dbb magazin 10/2021

interview schaftsbereichen zusammen. Sie selbst sind promovierter So- ziologe. Wie funktioniert diese interdisziplinäre Forschungsar- beit? Haben mal die Ökonomen mehr zu evaluieren, ein anders Mal die Psychologen oder die Geografen? In Katastrophen spielen immer verschiedenste Faktoren zu­ sammen. Jede Katastrophe hat eine kulturelle, eine soziale, eine politische, eine ökonomi­ sche, eine psychologische, eine rechtliche Dimension et cetera. Nach unserem Verständnis müsste Katastrophenforschung immer all diese miteinander zusammenhängenden Fakto­ ren integriert untersuchen. Nur so lassen sich wirklich nachhal­ tige Lösungen finden. Aber so funktioniert Forschung heute nicht. Forschung kostet Geld, dieses Geld gibt es für die Untersuchung von Teilaspek­ ten, beispielsweise der Warn­ kette, meist unmittelbar nach einem Geschehen, und diese Teilaspekte werden dann noch­ mals in kleinere Teile zerglie­ dert als Forschungsaufgaben an Fachinstitute vergeben, die dann wiederum in Forschungs­ verbünden für einen Zeitraum von zwei, drei oder vier Jahren miteinander, aber in getrenn­ ten Einrichtungen arbeiten können. Aus diesem Zerlegen und Kooperieren erwächst aber kein nachhaltiges Verständnis für die wirkliche Komplexität der Wechselwirkungen. Aus diesem Grunde habe ich die KFS von einer ursprünglich soziologischen zu einer sozial­ wissenschaftlich-interdiszipli­ när arbeitenden Forschungs­ stelle entwickelt. Zwar ändert das nichts an den Förderbedin­ gungen, aber wir versuchen, aus den vielen einzelnen Puz­ zlesteinen über die Jahre ein größeres Gesamtbild zu ent­ wickeln. Das kann ein adäquates For­ schungszentrum nicht erset­ zen, das grundfinanziert all diese Disziplinen unter einem Dach versammeln müsste, da­ mit man hier über viele Jahre hinweg strukturiert an den zu­ grunde liegenden Problemen arbeiten kann. Aber das ist eben das, was ich unter den gegebenen Bedingungen ma­ chen kann. Die Extremhochwasser, die im Juli in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu schwe- ren Verheerungen und sogar Todesfällen führten, bewertet die KSF weniger als „Naturka- tastrophe“ denn als „Sozialka- tastrophe“. Was ist also wirk- lich passiert? Nomen et Omen. Selbst die Vereinten Nationen haben vor einigen Jahren beschlossen, nicht mehr von Naturkatas­ trophen zu sprechen. Max Frisch fasste es bereits im Jahr 1979 in seiner Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ so: „Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie über­ lebt; die Natur kennt keine Katastrophen.“ Seit vielen Jahrzehnten vertreten die Sozialwissenschaften bereits diese Position. Warum? Weil wer von Naturkatastrophen spricht, damit schon die Hauptverantwortung von sich weist für das, was da geschah. Aber heute im fortgeschritte­ nen 21. Jahrhundert hat der Mensch all das Wissen und die Mittel, um Katastrophen zu­ mindest den größten Teil ihrer Zerstörungskraft zu nehmen. Insofern ist immer zuvorderst der Mensch zur Verantwortung zu ziehen, es ist sein Versagen, dass es dennoch so schlimm kam, also eine sozial- bezie­ hungsweise Kulturkatastrophe. Das Extremhochwasser im Juli hat das bestätigt: Wenn der gesamtgesellschaftliche Wille dagewesen wäre, so etwas grundsätzlich zu vermeiden, wäre das möglich gewesen. Aber es hätte einen hohen Preis gehabt. Am Ende ist das, was passierte, das Ergebnis ei­ ner gesamtgesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Abwägung und eben nicht das Werk der Natur. Forscht die KFS eigeninitiativ oder projektgebunden? Die KFS besteht genau genom­ men aus einer befristeten Pro­ fessur. Alles, was wir machen, muss also über Drittmittelan­ träge eingeworben werden, immer droht uns, überhaupt nicht mehr weiterarbeiten zu können. Mir ist das wichtig, das so nachdrücklich zu sagen, weil auch das Ausdruck dessen ist, wie wir als Gesellschaft auf Katastrophen und deren Prä­ vention schauen, nämlich nur soweit es uns möglichst nichts kostet. Wie so viele in vielen anderen Bereichen der Gesell­ schaft machen auch wir aber weit mehr als nur die Drittmit­ telforschung, weil die Leute, die sich hier zusammenfinden, eine intrinsische Motivation mitbringen. Aber die eigeniniti­ ative Auseinandersetzung mit den strukturellen Problemen, die hinter den Drittmittelpro­ jektfragen liegen, ist im Grun­ de unbezahlt und füllt die Wochenenden. Wie und wem werden die Ergebnisse und Empfehlungen Ihrer Forschung kommuniziert? Das reicht über Vorträge bei Fachveranstaltungen, Schulun­ gen, Fachgremienarbeiten und Publikationen bis zur Beratung ganz unterschiedlicher Akteure. Als Katastrophe welcher Art stuft die KSF die Corona-Pande- mie ein? Die Pandemie ist ein komplexer sozialer Prozess, sie ist für viele Menschen eine grundlegende Erschütterung ihrer sinnbilden­ den Ordnungen und insofern katastrophal – dabei meine ich freilich nicht nur die am Virus Erkrankten, sondern denke auch an die zahllosen Dramen in den Haushalten, die vielen zerstörten ökonomischen Exis­ tenzen, die Zerrüttung des oh­ nehin prekären Kulturbetriebes et cetera. Und ich denke an die gravierenden Auswirkungen auf den sozialen Zusammen­ halt, hierzulande und global gesehen. Ich fürchte, die Pan­ demie markiert eine Zeiten­ wende, also eine grundlegende Erschütterung der sozialen Ord­ nung, die noch mit ganz ande­ ren Entwicklungen wie dem Zerfall der transatlantischen Ordnung oder dem Klimawan­ deldiskurs zusammenwirkt. Wie muss Katastrophenschutz in Deutschland verbessert werden? Viele Detailprobleme müssten genannt werden. Aber dahinter steckt meines Erachtens ein grundlegendes, strukturelles Problem und auf dieses stößt man eben erst dann, wenn man Katastrophen über die Frage nach der sinnstiftenden Ord­ nung analysiert: Ich meine, dass wir ein grundlegendes ideolo­ gisches Problem haben. Der Mensch hat mit dem Beginn der Industrialisierung seine Ge­ schicke selbst in die Hand ge­ nommen und seither zwar den Wohlstand in einem Teil der Welt enorm gesteigert, zugleich aber einen anderen und seine Umwelt dafür ausgebeutet. Wir haben einfach so gehandelt, als wüssten wir, was wir tun und nie wirklich darüber nachge­ dacht, dass uns dafür grundle­ gende Kompetenzen fehlen. Mit demWohlstandszuwachs einhergehend hätten, so mei­ ne ich, immer schon Institutio­ nen gefördert werden müssen, die in der Lage sind, die kom­ plexen Nebenwirkungen menschlichen Handelns nach­ zuvollziehen und zu bepreisen. Das haben wir einfach nicht getan und im Gegenteil sogar argumentiert, dass kein Staat dieser Komplexität gewachsen sei und er sich deshalb mög­ lichst ganz rauszuhalten habe. Diese Argumentation scheint mir grundlegend zu sein für viele Probleme unserer Zeit. Wir müssen nun mit einem ge­ waltigen Kraftakt diese Kom­ petenzen aufbauen, weil das freie Spiel der Kräfte des Mark­ tes ganz offensichtlich nicht dazu ausreicht, diese Neben­ folgen einzufangen. 17 dbb > dbb magazin | Oktober 2021

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