dbb magazin 7-8/2022

tung: „Da bei Angriffen gegen Rettungskräfte fast nie ein öffentliches Interesse festgestellt und die Ermittlungen eingestellt werden, sinkt die Motivation der Mitarbeiter, solche Fälle zur Anzeige zu bringen.“ Und die Dortmunder Ordnungsamtsmitarbeiterin Maria Frenking hält „mehr Unterstützung“ seitens der Justiz für „wünschenswert“. „Wir reden hier über Delikte wie Beleidigung, Körperverletzung, Angriff auf Vollstreckungsbeamte.“ Wegen Geringfügigkeit würden solche Fälle schnell eingestellt, weil Betroffene wegen schwererer Straftaten beschuldigt seien. „Die Aufmerksamkeit gegenüber Angiffen auf Mitarbeiter im öffentlichen Dienst geht damit verloren. Das darf nicht passieren.“ Nordrhein-Westfalen hat hier inzwischen eine rechtliche Kurskorrektur eingeleitet, wie Kölns Polizeipräsident im Interview des dbb magazins sagt. Und Politik, Behörden, aber auch die Betroffenen selbst denken inzwischen intensiv über zusätzliche Schutzmaßnahmen nach. Deeskalationskurse werden vielfach zur Selbstverständlichkeit. Der Münsteraner Feuerwehrmann Tobias Kleinod, seine Dortmunder Kolleginnen Kanis und Frenking und auch der Stuttgarter Polizeizugführer Jan Quente beklagen sich im Prinzip auch nicht mehr über eine mangelnde Ausstattung. Es gibt Mehrzweckstöcke, Schutzwesten, Reizstoffsprühgeräte – je nach Einsatzart und Bundesland. Der Polizist ist überdies Träger einer Dienstwaffe. Doch Frenking und Kanis fänden es schon vernünftig, wenn sie Bodycams dabeihätten. „Eine Bodycam wäre gut. Menschen verhalten sich anders, wenn sie gefilmt werden.“ Quente weist auf die dabei bestehenden rechtlichen Einschränkungen hin. Bodycam bei Großeinsätzen? Geht – noch? – nicht. Seit Januar digitalisiert Düsseldorfs Innenministerium die Prävention. Es hat, auch in Zusammenarbeit mit dem Beamtenbund, die Website www.sicherimdienst.de ins Netz gestellt und das Präventionsnetzwerk IMEG geschaffen. IMEG vereinfacht den Online-Meldeweg im Fall eines Angriffs. Und die Website gibt Behördenchefs eingängige Tipps, wie sie die Arbeitsstätten und ihr Personal draußen schützen können. Eckige Tische statt runde sorgen in Räumen für Abstand, Türen hinter den Schreibtischen für Fluchtmöglichkeiten im Ernstfall. Eine Palette von Impfstoffen sollte immer zur Verfügung stehen. Denn Spuckattacken Infizierter können für Opfer schwere Gesundheitsfolgen haben. Vor allem fehlt es noch am gesellschaftlichen Umdenken, zeigt ein Berliner Beispiel. Neuköllner Polizisten haben in der Gropiusstadt das Verhalten von Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit, aber auch gegenüber Lehrern untersucht. Sie stellten zwischen Herbst 2021 und Frühjahr 2022 16 Vorfälle an Schulen fest. Als einer Lehrerin, mit dem Rücken zum Klassenraum, ein vereister Schneeball an den Kopf knallte und sie dabei eine Gehirnerschütterung erlitt, war der Täter nicht zu ermitteln. Die Klasse schwieg. Ausnahmslos. Auch eine Art „Solidarität“? Dietmar Seher © Uta Wagner (3) „Der Mensch dahinter“ Inzwischen zeigen immer mehr Bürger Flagge. „Der Mensch dahinter“ heißt eine Ausstellung, die gerade durch Nordrhein-Westfalen tourt. Standorte in Stuttgart und Berlin sind in der Planung. 39 Beschäftigte aus sechs Berufsgruppenmachenmit ihren Porträts und durch ihre Meinungsäußerungen auf großen Schautafeln deutlich, wie sie sich derzeit fühlen. Vier gesellschaftspolitisch engagierte Bürger, wie sich Andrea Wommelsdorf, Burkhard Knöpker, Charlotte Beck und Dirk Reinhardt selbst bezeichnen, haben diese „Initiative für Respekt und Toleranz“ gegründet und es satt, „dass Polizistinnen und Feuerwehrleute, Notärzte und Sanitäterinnen, Busfahrer und Zugbegleiterinnen in aller Öffentlichkeit beleidigt und attackiert werden, obwohl sie nichts weiter tun, als ihrer Arbeit nachzugehen“. Die vier aus dem RaumMünster, alle in der Privatwirtschaft tätig, wollen demonstrieren: „Es sind Menschen, die hinter den Uniformen stecken.“ Weitere Informationen: www.der-mensch-dahinter.de Ausstellung „Wer beim Staat arbeitet, muss sich heute klar sein: Jeden Tag kann sie oder er Opfer verletzender, gelegentlich tödlicher Gewalt werden.“ Dietmar Seher, Reporter 22 FOKUS dbb magazin | Juli/August 2022

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