dbb magazin 5/2021

blickpunkt ein Stadtbeschäftigter einen Schlüssel ins Gesicht geworfen bekam. Zwei Fälle, in denen er­ zürnte Bürger ins Auto stiegen und auf Ordnungsamtsmitar­ beiter zurasten. Situationen, in denen sich die Betroffenen nur durch beherzte Sprünge retten konnten. „Bei vielen Fällen denkt man: Wo sind wir hier eigentlich?“, kommentiert die Sicherheitsexpertin die Gesamt­ situation. Was zudem durch die Erfassung in ZeMAG sichtbar wurde: Man erkennt eine Fall­ zahlzunahme seit Beginn der Pandemie. Die Aggression nimmt also noch weiter zu. < Datenschutzrechtliche Grundlagen Werden Aggressoren in ZeMAG erfasst, bekommen diese Post nach Hause. Darin wird ihnen mitgeteilt, dass sie für eine be­ fristete Zeit imMeldesystem erfasst sind und welche Daten von ihnen konkret dort abge­ speichert sind. In enger Zusam­ menarbeit mit dem Daten­ schutzbeauftragten der Stadt hat man dazu im Vorfeld Krite­ rien für die Datenerfassung er­ arbeitet und Löschfristen fest­ gelegt. Denn die Stadt ist sehr darauf bedacht, das durchdach­ te und hilfreiche Sicherheitstool nicht aus Gründen datenschutz­ rechtlicher Bestimmungen ein­ stellen zu müssen. Aus diesem Grund hoffen die Verantwortlichen auch darauf, dass es schon bald eine kon­ krete Rechtsgrundlage geben wird, die dafür sorgt, dass weder die Macher solcher Meldesysteme noch die Da­ tenschutzbeauftragten ständig Bauchschmerzen haben müs­ sen. Das wäre auch aus ande­ rem Grund wünschenswert – denn das Kölner Meldesystem kann mehr. Es gibt nicht nur Auskunft darüber, welche Per­ sonen in jüngster Zeit durch Übergriffe auffielen, es wird auf Dauer auch statistikbasier­ te Aussagen darüber zulassen, in welchen Bereichen es am häufigsten zu Übergriffen kommt oder wie hoch die Anzahl der Mehrfachtäter ist. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass vor allem Ordnungsdiens­ te, die Vollstreckung und das Jugendamt mit dem Allgemei­ nen Sozialen Dienst besonders betroffen sind. Deren Beschäftigte können künftig bereits von ihren Außendiensten aus über das Smartphone Zwischenfälle eintragen. Noch bevor sie wie­ der in der Behörde eintreffen, ist somit der Vorgesetzte be­ reits über den Zwischenfall in­ formiert und kann rechtzeitig weitere Hilfsmaßnahmen an­ treten – auch das soll komplett über das komplexe Meldesys­ temmöglich sein. ZeMAG dirigiert jeden Anwen­ der durch einen kompletten Workflow, der von der Erfas­ sung des Ereignisses auch au­ tomatisch den Link zu Formula­ ren zur Strafanzeige auf dem Monitor erscheinen lässt und daran erinnert, dass auch das Formular zur Unfallanzeige ausgefüllt werden muss. Auch das sei nötig, weil sich direkt nach einem Übergriff nicht immer alle Folgen für den Be­ schäftigten absehen lassen. Burkert schildert ein Beispiel aus der Vergangenheit: Ange­ hörige der autonomen Szene stürmten damals das Stadt­ haus und drangen auch ver­ mummt in die Büros einiger Mitarbeiter ein. Dabei sei es zwar nicht zu körperlichen Angriffen gekommen, doch zu seelischen Folgen. Wochen später klagten einzelne Mit­ arbeiter über anhaltende Angstzustände und andere psychische Beeinträchtigun­ gen. Durch die Unfallmeldung ist abgesichert, dass die beruf­ liche Versicherung gleich ein­ springt und Gesundheitsschä­ den ausgleicht, die Versicherte im Job erleiden – von der Akut­ behandlung bis hin zur Reha oder Wiedereingliederung. < Weiterentwicklung des Meldesystems Was das Meldesystem noch lernen soll: „Wir möchten Straf- und Unfallanzeigen so in den Workflow integrieren, dass man das Formular auch gleich an Ort und Stelle über das Sys­ tem ausfüllen und abschicken kann“, sagt Burkert. Ebenso soll es auch die Möglichkeit inte­ grieren, Hausverbote rechtlich abgesichert zu verschicken. „Es geht um Leben!“, sagt Bur­ kert. Die Motivation, das Sys­ temweiterzuentwickeln und zu optimieren, ist darum in der ganzen Stadtverwaltung extrem hoch. „Es ziehen alle an einem Strang“, berichtet die Leiterin des Bereichs. Aus den einzelnen Dienststellen kommen regelmä­ ßig Rückmeldungen, die bei der Verbesserung und dem Ausbau von ZeMAG helfen. < Weitere Maßnahmen: Fortbildungen Längst beraten die Mitarbei­ tenden des Zentrums für Kri­ minalprävention und Sicher­ heit andere Ämter hinsichtlich ergänzender Schulungsmaß­ nahmen für die Beschäftigten. Dabei schildern die Ämter das vorherrschende Problem und bekommen dann passgenau Seminarempfehlungen. Das ausgeklügelte System er­ gänzt andere Maßnahmen wie Besuchersteuerungen oder all­ gemeine Sicherheitsschulungen für die Beschäftigten. Hinzuge­ kommen sind seit neuestem er­ gänzend zu Deeskalationskur­ sen auch Eigenschutzseminare. „Dort lernen die Beschäftigten, wie sie sich bei Hausbesuchen bewegen sollten, um das Risiko für plötzliche Übergriffe zu sen­ ken“, sagt Burkert. Wo stelle ich mich hin? Wie bewege ich mich, um stets in einer sicheren Posi­ tion zu sein und mich nicht un­ bedacht in eine Position ohne Fluchtmöglichkeit zu bringen? Wer diesen Fokus hat, kann selbst bereits viel für seinen Schutz tun. Neue Wege geht man in Köln auch mit einem Seminarange­ bot zur Abwehr von Messer­ angriffen. „Das ist für eine Ver­ waltung etwas völlig Neues“, sagt die Sicherheitsexpertin der Stadt. Entsprechend sei es gerade zu Beginn sehr kontro­ vers diskutiert worden. Man­ cher hatte Sorge, man schüre so möglicherweise die Sorge unter den Beschäftigten. In­ zwischen aber hat sich die Pra­ xistauglichkeit herumgespro­ chen. Es geht um Tipps, die Leben retten können. Sobald die gesetzliche Grund­ lage und Rechtssicherheit in Fragen um das Speichern von Daten geschaffen ist, wollen die Kölner das System kostenlos allen interessierten Kommunen weitergeben – dem Pioniergeist sei Dank. Auch, wenn die Ent­ wicklungskosten und der um­ fangreiche Arbeitsaufwand des einzigartigen Projekts in der Domstadt hängen bleiben. In Köln jedenfalls wünscht man sich, dass ZeMAG irgendwann überall Beschäftigte schützen kann. Text: dbb jugend nrw © Dolores Burkert 19 dbb > dbb magazin | Mai 2021

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