort von SUMM AI gefragt wird. „Wir hatten keine Garage, sondern ein Büro“, antwortet sie. Dieses Büro befindet sich in der Technischen Universität München. Dort hat Geske Wirtschaftsinformatik studiert, gemeinsam mit Vanessa Theel und Nicholas Wolf. Im April 2022 gründete das Trio das Start-up „SUMM AI“; Flora Geske ist Geschäftsführerin. Das Produkt: Eine künstliche Intelligenz, die Texte in leicht verständliche Sprache übersetzt und bereits in der öffentlichen Verwaltung zum Einsatz kommt. Unter den mehr als 70 Lizenzkunden sind Städte und Kommunen in ganz Deutschland, darunter Hamburg, Aachen und Aschaffenburg. Inzwischen hat das Start-up eigene Büros im Münchener Stadtteil Sendling bezogen. 15 Mitarbeitende setzen sich mit Sprache auseinander, treiben die technische Entwicklung des Tools voran und kümmern sich um den Vertrieb. Dass es einen Bedarf an leichter Sprache gibt, hat Geske bereits früh im eigenen Familienkreis erfahren. Grundproblem mangelnde Teilhabe Ummelden, heiraten, einen Personalausweis beantragen. Informationen zu Schulen, Kindertagesstätten, Sport- und Kultureinrichtungen, Schreiben vom Finanzamt, Wahlbenachrichtigungen, im Extremfall auch überlebenswichtige Mitteilungen, etwa zu Hochwasserlagen oder Infektionsschutz – es gibt unzählige Anlässe, weshalb Behörden mit der Bevölkerung in Kontakt treten. Und das über ganz unterschiedliche Kanäle: Briefe, E-Mails, Flyer, Videos, Websites. „Es ist ein großes Problem, dass die Kommunikation nicht immer für alle verständlich ist“, betont Geske. Menschen mit Behinderungen oder Lernschwächen seien in der Praxis oft ausgeschlossen. Dabei schreibt die UN-Behindertenrechtskonvention, die bereits seit 2008 gilt, einen gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Informationen vor. Wie wichtig das für Betroffene ist, hat die gebürtige Berlinerin schon in der Kindheit erfahren: Ihre Tante ist wegen einer Behinderung auf leichte Sprache angewiesen. „Sie interessiert sich wahnsinnig für Politik, das ist ihr Steckenpferd“, erzählt Geske. „Aber ohne fremde Unterstützung kann sie sich nicht informieren.“ Doch auch diejenigen, die nur wenig Deutsch verstehen, stehen im Alltag vor sprachlichen Hürden – zum Beispiel eingewanderte Fachkräfte, Geflüchtete, Studierende aus dem Ausland. Auch in diesen Fällen kommt Texten in leichter und einfacher Sprache eine große Bedeutung zu, berichtet die 30-jährige Geschäftsführerin. Ein weiteres Szenario: „Selbst wer einen hohen Bildungsgrad hat, muss sich bisweilen durch Behördeninformationen wühlen, um alles zu verstehen. Vor allem juristische Sprache ist sehr komplex.“ Von der Uni zur Unternehmensgründung Vanessa Theel ist Mathematikerin, Nicholas Wolf Informatiker und Flora Geske Wirtschaftsinformatikerin – sie haben sich im Masterstudiengang „Finanz- und Informationsmanagement“ an der Technischen Universität München kennengelernt, der alle drei Disziplinen vereint. „Das Studium bietet viel Raum, um sich zu vernetzen und voneinander zu lernen“, berichtet Geske. Ihre © Neeqolah Creative Works/Unsplash.com 22 FOKUS dbb magazin | März 2024

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