dbb magazin 12/2020

er über Interleukin-6-Werte für die Prognose von COVID-Pati­ enten ebenso reden wie über die psychische Verfassung sei­ ner Patienten und die Details des Waschens. Das macht ihn und seine Zig­ tausenden Kollegen in dieser Pandemie so wichtig – und zu­ gleich so anfällig für die Belas­ tungen. AmMittwochmorgen gibt es auf der Intensivstation eine gute und eine schlechte Nach­ richt. Die gute: Ein Patient ist negativ getestet worden – nachdem er seit Juli durchgän­ gig positiv war. Die schlechte: Ein neuer Corona-Patient, ver­ legt aus einer anderen Klinik, ist in kritischem Zustand. Der 47-Jährige ist ein ECMO-Pati­ ent, dessen Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angerei­ chert wird, dazu dialysepflich­ tig. „Pflegerische Maximalver­ sorgung“, sagt Niclas Frie. Auf einer Intensivstation küm­ mert sich eine Pflegekraft um zwei bis drei Patienten. Das ist der Schlüssel. Das reicht aus, wenn auch nicht so pflegein­ tensive Patienten auf der Stati­ on sind, leichtere Herzinfarkte zum Beispiel. Corona-Patienten aber sind fast immer intensiv. Und: Die psychische Belastung ist enorm – für die Patienten wie für die Pflegenden. Wer mit Schwestern und Pflegern spricht, die im Früh­ jahr hier, an vorderster Linie, Dienst taten, dem wird rasch klar, dass die Anstrengung die­ ser ersten Welle nachwirkt. „Wir hatten eine Nacht, da ist jeweils um drei, um vier und um fünf jemand gestorben“, so Frie. Die anderen, die über­ lebten, waren kaum dieselben wie zuvor. „Wir hatten hier gestandene Männer, denen wir zeigen mussten, wie ein Waschlappen funktioniert“, so Pflegerin Monika Galonska. „Oder die 21-Jährige, die am Rollator wieder gehen lernen musste.“ Und der Mann in den Sechzigern, der nur noch gebe­ ten habe: „Lasst ihr mich jetzt endlich sterben?“ Einsam wa­ ren diese Menschen, viele durf­ ten über Wochen ihre Familien nicht sehen. Für sie war der Händedruck am Intensivbett das Persönlichste an Kontakt. Monika Galonska ist 47 Jahre alt, seit 26 Jahren ist sie Pflege­ rin. „In all der Zeit“, sagt sie, „habe ich nichts Vergleichbares erlebt. Das kommt mir vor wie eine ganz andere Epoche.“ „Um fünf Jahre“, sagt Niclas Frie, sei er in der Zeit gealtert. Er ist in der Zeit, um Ostern, zum zwei­ ten Mal Vater geworden. Eine Woche nach der Geburt war er wieder auf Station. Die materielle Ausstattung vieler Kliniken ist jetzt besser. Um die seelischen Kräfte vieler Pflegender steht es schlechter. Sie hätten im Frühjahr eine Psychologin für die Pflegekräf­ te engagiert, sagt Regina Düs­ terhus, die Pflegedienstleiterin. Es gab kostenloses Essen, Su­ pervision. Aber es kam eben „der Moment, an demman sich nicht mehr an irgendwel­ che Patientengrenzen halten kann“ – in dem also alle mehr und länger arbeiteten, als es die Regeln vorsehen. Das hatte Folgen. Es habe, sagt Düster­ hus, am Ende auch Krankmel­ dungen gegeben, wegen der Belastung. Und Dank? Den gab es auch. Zum Beispiel in Form jenes Fo­ tos, das jetzt im Dienstraum hängt. Es zeigt den Mann, der im Frühjahr den Tod ersehnte, wie er jetzt sein Enkelkind in die Höhe stemmt, er hat es in die Klinik geschickt, das Doku­ ment einer Heilung. Nur von dem Corona-Bonus, den der Gesundheitsminister im Früh­ jahr versprochen hatte, hat Frie nichts gesehen. Stattdes­ sen, erzählt er, habe ihm sein Schwiegervater, der in einer Kartonfabrik arbeitet, etwas von seinem Bonus abgegeben, den er bekam, weil er immer da war. Eine Geste zwischen Solidarität und Mitleid. „Ich fühle mich“, gestand zuletzt der Leiter der internis­ tischen Intensivstation der Uniklinik Köln, Matthias Ko­ chanek, in einer Diskussion, „in vielen Belangen vollkom­ men überbezahlt für das, was ich leiste, im Gegensatz zu dem, was die Pflegekräfte leisten müssen.“ Es ist jetzt Freitagmittag auf der Intensivstation in Bad Lipp­ springe, Niclas Frie macht gleich Feierabend. Um am Abend für die Nachtschicht wiederzukom­ men. Eine Kollegin ist krank, Ersatz hat er auf die Schnelle nicht gefunden. „Da macht man es dann eben selbst.“ Wie es weitergeht? „Die nächs­ ten 14 Tage“, sagt er, „werden entscheidend sein.“ Dann wer­ de sich zeigen, wie viele Patien­ ten wirklich auf die Intensivsta­ tionen kommen und wie krank sie sind. Er klingt gelassen, wie jemand, der kein Freund von Schreckensszenarien ist. „Weg­ schicken“, glaubt Frie, „werden wir am Ende niemanden.“ Aber nur, weil sie am Ende eben mehr arbeiten werden, wie im Frühjahr. Thorsten Fuchs portrait << Der Autor . . ist Chefreporter des RND RedaktionsNetzwerk Deutschland << Eine halbe Stunde pro Schicht braucht Niclas Frie allein für das An- und Ausziehen der Schutz­ kleidung. << Monika Galonska arbei­ tet seit 26 Jahren als Pflegerin: „Das kommt mir vor wie eine ganz andere Epoche“, sagt sie über die Corona- Pandemie. Etwas Ver­ gleichsbares habe sie in all der Zeit nicht erlebt. © Irving Villegas/RND (3) 11 dbb > dbb magazin | Dezember 2020

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