dbb magazin 11/2021

blickpunkt Bürokratieabbau Der Normenkontrollrat zieht Bilanz Seit 2006 beurteilt der Nationale Normenkontrollrat (NKR) die Maßnahmen zu Bürokratieabbau und besserer Rechtsetzung der Bundesregierung. Der diesjährige Bericht mit dem Titel „Zukunftsfester Staat – weniger Bürokratie, praxistaugliche Gesetze und leistungsfähige Verwaltung“ wurde Bundes­ kanzlerin Merkel am 16. September 2021 kurz vor Ende der Legislaturperiode übergeben. Darin sowie in einem dazugehörigen Positionspapier macht der NKR Vorschläge zur Eindämmung und Vereinfachung bürokratischer Vorgänge. Das Gremium unter dem Vorsitz von Johannes Ludewig positioniert sich ganz klar: „Ziel ist es, für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen nicht mehr, sondern weniger Kontaktpunkte mit staatlichen Institutionen zu schaffen. […] Um Handlungsfähigkeit wie­ derzuerlangen und politisch gestalten zu können, sind vollzugstauglichere Gesetze, übersichtlichere Strukturen, weniger Schnittstellen und Entscheidungsschleifen, einfa­ chere Verfahren und klarere Zuständigkeiten hilfreich.“ Die Corona-Pandemie habe die deutsche Verwaltungskultur auf die Probe gestellt und viele Schwachstellen offenbart. So sei es aufgrund eines nicht exis­ tierenden Krisenmanagement­ systems beinahe unmöglich, auf der Basis von fachlicher und politischer Strategiebildung verbindliche Maßnahmen zu verabschieden. Weiter sei der schnelle und standardisierte Datenaustausch zwischen Be­ hörden auf verschiedenen Ebe­ nen mangelhaft, was Belastun­ gen für die Behörden selbst sowie Bürgerinnen und Bürger nach sich ziehe: Eine hohe Kon­ taktdichte sowie Schwierig­ keiten in der Orientierung er­ schweren rechtliche Vorgänge erheblich. Besonders in Krisen­ zeiten, wenn schnell gehandelt werden muss, sollte dies nicht passieren. Obwohl der NKR über den Berichtzeitraum eine ganze Reihe an Mängeln in der deut­ schen Verwaltung und Recht­ setzung gefunden hat, schätzt er Deutschland als grundsätz­ lich fähig ein, Krisen erfolgreich zu bewältigen. Hier sieht er vor allem die deutsche Wirtschafts­ kraft und „verantwortungsvolle Gesamtpolitik“ als treibende Kräfte. Seit 2011 erfasst der NKR zusätzlich den Erfüllungs­ aufwand von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen. Dass dieser Aufwand durch einen außerordentlichen Faktor wie Corona in die Höhe getrieben werden kann, ist gewiss, doch laut NKR ist der Erfüllungsauf­ wand für Wirtschaft und Ver­ waltung – unabhängig von der Pandemie – in den letzten zehn Jahren generell erheblich gestiegen. Vor allemmit Blick auf die Verwaltung sieht der NKR in dieser ernüchternden Bilanz eine ernst zu nehmende Herausforderung für die nächste Bundesregierung. Auch bezüglich des Bürokratie­ abbaus bei der Gesetzgebung hat der Normenkontrollrat Kri­ tik geübt. Einen erheblichen Mangel sieht der NKR hier bei der Einbindung von Fachkreisen und Verbänden – ein Problem, das der dbb schon seit Langem kritisiert. Laut der Gemeinsa­ men Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) sollte diesen externen Expertinnen und Experten ein ausreichender Zeitraum von vier Wochen zum Begutachten bleiben. In der Praxis sieht das allerdings an­ ders aus, und viele Beschlüsse müssen innerhalb kürzester Zeit überprüft und freigegeben werden. Laut NKR gab es im Be­ richtszeitraum 114 Vorhaben mit „sehr kurzer“ Frist. Damit wird verhindert, dass wesentli­ che Beiträge von externer Seite eingebracht oder umgesetzt werden können. Besonders kritisch sieht der NKR den Bürokratieaufwand auch im Zusammenhang mit der Klimawende. Um die Klima­ ziele wie angekündigt bis 2030 zu erreichen, empfiehlt der NKR, die Verfahren für Planun­ gen und Genehmigungen von Infrastrukturprojekten und Techniken sowie bei möglichen Gerichtsprozessen zu verkür­ zen – zurzeit können diese noch zehn Jahre und länger dauern. Sollte das nicht bald geschehen, sieht er das zeitige Erreichen der Pläne in Gefahr. Neben der Beschleunigung von Verfahren, verbessertem Krisen­ management und modernisier­ ter Gesetzgebung fordert der NKR mit seinem Jahresbericht und in dem dazugehörigen Posi­ tionspapier, die Staats- und Ver­ waltungsmodernisierung zu ei­ ner „Schwerpunktmission“ der nächsten Bundesregierung zu machen. Dabei weiß der NKR den dbb auf seiner Seite. „Die kommende Bundesregierung muss die Reformbemühungen auf allen Ebenen des Staatswe­ sens verstärken. Dabei geht es nicht nur um bessere Organisa­ tion, Digitalisierung und Recht­ setzung. Ganz zentral wird eine wirklich zukunftsweisende Per­ sonalpolitik mit einem starken Fokus auf permanenter Weiter­ bildung und Qualifizierung sein“, sagte der dbb Bundesvorsitzen­ de Ulrich Silberbach bei der Vor­ stellung des Jahresberichts. „Staat und Verwaltung benöti­ gen jetzt einen grundlegenden Digitalisierungs- und Moderni­ sierungsprozess. Das werden wir auch von der neuen Bundes­ regierung einfordern.“ ows © pix4u/Fotolia.com 16 dbb > dbb magazin | November 2021

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