dbb magazin 7-8/2021

verkehrspolitik Die Bahnreform und ihre Folgen Deutsche Bahn AG: Zwischen Gewinn und Gemeinwohl Klimaschutz, Verkehrswende, Deutschlandtakt: Die Bahn soll eine zentrale Rolle bei der Verlage­ rung des Personen- und Güterverkehrs auf die Schiene spielen. Ob die Deutsche Bahn AG als privates Unternehmen dieser Aufgabe gerecht werden kann, darf angezweifelt werden. © Deutsche Bahn AG/Oliver Lang Neben den vielen negativen Auswirkungen hatte die Corona- Krise für die Bahn zumindest eine gute Seite: Die Pünktlich­ keitswerte des DB Personenver­ kehrs in Deutschland sind in der Pandemie deutlich gestiegen. Im Jahr 2020 waren 81,8 Pro­ zent aller Fernverkehrszüge mit weniger als sechs Minuten Ver­ spätung unterwegs. Das ist laut einer Mitteilung der Deutschen Bahn eine Steigerung von 5,9 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Und DB Regio er­ reichte mit 95,6 Prozent im Jahr 2020 sogar die beste Pünktlich­ keit seit Bestehen der DB AG. Ein Lichtblick, immerhin. Ansonsten fällt die Bahnbilanz im Jahr 2020 ernüchternd aus: Laut Statistischem Bundesamt stiegen die Netto-Finanzschul­ den der Deutschen Bahn im Jahr 2020 auf etwa 29 Milliar­ den Euro an, das Schienennetz ist im Vergleich zu unseren Nachbarländern völlig veraltet, nicht genügend elektrifiziert und die Digitalisierung der Schiene mit dem europäischen Standard ETCS steckt ebenfalls noch in den Kinderschuhen. Kein Wunder, beliefen sich die Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur laut Sta­ tistischem Bundesamt 2019 auf lediglich 76 Euro. Zum Ver­ gleich: In der Schweiz liegt die­ ser Wert bei rund 404 Euro. Vor 30 Jahren war die Bahn be­ reits in einem ähnlich schlech­ ten Zustand. Damals betrugen die Schulden rund 34 Milliarden Euro. Die Politik entschied sich zu einer umfassenden Bahnre­ form, die jedoch viele als Grund für die heutige Krise ansehen. Denn während der Staat 1994 die kompletten Schulden der Staatsbahn übernahm, wurde die vormalige Behörde zu einer Aktiengesellschaft umstruktu­ riert, die ihrem hundertprozen­ tigen Eigentümer, dem Bund, satte Renditen bringen sollte – so war zumindest der Plan. Bahnkonzern: Konglomerat aus 700 Subunternehmen In der Folge wurden vermeint­ lich unrentable Strecken still­ gelegt, Waggons verkauft sowie Weichen und Gleise zurückgebaut. Zugleich ex­ pandierte die Deutsche Bahn AG kräftig. Heute hat die DB rund 700 Subunternehmen, 500 davon sind im Ausland tä­ tig und haben entsprechend wenig mit dem Bahnverkehr in Deutschland zu tun – wie etwa DB Arriva, ein Busunterneh­ men in London. Auch der Bundesrechnungshof übt massive Kritik an der Bun­ desregierung und deren Bahn­ politik. In einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Deut­ schen Bundestages vom April dieses Jahres heißt es, beim Bund bestünden aufgrund der derzeitigen Struktur des Eisen­ bahnwesens in Deutschland gegenseitige Interessenlagen im Hinblick auf seine Rollen in den Eisenbahnmärkten. Denn der Bund hat als Gestal­ ter der Marktordnung einen diskriminierungsfreien Wett­ bewerb sicherzustellen. Dem­ gegenüber sei er als Eigentü­ mer der Deutschen Bahn AG demWohl des Unternehmens verpflichtet. Denn, und das ist der Kern des Problems, in Deutschland sind das Schie­ nennetz und dessen Betrieb nicht voneinander getrennt: Verantwortlich für die Instand­ haltung und Entwicklung von insgesamt etwa 87,5 Prozent des Schienennetzes ist hierzu­ lande die DB Netz AG, eine weitere Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG. Vorreiter Schweden: konsequente Trennung von Netz und Betrieb Eisenbahnverkehrsunterneh­ men bestellen also Trassen bei DB Netz, was sie zu einem der wichtigsten Gewinnbringer des DB-Konzerns macht. Da dieser als privatwirtschaftliches Un­ ternehmen gewinnorientiert arbeiten soll, wird laut Kriti­ kern das Geld nicht in gleichem Maße wieder in die Schiene in­ vestiert. Das Streckennetz ver­ kommt nach und nach, wäh­ rend die Deutsche Bahn die Gewinne der DB Netz für In­ vestitionen bei anderen Toch­ tergesellschaften nutzt. Ent­ sprechend deutlich äußerte sich der Bundesrechnungshof in seinem 2019 veröffentlich­ ten Sonderbericht: „Das der­ zeitige Modell des integrierten DB-AG-Konzerns ist zu hinter­ fragen. Hierzu gehört auch die Beantwortung der geschäfts­ politischen Frage, welches der beiden Ziele, Gewinnorientie­ rung oder Gemeinwohlver­ pflichtung, die Eisenbahn des Bundes künftig vorrangig ver­ folgen soll.“ In vielen anderen europäischen Ländern ist dies anders gere­ gelt. Als Vorreiter einer strikten Trennung von Infrastruktur und Verkehrsleistung gilt Schweden, das die Weichen bereits 1988 entsprechend stellte. In einem Gutachten, das das Europäische Parlament 2012 in Auftrag gab, werden die Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Nutzer als durchweg positiv beschrie­ ben. So verbesserte sich die Pünktlichkeit auf über 90 Pro­ zent – ganz ohne Corona. „Insbesondere die Qualität des Personenverkehrs hat sich verbessert, und Güterverkehrs­ kunden haben eine größere Auswahl“, heißt es in der Schlussfolgerung zur Fallstudie Schweden in dem Bericht. Und weiter: „. seit der Trennung [sind] eine Verbesserung der Leistung und weniger Verspä­ tungen zu verzeichnen.“ dro 14 dbb > dbb magazin | Juli/August 2021

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