dbb magazin 1-2/2022

Mir ist es sehr wichtig, auf der politischen Ebene und vor allem auf EU-Ebene, diese unterschiedlichen Bewegungen zu verlin- ken und Synergien zu schaffen. Vor allem zwischen politischen Entscheidungsträger*innen und der Zivilgesellschaft findet zu wenig Austausch statt und zu wenig Verständigung über die eigentlichen Probleme, die solche Bevölkerungsgruppen betreffen. Mit dem Center for Intersectional Justice (CIJ) schließen wir diese Lücke. Ich bin davon überzeugt, dass Intersektionalität die Lösung ist, um Diskriminierung viel effektiver zu bekämpfen, und dennoch wird dieses Konzept oft missverstanden. Das zu vermitteln und das Konzept anderen verständlich zu machen, motiviert mich. Sie sprechen davon, dass Intersektionalität auch „missverstanden“ wird. Inwiefern? Skepsis kommt unter anderem aus dem antikapitalistischen Lager. Aber auch feministische Bewegungen hegen Vorurteile, aus Angst in der Debatte zu kurz zu kommen. Ich halte diese Art der Kritik für schädlich. Aus dem einfachen Grund: Diskriminierende Tendenzen aufzuzeigen und die partikulären Interessen in den Vordergrund zu rücken, wirkt sich für die gesamte Gleichstellungsbewegung positiv aus. Wie kann der intersektionale Blick dabei helfen, effektiv gegen Mehrfachdiskriminierung vorzugehen? Ich beobachte seit einigen Monaten die Tendenz, dass darüber diskutiert wird, ob Sexismus, ob Rassismus tatsächlich existieren, und nicht, wie wir effektiv dagegen vorgehen können. Es ist also wichtig, dass es einen gesellschaftlichen Konsens dafür gibt, dass Mehrfachdiskriminierungen ein Problem sind. Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, dass wir über die individuelle Dimension hinausgehen und Diskriminierung nicht nur als individuelle Tat, Handlung und Meinung sehen. Nur wenn wir Diskriminierung als systemisches Problem verstehen, können wir auch kollektive Verantwortung dafür übernehmen. Wenn zum Beispiel Diskriminierung innerhalb von einem Unternehmen beseitigt werden soll, müssen eventuell Regelungen, Einstellungskriterien und überhaupt Prozesse innerhalb dieses Unternehmens geändert werden. Das geht dann oft weit über die Kooperationsbereitschaft der Beteiligten hinaus und stellt häufig auch Gesetze, gesellschaftliche Narrative und so weiter infrage. Deswegen muss intersektionale Gerechtigkeit als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe angesehen werden und darf nicht Einzelnen aufgebürdet werden. Wir sollten uns also nicht nur darauf fokussieren, das Verhalten oder die Meinung Einzelner zu beeinflussen. Vielmehr sollten wir schauen, ob das Schulprogramm verändert, ob Migrations- und Asylgesetze oder auch das Arbeits- und Steuerrecht angepasst werden müssen. Sollte der öffentliche Dienst hier eine Vorbildrolle einnehmen und wenn ja, wie könnte diese aussehen? Der Staat an sich ist nicht frei von Diskriminierung. Sein Handeln basiert auf der Wiederholung von Prozessen, ohne dass deren benachteiligende Wirkung jemals hinterfragt wurde. Menschen, die in öffentlichen Institutionen arbeiten, wie etwa bei der Polizei oder an Schulen, können viel dazu beitragen, indem sie darauf aufmerksammachen, welche Verwaltungshandlungen zu struktureller Diskriminierung führen. Wie verbreitet ist intersektionale Diskriminierung in Deutschland und gibt es Gruppen, die davon besonders betroffen sind? Auch in Deutschland gibt es intersektionale Diskriminierung. Frauen mit Migrationshintergrund sind beispielsweise in Arbeitsmarktsegmenten mit der niedrigsten Bezahlung und den prekärsten Arbeitsbedingungen überrepräsentiert. Ein großes Problem ist aber das Fehlen von statistischen Daten, die uns aufzeigen können, inwiefern es zum Beispiel in der Kategorie der Frauen Diskriminierungen von schwarzen Frauen, von muslimischen Frauen, von jüdischen Frauen et cetera gibt. Die Kategorie „mit Migrationshintergrund“ ist ein Anhaltspunkt, sagt aber nichts über Rassismuserfahrungen aus. Sagen wir mal, eine weiße belgische Person, die jetzt in Deutschland lebt, wäre eine Person mit Migrationshintergrund. Eine schwarze Person, die schon seit drei Generationen hier lebt, wird in Deutschland trotzdem von Rassismus betroffen sein und nicht in dieser Statistik vorkommen. Deswegen ist es wichtig, Gleichstellungsdaten differenzierter erheben zu können, um die Tiefe des Problems sichtbar zu machen. Wie lassen sich Mehrfachdiskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt verhindern? Helfen hier anonyme Bewerbungsverfahren? Anonyme Bewerbungsverfahren sind ein erster Schritt. Aber spätestens im Bewerbungsgespräch verpufft der anfängliche Effekt. Besser wäre ein ganzheitlicher Ansatz mit Schulungen und positiven Maßnahmen für die Personalverantwortlichen. Diese müssen mit einer Antidiskriminierungspolitik Hand in Hand gehen, die dafür sorgt, dass faire Einstellungskriterien genutzt werden. Aber auch im Bildungssystemmüssen wir ansetzen, damit sich Menschen überhaupt für bestimmte Jobs bewerben. Zudem sollte die rechtliche Lage für Betroffene unbedingt verbessert werden. Wir müssen aber vor allem auch innerhalb der Institutionen und innerhalb der Gesellschaft selbst daran arbeiten, unsere eigenen Vorurteile und Stereotype, sprich die Bewertung von Menschen anhand ihrer Identitätsmerkmale, abzubauen. Die Fragen stellten Lavanya Ferdinandz und Birgit Strahlendorff. Menschen, die in öffentlichen Institutionen arbeiten, wie etwa bei der Polizei oder an Schulen, können viel dazu beitragen, indem sie darauf aufmerksam machen, welche Verwaltungshandlungen zu struktureller Diskriminierung führen. INTERN 35 dbb magazin | Januar/Februar 2022

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