dbb magazin 5/2021

nicht nur um die Bereitstellung finanzieller Mittel, sondern auch darum, das Zuständig­ keitswirrwarr im föderalen System zu entflechten“, so der Beirat. Zwar könne föderaler Wettbewerb in der Verwaltung die Entwicklung innovativer Lö­ sungen ermöglichen und Lern­ prozesse unterstützen. „Jedoch sollten durch entsprechende Standards in Bezug auf Daten­ kompatibilität, Portabilität und Schnittstellen Effizienzverluste vermieden werden, die durch parallele Systementwicklungen in unterschiedlichen Ländern oder Gemeinden entstehen können.“ Im Zuge der Corona-Krise sei zwar eine Beschleunigung der Arbeiten eingetreten: „Die Kri­ sensituation hat eine psycholo­ gische Wirkung gehabt – allen Beteiligten ist klar, dass der Staat spätestens jetzt ernsthaft in die Digitalisierung der eige­ nen Dienstleistungen einstei­ gen muss.“ Die Pandemie habe aber ebenso den Rückstand Deutschlands bei der digitalen Transformation in vielen Berei­ chen schonungslos offenge­ legt: „Die Pandemie hat überall dort Defizite aufgezeigt, wo deutsche Institutionen – Ver­ waltungen, Unternehmen, Schulen, Hochschulen, Gerichte – ihren längst erkannten und ausführlich diskutierten Auf­ gaben zur Digitalisierung der Abläufe über lange Zeit nicht nachgekommen sind.“ Diese Schwächen hätten eine wirk­ same Antwort der Politik auf die Krise und die Begrenzung des ökonomischen Schadens massiv behindert. Dringend erforderlich seien „weitere Investitionen in die digitale Infrastruktur, so vor allem in Schulen, Hochschulen, Gerich­ ten, öffentlicher Verwaltung und im Gesundheitssektor“. In der Gesamtbetrachtung stel­ len die Expertinnen und Exper­ ten in ihrem Gutachten fest, dass der Rückstand „Deutsch­ lands bei der Digitalisierung oftmals weniger auf fehlen- den finanziellen Mitteln oder Marktversagen, sondern auf verschiedenen Formen von Or­ ganisationsversagen“ beruhe, das behoben werden müsse. Weiter erfordere „der nachhal­ tige Einsatz digitaler, datenba­ sierter Prozesse und Verfahren ein Neudenken der bisherigen Abläufe und neue Führungs­ ansätze“. Daher müssten etab­ lierte Gesetze und Organisati­ onsweisen auf ihre Eignung in einer digitalen Welt hin über­ prüft und reformiert werden, was einfache Verwaltungsab­ läufe auch im föderalen Kon­ text sowie klare politische und unternehmerische Füh­ rung notwendig mache. Nach Ansicht des Beirates wird die Bedeutung solch komplemen­ tärer Maßnahmen in der der­ zeitigen politischen Diskussion zu wenig beachtet. < dbb Webtipp Das Gutachten „Digitalisie­ rung in Deutschland – Leh­ ren aus der Corona-Krise. Gutachten des Wissen­ schaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi)“ kann unter https://bit.ly/2Q97DrX kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden. < 7 Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates Der Beirat empfiehlt: 1. die staatliche Unterstützung von digitalen Transformationsprozessen nicht nur auf klassische Konstellationen des Marktversagens zu konzentrieren, son­ dern verstärkt auch Fälle von Organisati­ onsversagen einzubeziehen, in denen auf­ grund komplexer Verfahrensabläufe, unklarer Zuständigkeiten und fehlender politischer oder unternehmerischer Füh­ rung die Produktivitätspotenziale der Digi­ talisierung nicht ausgeschöpft werden. Die in der Krise getroffenen, zumeist zeitlich befristeten Entscheidungen zugunsten ei­ ner Flexibilisierung von Kommunikations­ prozessen und Abläufen sollten von der Politik, aber auch von Verwaltungs- und Behördenleitungen in den kommenden Monaten auf den Prüfstand gestellt wer­ den. Einen automatischen Rückschritt zu den vor der Krise üblichen Vorgaben und Vorgehensweisen sollte es nicht geben; 2. beispielhaft im Bildungssystem ver­ einfachte Verwaltungsabläufe und effektivere Zuständigkeitsverteilungen in einem Staatsvertrag festzulegen und län­ derübergreifende Rahmenregelungen und Standards zu treffen, so etwa zur einheitli­ chen Rechtsauslegung bei der Bereitstel­ lung datenschutzkonformer digitaler Kom­ munikationsplattformen; 3. in Abläufe der öffentlichen Verwal­ tung neuartige Managementansätze (Teamarbeit, agiles Management) schnel­ ler als bisher zu integrieren, wodurch die Verwaltung flexibler auf besonders dyna­ mische Bereiche des Wirtschaftslebens reagieren und innovative Technologien und Prozesse früher als bisher einsetzen kann; 4. in Gesetzen und in der Verwaltung noch stärker als bisher Reallabore ein­ zusetzen, in denen Unternehmen unter erleichterten oder andersartigen Regulie­ rungssystemen operieren können. Dadurch können wertvolle Erfahrungen über Politik­ alternativen gewonnen werden. Es ist un­ abdingbar, dass Unternehmen in Reallabo­ ren geeignete Daten zur Verfügung stellen, die es Behörden und unabhängigen Wis­ senschaftlern ermöglichen, die Auswirkun­ gen alternativer Regelwerke zu analysie­ ren. Dabei sind ein ausgewogen gestalteter Datenschutz und der Schutz von Ge­ schäftsgeheimnissen zu gewährleisten (Wissenschaftlicher Beirat 2017a); 5. das Datenschutzrecht auf deutscher und europäischer Ebene effektiver auszugestalten und neben Einwilligungslö­ sungen auch andere Regulierungskonzepte (zum Beispiel Datentreuhänder, „Personal Information Management Services“, Opti­ onsregelungen, Haftungsregime, gesetzli­ che Verbote, richterliche Inhaltskontrolle oder regulierte Datenräume) zu verfolgen. Auch sollte das Datenschutzrecht stärker in eine allgemeine digitale Ordnungspolitik eingebettet werden, indem der Daten­ schutz nicht als unangreifbare Rechtsposi­ tion verstanden, sondern in Abwägungs­ prozesse mit anderen Rechtsgütern integriert wird; 6. den Ausbau der digitalen Kommunika­ tionsinfrastruktur in Deutschland wei­ ter voranzutreiben (.); 7. mit geeigneten Fördermaßnahmen (zum Beispiel Digital-Voucher, Weiter­ bildung) die digitale Transformation im Mittelstand weiter zu beschleunigen (.). Quelle: Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) bmwi.de Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) online © Cherezov Kirill/Colourbox.de 41 > dbb magazin | Mai 2021 dbb

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