dbb magazin 3/2021

interview Missbrauch für politische Kampagnen machen etwas bewirken. Im Ausschuss haben wir etwa die Probleme beim Bilden einer Rettungs­ gasse auf unseren Straßen the­ matisiert. Nunmehr sind die Verhaltensregeln für Autofah­ rer angepasst sowie einpräg­ sam und leicht verständlich formuliert worden. Ein weite­ rer Hilferuf „Rettet die Bäder“ kam von der Deutschen Le­ bens-Rettungsgesellschaft- DLRG e. V. Nunmehr soll nach demWillen der Ausschussmit­ glieder ein bundesweiter Mas­ terplan zur Erhaltung, Sanie­ rung und Verbesserung der Schwimmbäderinfrastruktur erarbeitet werden. Genauso erfolgreich konnte die mit ei­ ner Petition angesprochene Diskriminierung von Frauen durch die hohe Besteuerung von Periodenprodukten besei­ tigt werden. Seit Juni 2020 gilt auch hier der ermäßigte Steu­ ersatz. Neben diesen großen Themen widmet sich der Aus­ schuss auch konkreten Einzel­ fällen mit teils sehr persönli­ chen Anliegen. So konnte einer Petentin bei der Anrechnung ihrer Mütterrente für die Erzie­ hung von Adoptivkindern ge­ holfen werden. Eine Frau mit besonders stark ausgeprägtem Lipödem erhielt die Zusage, dass die Behandlung als Leis­ tung der gesetzlichen Kranken­ versicherung bereits als Erpro­ bungsphase zur Verfügung steht. Es ist der Antrieb aller Mitglieder des Ausschusses, für jedes gerechtfertigte An­ liegen eine Lösung zu finden. Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das Peti- tionswesen? Hat die Pandemie das „Petitionsverhalten“ ver- ändert, andere oder neue The- men in den Fokus gerückt? Die Corona-Pandemie hat im letzten Jahr das gesamte öffentliche und private Leben bestimmt. Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger haben wir noch nie dagewesene Grundrechtseinschränkungen beschließen müssen. Es ver­ wundert deshalb nicht, dass entsprechend viele Petitionen zu diesem Thema bei uns ein­ gegangen sind. Insgesamt konnten wir etwa 1 800 Peti­ tionen rund um das Thema COVID-19 verzeichnen. Die Petitionen beschäftigen sich inhaltlich mit Vorschlägen zur Bewältigung der Pandemie sowie mit Forderungen nach Unterstützung. Wie hoch ist der Anteil der Petitionen, die sich mit Fragen des öffentlichen Dienstes bezie- hungsweise des Dienstrechts befassen? Der Anteil der Petitionen, die Fragen des öffentlichen Diens­ tes tangieren, lag zwischen 2016 und 2020 durchschnitt­ lich bei 3,7 Prozent. Das ent­ spricht etwa 472 Petitionen pro Jahr. Hiervon liegt der An­ teil der Petitionen, die sich ex­ plizit mit dem Personalrecht des öffentlichen Dienstes be­ schäftigen, durchschnittlich bei 40,2 Prozent. Die Petition zur Verringerung der Arbeits­ zeit für Beamte auf 39 Stunden hat sogar mehr als 50000 Mit­ zeichner gefunden und wurde öffentlich beraten. Was halten Sie von Online- Plattformen wie Change.org und OpenPetition? Ergänzung im Sinne der Bürgerbeteiligung oder wirkungslose Marketing- instrumente? Für alle Bürgerinnen und Bürger muss klar sein: Nur Petitionen, die im Deutschen Bundestag eingereicht wur­ den, werden von uns geprüft und haben die Chance auf Er­ folg. Viele Plattformen simu­ lieren einen vergleichbaren Status, den es jedoch nicht gibt. Es besteht keinerlei Kooperation zwischen dem Petitionsausschuss und priva­ ten Kampagnenportalen, bei denen politische Meinungs­ mache und Effekthascherei im Vordergrund stehen. Platt­ formen, wie sie von Ihnen ge­ nannt wurden, begegnen uns bisweilen konfrontativ und versuchen, teils mit unlauteren Mitteln, die guten Ideen der Bürgerinnen und Bürger zu vereinnahmen, um eigene Publicity zu generieren. Des­ halb möchte ich allen davon abraten, diese Plattformen zu nutzen. Ab 50000 Mitzeichnungen können Petentinnen und Petenten ihr Anliegen in einer öffentlichen Anhörung dem Petitionsausschuss persönlich vortragen. Welche Anhörung hat Sie zuletzt besonders beeindruckt? Grundsätzlich prüfen wir jede Petition gleich intensiv, unab­ hängig ihrer Mitzeichnungen. Bekommt eine Petition mehr als 50000 Unterschriften, füh­ ren wir jedoch zusätzlich eine öffentliche Beratung durch. Dort wird den Petenten die Gelegenheit gegeben, ihr An­ liegen vor dem Ausschuss dar­ zulegen und Fragen der Mit­ glieder unseres Ausschusses zu beantworten. Am 25. Januar beispielsweise war eine junge Frau aus Hongkong zu Gast im Petitionsausschuss, die wegen des neuen Sicherheitsgesetzes Sanktionen gegen Vertreterin­ nen und Vertreter der Volks­ republik China fordert. Die Ak­ tivisten in Hongkong leisten meiner Ansicht nach Bemer­ kenswertes und geben persön­ liche Freiheiten auf, um die Freiheit Hongkongs zu vertei­ digen. Das beeindruckt mich persönlich sehr und erinnert mich daran, wofür wir am Ende eigentlich Politik betreiben. Sollte das Petitionswesen nicht weiterentwickelt werden und die von Ihrem Ausschuss ge- troffenen Entscheidungen über reine Beschlussempfehlungen hinausgehen? Tatsächlich arbeiten wir zurzeit an einer institutionell-organisa­ torischen Weiterentwicklung des Petitionswesens. Eine Stu­ die des Bundestages hat uns im Herbst 2020 gezeigt, dass die breite Mehrheit der Bevölke­ rung das Petitionsrecht kennt und in großen Teilen bereits auch aktiv geworden ist. Der Anteil der Menschen mit Migra­ tionsgeschichte und der Dritt­ staatsangehörigen ist jedoch vergleichsweise gering, weshalb wir unser Angebot besonders für diese Gruppen interessanter machen wollen. Gleichzeitig müssen wir das Petitionsrecht wehrhaft gegen Missbrauch für politische Kampagnen machen. Unter dem Deckmantel einer Petition haben bereits Gruppen und Firmen versucht, für ihr An­ liegen zu werben; dafür braucht es eine Regelung. Zudem beste­ hen Überlegungen, uns attrak­ tiver mit großen Social-Media- Plattformen zu vernetzen, um Mitzeichnungen so einfach wie möglich zu machen. Grundsätz­ lich aber beschließt im Deut­ schen Bundestag das Plenum, Ausschüsse formulieren die da­ für notwendigen Beschluss­ empfehlungen. Deshalb sehe ich hier keinen prinzipiellen Änderungsbedarf, wenngleich Verfahren beschleunigt werden müssen. Die Entscheidungs­ verantwortung liegt am Ende bei den Abgeordneten, weshalb wir in einer repräsentativen De­ mokratie die Freiheit des Man­ dats immer sicherstellen müs­ sen. Mit dem Petitionswesen gibt uns das Grundgesetz ein gutes Instrument, um die de­ mokratische Partizipation zu stärken. Dies gilt es weiterzu­ entwickeln. 5 dbb > dbb magazin | März 2021

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