dbb magazin 4/2023

versorgungsmedizinischen Grundsätze finden, dies aber nicht dazu führt, dass aus dem Vollzug des Schwerbehindertenrechts eine Wissenschaft wird.“ Es müsse weiterhin der Grundsatz „So viel Pauschalierung wie möglich, so wenig Einzelfallregelung wie nötig“ gelten. Darüber hinaus kritisiert die GdV einige mit dem Gesetzentwurf einhergehende Änderungen im Sozialgesetzbuch (SGB) XIV sowie bisher ungeregelte Einzelheiten des Vollzugs. Dusel: Weitere Regelungen müssen folgen Auch der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, begrüßt den Gesetzentwurf, insbesondere die Einführung der vierten Stufe der Ausgleichsabgabe. „Dieser Schritt ist lange überfällig. Es ist schlichtweg nicht akzeptabel, dass ein Viertel aller beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber keinen einzigen Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigt. Und das, obwohl Menschen mit schweren Behinderungen durchaus gut qualifiziert sind. Deswegen bin ich froh, dass es Hubertus Heil nun gelungen ist, diese Forderung innerhalb der Ampelkoalition durchzusetzen. Das Motto muss sein: null Verständnis für Null-Beschäftiger“, sagte Dusel am 21. Dezember 2022 in Berlin. Allerdings habe der Gesetzentwurf noch deutlich Luft nach oben. So sei es ein verfehltes Signal, die Bußgeldvorschrift in § 238 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX aufzuheben, nach der bislang ein Bußgeld verhängt werden konnte, wenn Arbeitgeber ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen. Außerdem enthalte der Entwurf keine nennenswerten Verbesserungen in Bezug auf die Zugänge in und die Übergänge aus den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. „Ein richtiger Schritt ist zwar die Aufhebung der Deckelung beim Lohnkostenzuschuss für das Budget für Arbeit. Aber eine Stärkung des Budgets für Ausbildung fehlt noch. Das Thema müssen wir jedoch auch dringend angehen. Wir müssen denjenigen, die außerhalb der Werkstatt arbeiten wollen, alle Wege ebnen, dies auch tun zu können – so, wie es auch im Koalitionsvertrag vereinbart ist.“ Bentele: Bußgeld darf nicht entfallen Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, bemängelte vor der Beratung des Gesetzes im Bundestag am 1. März 2023 den „Skandal, dass sich mehr als 45000 Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber seit vielen Jahren weigern, auch nur einen einzigen schwerbehinderten Menschen einzustellen. Deshalb ist es richtig, endlich eine höhere Ausgleichsabgabe für Unternehmen einzuführen, die gegen die Beschäftigungspflicht verstoßen. Die Botschaft muss ganz klar sein: Wer sich ans Gesetz hält, spart künftig höhere Ausgleichsabgaben. Das ist auch ein Gebot der Solidarität mit den Arbeitgebern, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen oder zum Teil sogar die Pflichtquote übererfüllen.“ Grundsätzlich sei der Entwurf aber ein „deutliches Zeichen der Bundesregierung, den Arbeitsmarkt in Deutschland inklusiver zu gestalten. Das ist dringend notwendig. Denn die Langzeitarbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung verschärft sich.“ Auch Bentele kritisierte den geplanten Wegfall des Bußgeldes und appellierte an den Bundestag, sich für dessen Beibehaltung starkzumachen: „Würden solche Ordnungswidrigkeiten wirksam verfolgt, gäbe es auch nicht so viele Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht“, so Bentele. Darüber hinaus hätte sich der VdK Regelungen zum sogenannten Betrieblichen Eingliederungsmanagement gewünscht, wie es im Koalitionsvertrag angekündigt worden sei. „Zumindest sollten alle Beschäftigten einen Rechtsanspruch auf die sogenannte stufenweise Wiedereingliederung bekommen. Durch eine frühzeitige Intervention könnte der weit überwiegende Teil chronisch kranker oder behinderter länger erkrankter Beschäftigter wieder eingegliedert werden. Arbeitslosigkeit und vorzeitiger Rentenbezug kosten ein Vielfaches mehr als eine sinnvolle Prävention und Rehabilitation.“ Silberbach: BEMmuss verbessert werden Der dbb teilt diese Kritik. „Einerseits haben wir schon länger eine vierte Staffel in der Ausgleichsabgabe für Arbeitgebende gefordert und begrüßen deren Einführung ebenso wie die Erhöhung der weiteren Ausgleichsabgaben. Andererseits ist es nicht zielführend, Sanktionsmöglichkeiten aufzugeben“, sagte dbb Chef Ulrich Silberbach am 2. März 2023, nachdem der Gesetzentwurf in erster Lesung im Bundestag beraten worden war. Wenn die Nichterfüllung nicht mehr als Ordnungswidrigkeit geahndet werde, könnten sich Betriebe nach wie vor von der Beschäftigungspflicht freikaufen. „Hier muss der Gesetzgeber dringend nachbessern, gerade auch vor dem Hintergrund, dass rund 173000 Unternehmen in Deutschland gesetzlich verpflichtet sind, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung zu vergeben. Nur 40 Prozent kommen dieser Verpflichtung nach.“ Darüber hinaus sei das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) qualitativ und quantitativ zu stärken, nicht in den Gesetzentwurf aufgenom- © Aktion Mensch FOKUS 15 dbb magazin | April 2023

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