dbb magazin 5/2022

Was ist Ihre Arbeit und wie viele Mitarbeiter sind bei Ihnen beschäftigt? Sebastian Gouw: Wir begleiten Jugendliche und Heranwachsende von 14 bis 21 Jahren im Strafverfahren mit Beratungen der Klienten und Einschätzungen der Fälle gegenüber beteiligten Behörden. Pro Jahr sollen wir etwa 250 bis 270 solcher Fälle bearbeiten. Die Praxis sieht manchmal anders aus, dann werden es über 300. Durch eine neue Stelle in unserem Team im letzten Jahr wurde dies angepasst. Jetzt gibt es bei uns sechs Mitarbeiter neben der Teamleitung. Wir scheinen recht gut aufgestellt zu sein. Aber Luft nach oben gibt es immer. Für welche Arbeitsbereiche sind Sie selbst zuständig? Ich stehe Jugendlichen, die straffällig werden, während des kompletten Strafverfahrens zur Seite und auch vor Gericht. Ich informiere ihn oder sie über alles, was außerhalb der rein juristischen Beratung liegt, fertige pädagogische Stellungnahmen an, arbeite die sozialpsychologische Anamnese aus, schreibe die Berichte für Erzieher und Therapeuten und berichte dem Gericht. Das bedeutet, dass ich im Zweifel eine Einschätzung abgeben muss, ob erneut Straftaten zu erwarten sind. Das Hauptziel im Jugendstrafverfahren ist die Vermeidung neuer Straftaten. Welche Ausbildung haben Sie und wie sieht die Bezahlung aus? Grundsätzlich muss man Soziale Arbeit studiert haben mit dem Bachelorabschluss. Das setzt ein dreijähriges Studium an der Hochschule oder der Uni voraus. Dazu wird ein dreiteiliger Qualifizierungskurs des Dachverbandes DVJJ erwartet. Ich bin Angestellter im öffentlichen Dienst und habe ein duales Studium bei der Stadt Hamm gemacht. Schon im Studium habe ich ein Festgehalt von der Stadt bezogen. Das Einstiegsgehalt entspricht der Stufe S 12 im Tarifvertrag, das sind 3300 Euro brutto. Der Laie wird annehmen: Sie arbeiten in einem sozial schwierigen Bereich. Definitiv. Wir decken das komplette Stadtgebiet ab. Jugenddelinquenz ist entwicklungstypisch. Haben wir Sprachschwierigkeiten? Nur ein Bruchteil sind Ausländer, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Die meisten sind Deutsche, auch Deutsche mit Migrationshintergrund. Aber ein Mensch mit diesem Hintergrund wird nicht pauschal mehr straffällig als jemand ohne diesen Hintergrund. Was war Ihr bisher schwerster Fall? Ein versuchter Totschlag. Er wird aktuell noch verhandelt. Es gibt aber auch häufig Opfer, die selbst zu Tätern werden. Gerade im sexuellen Missbrauchsbereich. Viele haben im Leben wenig Stabilität, Zuspruch und Liebe erfahren. Wie oft gehen Sie abends ins Bett und denken dann über Ihren Fall nach? Den Arbeitsalltag kann man nicht an der Bürotür abgeben. Wir nehmen ihn mit nach Hause. In den Anklagen zum Beispiel wegen Totschlags stehen die Details drin. Im Kopf kann man nicht alles trennen. Was müsste in Ihrem Beruf anders werden? Die Eingruppierung sollte differenzierter ausgestaltet werden, wir müssen ja schließlich bei Gericht anwesend sein. Auch das Einstiegsgehalt müsste angehoben werden. Eine Jugendliche sagte mir kürzlich: „Ich möchte Geld verdienen, aber damit fällt die Soziale Arbeit für mich als Berufsziel aus.“ Die Bezahlung schreckt viele ab. Es studieren die, die darin einen ideellen Wert sehen. Aber es ist schon viel im Gang. Es gibt klare Zahlen, wie viele Stellen für wie viel Fälle nötig sind. Bei uns in Hamm läuft es gut, in anderen Kommunen nicht so. Das Gespräch führte Dietmar Seher. Sebastian Gouw © privat NACHGEFRAGT Model Foto: Colourbox.de Kaum bekannt: Stadtmitarbeiter Sebastian Gouw berät Jugendliche, die straffällig geworden sind Der Soziale Dienst vor Gericht Fünf Prozent der deutschen Jugendlichen werden polizeilich bekannt. Um sie müssen sich nicht nur Polizei und Justiz kümmern, sondern auch die Kommunen. Dort arbeitet die Jugendhilfe im Strafverfahren. Sebastian Gouw vom Allgemeinen Sozialen Dienst der Stadt Hamm gehört dazu. 20 FOKUS dbb magazin | Mai 2022

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